„Das was wir am Donnerstag sahen, war ein klassischer Gamma-Schock“
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Der Ausgang beider Themen sollte Weichenstellungen manifestieren, welche in ihrer Nachhaltigkeit so durchgreifend sind, dass diese unser bisheriges Wirtschaftsgefüge gravierend ändern werden. Ändern in einem Ausmaß, was aus dem Blickwinkel der Börsen zum Teil nachhaltig veränderte Bewertungen von Sektoren und Einzelwerten nach sich ziehen wird, dem Umschichtungen und Anpassungen in den Portfolios folgen werden. Das alles geschieht wahrscheinlich nicht mit einem Knall, aber die Auswirkungen werden schwerwiegender sein, als die aus den punktuell betrachteten Arbeitsmarkt- oder übrigen Konjunkturdaten bzw. den Bilanzen einzelner Unternehmen gezogenen Konsequenzen.
Es ist erstaunlich, wie zäh sich die Märkte derzeit verhalten, angesichts dieser bedeutenden Ausgangslage, aber einige Händler meinen, es sei gerade wegen dieser Nähe zum Kipppunkt systemrelevanter Veränderungen, was die „Lähmung“ verursacht. Ja sicher, intraday sahen wir letzte Woche zum Teil auffällige Bewegungen – so auch im DAX / FDAX am Donnerstag und auch alle anderen Indizes zeigen im Nachhinein keine Auffälligkeiten zu den Vorkursen – und dennoch ist die Lage angespannter als üblich. Zusätzliche Einflüsse kommen jetzt auch noch aus produktspezifischen Besonderheiten hinzu, welche in der Presse und in allgemeinen Markteinschätzungen zwar kaum Beachtung finden, derzeit aber federführend das Bewegungsverhalten der Aktienmärkte (besonders im deutschen Markt ausgeprägt) beeinflussen. Auch dafür war der letzte Donnerstag ein markantes, fast lehrbuchartiges Beispiel. Doch der Reihe nach, sehen wir uns zunächst die Ausgangslage an, zumindest kratzen wir hier an der Oberfläche eines nach unten hin viel komplexeren und verflochteren Gesamtsystems:
Brexit
„Das, was hier um den Brexit derzeit veranstaltet wird, bietet ausreichend Stoff für einen guten Film. Als Komödie ginge es zwar nicht durch – dazu wirkt es zu unrealistisch – für einen Horrorfilm sollte es dagegen reichen“, meinte am Tag nach der Abstimmung des Londoner Unterhauses über den (Nicht-) Plan B von May ein Händler lakonisch. Man ertappt sich dabei, nicht mehr hinzuhören, wenn das Brexit Thema in den Nachrichten oder Talkrunden zur Sprache kommt, aber das ändert nichts an seiner Sprengkraft für die gesamte EU und damit für unser gesamtes Wirtschaftsgefüge.
Die Britten stehen nach der Abstimmung da, wo sie und wir alle bereits ganz zu Anfang, unmittelbar nach dem ersten Referendum standen. May feierte die Abstimmung letzten Dienstag im britischen Parlament als Sieg, immerhin erhielt sie eine Mehrheit – aber Mehrheit für was? Alles, was die Briten nun fordern, um den britischen EU-Austritt durchzusetzen, habe man längst „ausführlich am Verhandlungstisch“ diskutiert, schimpfte die Stellvertreterin von EU-Chefunterhändler Barnier. „Egal welche Idee die Briten präsentieren, man fühlt sich wie in einer Zeitschleife: alles schon mal dagewesen“, sagte sie gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“.
May hat den Auftrag, vor allem das Backstop Thema neu zu verhandeln, die EU lehnt Verhandlungen darüber ab. Hier geht es um weit mehr, als um simple Grenzkontrollen, Staus, Behinderungen und Störungen der Lieferketten. Hier könnte es um Krieg oder Frieden gehen, zwischen Protestanten und Katholiken im dann wahrscheinlich wieder aufbrechenden Nordirlandkonflikt.
Fakt ist derzeit: beide Seiten, Großbritannien als auch die EU bewegen sich rasend schnell auf Kollisionskurs zu und beide Seiten halten stur aufeinander zu. Und Fakt ist auch, dass die Verhinderung eines für alle beteiligten Seiten eintretenden Chaos bedeutet, dass eine der beiden Seiten wird nachgeben müssen – GB oder die Front der EU mit ihren verbleibenden 27 Staaten.
