Kommentar
11:51 Uhr, 03.06.2016

Warum ein „Brexit“ gut wäre…

Wenn nichts mehr geht, dann hilft manchmal nur noch ein Neustart. Das gilt auch für das altehrwürdige Europa...

In dieser Woche war der frühere Außenminister Joschka Fischer zu Gast im heute journal des ZDF. Mit seinen Allüren und seinem Hang zur Selbstdarstellung könnte man diesen angeblichen "Grünen" einen aufgeblasenen Wichtigtuer schimpfen, der besser Taxifahrer geblieben wäre, anstatt sich in die Weltpolitik einzumischen.

In einem Punkt aber kann man dem Mann nur zustimmen: Vor dem Hintergrund der völlig verfahrenen Lage in Europa fordert Fischer, die EU müsse sich neu erfinden, eine Art „Neustart“ wagen. Ab Minute 13 im folgenden Video.

Warum nur die Briten über den Verbleib in der EU befragt werden, nicht aber die Deutschen, die Griechen, die Polen oder auch die Ungarn, das erläuterte Fischer leider nicht. So viel Ehrlichkeit würde der ehemalige deutsche Außenminister auch niemals riskieren, denn dann würde ja offensichtlich werden, welche Gesinnung hier von Beginn an Pate gestanden hat.

Wir erinnern uns:

Als der damalige griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou im November 2011 die Griechen über die "Rettungspakete" wie auch über den Verbleib des Landes in der EU abstimmen lassen will, da löst dieser Vorschlag von Berlin bis Brüssel eine beispiellose Welle der Empörung aus. Keine Woche später ist das Referendum abgesagt und Papandreou entmachtet.

Hier zeigt sich ein Kernproblem der gesamten EU-Konstruktion: Wo mit zweierlei Maß gemessen wird, wo „Demokratie“ nur für Teile der Bevölkerung gilt, wie soll man da jemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen?

Gar nicht zu reden von den Vertragsbrüchen, die landauf, landab geradezu zwingend erforderlich sind, um dieses Gebilde, das sich Europäische Union nennt, überhaupt noch zusammen zu halten:

Die Litanei der Vertrags- und Rechtsbrüche, die in der EU zum Tagesgeschäft gehören, weil sonst alles in sich zusammenklappt, sind kaum noch aufzuzählen. Das beginnt mit den Maastricht-Kriterien, die routinemäßig ebenso ignoriert werden, wie der Vertrag von Lissabon, das Schengen-Abkommen, die Dublin-Vereinbarung oder Artikel 16a, Absatz 2 des Deutschen Grundgesetzes.

Wir erleben ein Europa der Vertragsbrüche, der Willkür und des schleichenden Demokratieabbaus. Und weil die Menschen nicht so einfältig sind, wie das die Politiker gerne hätten, und den faulen Zauber längst durchschauen, wählen sie eben verstärkt jene Parteien, die diesem Irrsinn eine Abfuhr erteilen. Den Front National in Frankreich etwa, oder die Alternative für Deutschland - die in Wahrheit gar keine Alternative ist, aber das ist ein anderes Thema.

In drei Woche haben die Briten die einmalige Chance, den Verantwortlichen in Brüssel, Berlin und, ja, vor allem auch in Washington ein für alle Mal klar zu machen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Mit einem Ja zum „Brexit“, das gleichbedeutend ist mit einem Nein zu diesem (!) Europa, könnten die Bürger Großbritanniens jene wichtige Weichenstellung einleiten, die für ein langfristig überlebensfähiges Europa unabdingbar ist.

Sicher würde ein solches Abstimmungsergebnis kurzfristig einige Turbulenzen auslösen. Auf lange Sicht wäre der „Brexit“ jedoch das Beste was diesem altehrwürdigen Kontinent passieren kann.

Er würde uns allen die Chance geben, jene Kreativität und Geisteshaltung neu zu beleben, die Europa einst groß und auch so lebenswert gemacht hat. Für ein Europa der Völker, der kulturellen Vielfalt auf der Basis von Demokratie und Menschenrechten.

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Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG. Weitere Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de