GB droht offen: sollte es zu einem ungeregelten EU-Austritt kommen, sehe Brüssel von der vereinbarten 44 Mrd Euro-Abschlusszahlung „keinen Penny“, sagte der britische Brexit-Minister Anfang letzter Woche. Die EU manifestiert nach außen ablehnende Geschlossenheit.
Doch die EU steckt in der Zwickmühle: wenn sie, wie bislang, jede Nachverhandlung in der strittigen Grenzfrage von sich weist, riskiert sie das Scheitern des Abkommens. Und mit dem Scheitern passiert genau das, was man eigentlich unbedingt verhindern will: eine harte Grenze auf der irischen Insel samt Schranken, Zollhäuschen, Grenzbeamten und Polizisten. Selbst wenn dieses Szenario nach Einschätzung aller Beteiligten sogar den brüchigen Frieden im einstigen Bürgerkriegsland gefährdet, wäre dieses aber unvermeidbar, um zu verhindern, dass die nordirische Grenze zum Schlupfloch in den Binnenmarkt würde. Immer mehr Experten drängen somit mit der Mahnung, „die EU sollte darüber nachdenken, Änderungen am Austrittsvertrag und bei der politischen Erklärung zuzulassen“. Das heißt, Europa solle in akzeptabler Form nachgeben, um das Schlimmste zu verhindern.
Damit steuert nun alles wohl auf eine Verlängerung der Austrittfrist zu, denn für alles andere reicht kaum noch die Zeit. In einer Kolumne zum Thema heißt es im Spiegel, dass man sich im Europaparlament bereits darauf vorbereite, die Frist des Artikel 50 des EU-Vertrags zu verlängern und den Brexit zu verschieben. „Ein Aufschieben des Austritts um ein paar Monate ist zwar noch nicht des Rätsels Lösung, aber es würde besser sein als ein ungeordneter Austritt“, sagte dazu Österreichs Bundeskanzler Kurz.
Doch selbst eine Verschiebung gestaltet sich zu einem Problem, da im Mai die Europawahlen anstehen – wäre GB dann noch Mitglied der EU, hätte es die Pflicht, Wahlen abzuhalten, um vor der Einsetzung des Parlaments Abgeordnete zu bestimmen. Alles andere wäre ein Verstoß gegen europäisches Recht, Klagen könnten die Folge sein. In London heißt es dazu aber: „Wir haben kein Interesse daran, bei den Europawahlen noch einmal anzutreten“, (Ashley Fox, Chef der Tory-Abgeordneten im Europaparlament).
Auch hier werden jetzt einige Szenarien durchgespielt, eine Umgehungslösung zu finden, mit ungewissem Ausgang. Ein Szenario beschreibt Brexit-Unterhändlerin Weyand. Mit jedem Tag, so die EU-Beamtin, wachse das Risiko eines ungeregelten Brexits. Der Grund, so Weyand, sei simpel: „Der Crash ist das einzige Szenario, das nicht voraussetzt, dass jemand irgendetwas unternimmt oder eine Entscheidung trifft.“[1]
Handelskonflikt USA / China:
Für die Börsen wird der Ausgang der Handelsgespräche überaus wichtig sein, denn was die Entwicklung um den Brexit für Europa (und besonders auch für Deutschland) ist, ist die Entwicklung in den Handelsbeziehungen USA / China für die globale Weltwirtschaft. Denn hier geht es nicht nur schlicht und ergreifend um die Neudefinition der Wirtschaftsbeziehungen zwischen zwei Ländern, hier geht es um die Neudefinition der Globalisierung – damit um Sein oder Nichtsein des die letzten Jahrzehnte prägenden neoliberalen Systemansatzes. Ein Scheitern und eine damit einhergehende Verschärfung des Konfliktes bedroht Lieferketten, bedroht Absatzmärkte, bedroht die gesamte Konjunkturentwicklung, die derzeit ohnehin unter Druck steht.
Hatte man auf eine Lösung des Konfliktes Ende der Woche gehofft, so sind hier die Erwartungen enttäuscht worden. Beide Seiten sprachen nach dem Treffen des chinesischen Vizes (und seiner Delegation) mit dem US-Handelsbeauftragten (und dessen Delegation) in Washington zwar von „guten Absichten“ – es wurde aber auch klar, dass eine endgültige Einigung wohl erst nach einem Treffen zwischen Trump und dem chinesischen Präsidenten zustande kommen könnte. Hierzu reist die US-Delegation im Februar nach China und soll dabei auch den geplanten Gipfel USA / China vorbereiten.
Eine Lösung scheint noch weit entfernt. Es heißt aus „informierten Kreisen“, dass man sich im Bereich von Finanzdienstleistungen bereits deutlich angenähert habe, was die Bereiche Landwirtschaft und Industrie betrifft, sei man von einem „Deal“ nach Trumps Wortwahl allerdings noch weit entfernt.
Fed – Zinspolitik
Einen Paukenschlag setzte am Mittwoch die US-Notenbank – auch wenn sich hier ebenfalls zwei Seiten der Medaille zeigten: die Fed deutete in der Pressekonferenz eine Zinsanhebungspause an. Es hieß im Statement, man wolle bei künftigen Anpassungen des Leitzinses „geduldig“ sein, die bisher enthaltene Passage, wonach weitere Zinserhöhungen nötig seien dürften, fiel dabei weg. Darüber hinaus senkte die Notenbank ihre Einschätzung zur Wirtschaftslage auf „solide“ von ursprünglich „stark“. Der US-Leitzins wurde wie erwartet in der Bandbreite von 2,25 bis 2,50 % bestätigt. Ob es in diesem Jahr, nach vier Zinsanhebungen in 2018, überhaupt zu einer weiteren Zinserhöhung kommt, ist damit unsicher, heißt es von Händlerseite. Die Fed Funds Futures preisten Mittwochabend einen weiteren Zinsschritt in diesem Jahr nur noch mit einer Wahrscheinlichkeit von knapp 7 % ein. Am Dienstag waren es noch 21 %.
Einige andere Akteure halten weitere Zinsschritte in 2019 zwar für möglich, aber erst in der zweiten Jahreshälfte. So äußerte sich am Mittwoch eine US-Portfoliomanagerin gegenüber Reuters: „Wir gehen davon aus, dass die Fed eine Zinspause einlegt und sich in der ersten Jahreshälfte zurückhält und die Konjunkturentwicklung beobachtet um dann mit zwei weiteren Zinserhöhungen in der zweiten Jahreshälfte den Zinserhöhungzyklus wieder aufzunehmen.“ Weiter hieß es dann: „In Übereinstimmung mit den jüngsten Aussagen von Fed-Mitgliedern hat die Notenbank als Reaktion auf die gestiegenen globalen Wachstumsunsicherheiten, die Volatilität an den Finanzmärkten und die fragilen Handelsbeziehungen zwischen den USA und China einen zunehmend vorsichtigen Ansatz gewählt.“
Unmittelbar nach der Fed-Pressekonferenz ging man in der Mehrheit im Markt davon aus, dass zumindest von der Zinsseite her „Ruhe und Kalkulationssicherheit“ einkehrt, und man sich jetzt mehr auf die Brandherde Brexit und Handelskonflikt fokussieren könnte. Doch es dauerte nicht lange und es wurden die obligatorischen Gegenfragen gestellt: „Schön, dass die Fed die Zinsen belässt wo sie sind – möglicherweise sogar wieder senken könnte – aber warum macht sie das?“ Die Fed hatte ihre Zinspause mit Konjunktursorgen begründet – und da war es wieder, das Unwort. Eine Anlagestrategin sagte gegenüber Reuters: „Powell gab zu, dass die finanziellen Bedingungen sich im vierten Quartal erschwert haben und bestätigte, dass die Sorgen um das globale Wirtschaftswachstum eine Berücksichtigung in der Geldpolitik erfordern“.
Untermauert wurde diese Ausgangslage durch ein geringes BIP in der Eurozone. Dieses ist im vierten Quartal kaum gewachsen, Italien ist sogar in eine technische Rezession abgerutscht – d.h. Italien hatte zwei Quartale in Folge mit einer schrumpfenden Wirtschaftsleistung zu kämpfen. Am Donnerstagnachmittag fiel dann der Einkaufsmanager-Index für die Region Chicago viel schwächer als erwartet aus. Analysten hatten für Januar eine leichte Abschwächung auf 61,4 erwartet - der Index wurde aber mit 56,7 veröffentlicht.
Und eine schwache Konjunktur in einer Zeit, in der durch einen möglichen ungeregelten Brexit und eine Verhärtung der Handelsbeziehungen der beiden weltgrößten Volkswirtschaften drastische Zusatzbelastungen auf die Weltwirtschaft zukommen, relativiert den Schubeffekt der US-Zinsentscheidung wieder.
„Das was wir am Donnerstag sahen, war ein klassischer Gamma-Schock“
Auch wenn wir noch andere Belastungsfaktoren bzw. börsenbeeinflussende Themen aktuell auf dem Tisch haben, so sind die oben beschriebenen Brennpunkte derzeit wohl die marktdominantesten Epizentren. Wenden wir uns jetzt dem Börsenumfeld zu. Wir gingen in den letzten Wochen von folgender produkt- bzw. portfoliotechnischen Ausgangslage aus:
- es bestehen unverändert große Hedges Positionen
- Liquidität hat sich deutlich reduziert
- Deltas der Portfolios sind noch immer niedrig
Das daraus gezogene Fazit beschrieb sich wie folgt:
- negative Erwartungen sind zu einem großen Teil eingepreist
- „Risiko“ wird aktuell weiterhin auf der Oberseite gesehen
- somit könnte dort die Überraschung lauern
Spricht man mit Leuten im Handel, die auf Grund ihrer Positionierung im Markt durchaus gut einschätzen können müssten, was sich jüngst verändert hat, werden jetzt folgende Einschätzungen getroffen:
- der überwiegende Teil der Hedges sollte zu sein
- Liquidität hat sich nicht weiter aufgebläht, bleibt somit im Normalbereich
- Deltas der Portfolios sollten höher liegen, als noch vor zwei Wochen (was mit der Reduzierung der Hedges zusammenhängt)
Ein Aspekt, den wir noch vor Wochen unbeachtet lassen konnten, aber bereits im Monday-Spot der Kalenderwoche 03 („Was tut er, wenn er weiß, dass ich weiß, was er plant?“) thematisierten, müssen wir jetzt noch hinzuzählend portfoliotechnisch als wichtigsten Einflussfaktor beachten: das aktuell ausgeprägt negative Gamma-Umfeld.
Damit lassen sich die aktuell zum Teil heftigen Bewegungsschübe objektiv erklären, da wir hier nicht (wie in der klassischen Analyse – sei sie technisch oder fundamental - üblich) mit dem Konjunktiv arbeiten müssen. Analysten können nicht anders: da die Märkte für sich eben nichtlineare Systeme sind und diese von reflexiven Marktakteuren beeinflusst werden, sind sie strenggenommen unprognostizierbar und wir können nur in Phasen geregelten Feedback-Verhaltens Regeln des Verlaufes definieren, diagnostizieren und prognostizieren. Damit bewegen wir uns für gewöhnlich im Konjunktiv, stark vom jeweiligen subjektiven Einschätzungsvermögens des Analysten oder Händlers abhängig.
Der Gamma-Effekt ist dagegen objektiv, er ist real. Umso erstaunlicher ist seine geringe bis überhaupt nicht stattfindende Beachtung in den allgemeinen Markteinschätzungen oder über das Internet verbreiteten Prognosen. Um seine Objektivität zu untermauern, benötigen wir jedoch drei Prämissen:
- Die Eurex-Clearing AG liefert täglich tatsächlich die echten Zahlen aller offenen Optionspositionen (davon können wir ganz fest ausgehen),
- die Optionspreistheorie ist gültig und beschreibt das echte Optionsverhalten und dessen Auswirkungen auf die Portfoliobewertung (auch davon können wir ganz fest ausgehen) und
- die im Markt dominanten Akteure verhalten sich wirtschaftlich sinnvoll, das heißt, sie verstehen was sie tun und fokussieren auf Erträge (auch davon können wir ausgehen, da kein Akteur Zugriff auf institutionell „großes Geld“ hätte, seinen Arbeitsplatz im Handel behaupten könnte, ja nicht einmal bis dahin gekommen wäre, wenn er fachlich ungeeignet wäre).
Das heißt, unterstellen wir die Richtigkeit dieser drei Prämissen, ist der Effekt des Gammas, der daraus resultierende Hedges-Bedarf im Futures, die Bestimmbarkeit, wann in etwa, wo und in welche Richtung Eingriffe erfolgen werden, welche den Markt bewegen, objektiv bestimmbar. Die Realität muss dann immer wieder den Beweis erbringen – aber das sehen wir tatsächlich jeden Tag und der letzte Donnerstag, nach der Verkündung einer möglichen Fed-Zinspause, war absolut exemplarisch dafür und folglich super handelbar.
Kurzer Ausflug in die Theorie
Um das aktuelle Geschehen an der Börse im Kurzfristzeitfenster – also im Trading-relevanten Zeitfenster besser zu verstehen, müssen wir einen ganz kurzen Abstecher in die Theorie des speziell den DAX stark beeinflussenden Theta / Gamma Tradings machen. Ich bemühe mich um eine ganz kurze und knappe Erläuterung der wichtigsten Grundsätze, ohne die das Verstehen des Geschehens eher keinen Sinn ergeben würde.
Sehen wir uns dazu die Aufarbeitung der Ausgangslage an:
Diese Grafik zeigt die Ausgangslage des Umfeldes im Bezug auf den potentiellen Hedges-Bedarf, ausgehend offener Eurex-Optionen auf den DAX-Index Stand Mittwoch nach Handelsschluss.[2] Dies ist eine modellhafte Auswertung, da hier (abweichend zur Realität) mit einer beschränkten Skalierung gearbeitet wird und wir eine lineare implizite Volatilität unterstellen, während in der Realität eine Skew vorliegt. Für unsere handelsrelevanten Zwecke reicht diese Berechnung und Darstellung allerdings vollkommen aus.
Wir sehen, dass wir uns am Donnerstagmorgen fast am hier ermittelten Höhepunkt des Hedges-Bedarfs durch die Theta-Gamma Seite im Optionsmarkt befanden.
Rechnete man den angenommenen Hedges-Bedarf auf konkrete Futures (FDAX) pro Punkt, den sich der DAX-Index als Basiswert bewegt um (was ja möglich ist, da der FDAX durch seine Bindung über die Basis an die Kasse ja das ideale, liquidere und vor allem kostengünstigere Hedges-Produkt ist), ergaben sich am Donnerstagmorgen folgende Werte:
Wir fokussieren hier auf die erste und zweite Spalte. Die erste Spalte zeigt den kompletten Hedges-Bedarf in Futures pro Punkt im Bezug auf die Positionen aller Laufzeiten, die zweite Spalte bezieht sich nur auf die offenen Positionen des Frontmonats Februar. Da wir nur die Überhänge zwischen Call und Put betrachten und davon auch nur Teile (33 % des Bedarfes im Bezug auf alle Werte bzw. 50 % des Bedarfes des Frontmonats), ist der tatsächliche Hedges-Bedarf folglich entsprechend kleiner.
Diese obige Grafik beschreibt somit das objektive „Gravitationsumfeld“ innerhalb des Marktes. Daraus lassen sich folglich Handelsrichtungszwänge der Optionsseite herleiten. Auch diese erfolgen nicht mechanisch (auch hier gibt es im Sinne der Systemtheorie keine standardisierten Feedbacks, sondern nur geregeltes oder (wie am Donnerstag gesehen) spontanes Verhalten. Auch die Theta / Gamma Seite unterliegt reflexiven Zwängen, was man jeden Tag sehen kann und am Donnerstag besonders auffällig sah).
Im Gegensatz zu einem Futures-Händler, der im klassischen Long-Short-Trading von sich aus die Entscheidung trifft, wann er eine Position eröffnet und wieder schließt (und bei Unsicherheit auch mal außen vor bleiben kann), ist die Optionsseite permanent gezwungen zu reagieren (oder gegebenenfalls zu antizipieren). Das resultiert aus der Gegebenheit heraus, dass sich das Delta des Optionsportfolios dynamisch verändert, sobald sich der Markt bewegt. Das dem gegenüberstehende Hedges-Delta im Futures ist allerdings statisch und muss jeweils angepasst werden, was zu marktbewegenden Eingriffen im FDAX zwingt. Sind wir also in der Lage, die Höhe der Veränderung des Deltas pro Punkt (in etwa), als auch die Richtung der Delta-Veränderung zu berechnen (zu Gunsten der Optionsseite mit Handelsrichtung des Basiswertes im Gamma-Long-Umfeld bzw. zu Ungunsten der Optionsseite entgegen der Handelsrichtung des Basiswertes im Gamma-Short-Umfeld), lassen sich für uns sehr gut tragende Bewegungsschübe vorbestimmen. Über die Zeit lässt sich auch die reflexive, ganz persönliche Arbeitsweise des dominantesten Akteurs aus dem Theta / Gamma Trading herauslesen und man wird mit ihm und seinem Vorgehen vertraut.
Dadurch, dass die Optionsseite aktuell im ausgeprägt Gamma-Short-Umfeld agieren muss, steht im Falle von Kursbewegungen die Notwendigkeit der Verlustbegrenzung im Vordergrund (zur Sicherung des eingenommenen Thetas) und das hat zur Folge, dass hier antizipiert werden muss, um ein Vorhalten des Deltas zu ermöglichen. Damit endet der äußerst knappe Besuch in die Theorie.
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Was ist am Donnerstag geschehen?
Versetzen Sie sich bitte wieder in die Lage der Optionsseite. Grundsätzlich bewegen wir uns also gegenwärtig in einem Umfeld, in dem die Theta / Gamma-Seite Zeitwerterträge einfährt, diese sich aber mit einem negativen Gamma erkaufen muss. Solange ein Markt nur mäßiges Bewegungsverhalten aufzeigt, ist alles gut. Geringe Schwankungen können entweder antizipiert oder gar ausgesessen werden. Kritisch werden heftigere Bewegungen, besonders wenn diese durch finalen Orderfluss generiert werden. Dann heißt es – Antizipieren, mindestens jedoch mithandeln, im Gamma-Short-Umfeld in Richtung der Drittorder, was zu einer gegenseitigen Kanibalisierung führen kann und zwingend zu Impulsbeschleunigungen führen muss.
Sind Sie jetzt auf der Optionsseite, müssen Sie im aktuellen Gamma-Short-Ausmaß der Rahmensituation rasch reagieren, wenn sich Orders im Markt abzeichnen.
Schlagen wir jetzt den Bogen zum geowirtschaftlichen Umfeld:
Die US-Notenbank hatte am Mittwoch ihr Zins-Statement abgegeben. Von Seiten der SocGen hieß es dazu Donnerstagfrüh: „Die Fed überraschte uns wie die Märkte mit einer extrem taubenhaften Haltung.“ Reuters schrieb dazu: „Während der Zinserhöhungszyklus in den USA an der Börse als zunächst beendet eingestuft wird, stellt sich die Frage, ob nicht der Zyklus für Zinssenkungen eingeleitet wurde.“ Wenn wir uns jetzt vergegenwärtigen, dass wir im Markt latent von einem höheren Kaufbedarf in den eher noch leicht überhedgen Portfolios ausgingen, lag nahe, dass nach diesen Fed-Aussagen Käufe anstehen würden. Das heißt: auch die Optionsseite war alarmiert.
Vom Kasse-Start weg setzte sich sofort eine (oder mehrere) Kauforders durch – zunächst in der Kasse, danach im Futures, was die Optionsseite als zwingend beschleunigenden Mitkäufer in den Markt hob. Es gab keine Alternative. In knapp 30 Minuten riss man sich gegenseitig um die begrenzten Angebote, was auch genug Kurzfristtrader mit an Bord hob und diese als Mitläufer trug.
Am Ende der Order(s), setzten die obligatorischen Blockabbauten ein und der Kurs ging zunächst gemächlich, schließlich ausgeprägter in die Reaktion. Mit Anstieg des Kurses stieg der Hedges-Bedarf auch absolut an, da sich das Gamma-Short-Umfeld nach oben hin zuspitzte (Sie sehen diesen Fakt in der ersten obigen Grafik). Hedgesbedarf gilt im Gamma-Short-Umfeld beidseitig. Kommt jetzt Druck auf, dann schwenkt der Handlungszwang von ursprünglich kaufen in jetzt verkaufen. Erneut wurde die Optionsseite in den Markt gezwungen, diesmal als Verkäufer, nachdem sich die Meinung im Markt durchzusetzen schien, dass auf Grund einer durch die Fed kritischen Konjunktureinschätzung die Bäume kaum in den Himmel wachsen werden.
Hinzu kamen unterschiedlich interpretierbare Konjunktur- und Bilanzzahlen, das Thema einer Zwangsfusion DBK / CBK wurde wieder aktuell und damit das Bewusstsein, dass hier noch immer derivate Zeitbomben im Markt schlummern (siehe Monday-Spot Kalenderwoche 52 / 01 „Werfen wir im Jahr 2019 die letzten Jetons auf den Tisch?“). In der Konsequenz rutschte der Markt massiv ab, deutlich beschleunigt durch das zwingend notwendige Anpassen der Deltaverzerrungen durch die Optionsseite. Wir hatten am Donnerstag über weite Strecken die Dramatik, dass weniger Kontrakte im Orderbuch standen, als allein die Optionsseite zum vollständigen Hedgen pro Punkt benötigt hat. Das heißt: selbst wenn die Optionsseite nach oben hin als einziger Käufer aufgetreten wäre (was sie ja nicht ist), hat sie nie die Stücke bekommen, die sie pro Punkt benötigt hat und wurde trotz massiver Käufe stellenweise immer shorter anstatt flat oder long. Gleiches geschah auf der Unterseite, nur mit umgekehrten Vorzeichen.
Erst eine sich stabilisierende Wall Street brachte am späten Nachmittag wieder einen Gegenimpuls, der ein drittes Mal am Tag die Optionsseite auffälliger als üblich in den Markt zwang.
Am Freitag traten diese Effekte wieder gedämpfter auf.
Wie geht es weiter?
Letzte Woche schrieb ich zur gleichen Frage: „Im Fazit bleibe ich folglich auch für die kommende Woche noch optimistisch – werde aber im jeweiligen Morgen- und Mittags-Meeting darüber informieren, wie in den Banken die Ausgangslage und die Rahmenbedingungen gesehen werden, so dass wir rasch Veränderungen der Sichtweise mitbekommen und darauf reagieren können.“
Der Tageschart des FDAX zeigt, dass die letzte Handelswoche zum Teil schwankungsintensiv war, eine nennenswerte Veränderung des Kursniveaus brachte sie aber nicht mit sich.
Fakt ist, dass wir uns aktuell in einem Zeitfenster bewegen, in dem geopolitische und geowirtschaftliche Aspekte, mehr noch ihre jeweilige Interpretation, die Märkte beeinflussen, verstärkend oder abschwächend dominiert durch die jeweilige portfoliotechnische Ausgangslage im weitesten Sinne.
Somit ist und bleibt die große Unbekannte, wie sich die Situation um den Brexit entwickeln wird – und wie man dies wertet im Markt – und wie die Tendenzen mit China und den USA sein werden.
Fakt ist: das Umfeld bleibt vorerst weiterhin Gamma Short, so rasch sind notwendige Umbauten unmöglich. Theta / Gamma Trading ist immer noch weithin ein eher strategisches Unterfangen mit taktischem Agieren. Folglich bleibt der beschleunigende Faktor von der Optionsseite erhalten und wird auch in der jetzt kommenden Woche wirken.
Da laut Ansicht der befragten Akteure der allgemeine portfoliotechnische Hedges-Bestand auf der Equity-Seite deutlicher reduziert sein soll, lässt der natürliche Schubfaktor auf der Oberseite deutlich an Einfluss nach – darauf hatte ich ja seit Jahresanfang meine latent optimistische Erwartungshaltung aufgebaut. Somit werden wir wahrscheinlich auch in der jetzt kommenden Woche seitwärts bis leicht aufwärts tendieren, solange keine schlechten Meldungen in den aktuellen Brandherden uns verwüsten.
Ich werde weiterhin täglich im Morgen- und Mittags-Meeting abgleichend darauf eingehen.
Ich wünsche uns eine erfolgreiche Woche!
Uwe Wagner
[1] Siehe dazu Spiegel Ausgabe 6/2019
[2] Auf Ermittlung und Bearbeitung dieser Daten und die daraus zu ziehenden Schlüsse kann hier nicht eingegangen werden, da dies den Rahmen sprengen würde.
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