„Was haben die eingepreist? Wohl doch einen harten Brexit!“
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Versuchen wir auch heute wieder nach den Handelsmotiven hinter den Kursgewinnen zu suchen, zumal sich vordergründig das Interesse auf jene Werte fokussierte, welche von renommierten Analystenhäusern eigentlich zum Verkauf empfohlen wurden. Und auch die geowirtschaftlichen Rahmenbedingungen zeigten keine echten Durchbrüche in ihrer Ausrichtung. Aber dennoch: die letzte Woche war eine Woche, welche zumindest die Hauptrichtung der Aktivitäten der finalen Seite wieder klarer aufzeigte, als das teilweise „Gegurke“ der Woche davor.
In den Morgen Meetings wiesen wir in den letzten zwei Wochen immer wieder darauf hin, dass die zunächst eher unstrukturierten Sorgen zur Entwicklung des Brexit, Handelskonflikt, Konjunkturentwicklung lokal und global, Geldpolitik und Unternehmensentwicklung sich zunehmen strukturierten und eine klare Ausrichtung auf die Konjunktur an sich nahmen, während alle früheren Brandherde diesen Konjunktureinschätzungen als Bestandteile untergeordnet wurden. Interessant war dabei, dass die Fokussierungen durchweg kritisch lagen. Analysten verwiesen auf schwache Konjunkturzahlen, vornehmlich in den USA und China, aber auch Europa kam dabei nicht gut weg. Als dann auch noch die Zentralbanken (Fed, EZB und die Notenbank Neuseelands) im Chor eine auffällig taubenhafte Tonlage anschlugen, forcierte dies die Sorgen im Markt, hier könnten Strukturprobleme wieder einmal übertüncht werden. „Was wissen die, was wir nicht wissen?“, hieß es und konjunkturabhängige Werte kamen auf die Abschusslisten, während Anleihen und defensive Werte gesucht waren.
Das Interessante bei der Beschäftigung mit einem reflexiven und nichtlinearen Systemverhalten ist, zu sehen, wie stimmungsgetriebene Handelsstränge immer wieder einen Stimmungs- und Handelsumschwung vorbereiten und diesen dann einleiten, obwohl sich am Fakt selbst (in diesem Falle an der konjunkturellen Grundentwicklung) nichts verändert hat. „Heute Hüh, morgen Hot“, ist das Markenzeichen reflexiven Verhaltens in einem markttypischen System. Die letzte Woche war einmal mehr ein schlagender Beweis dafür, eingeleitet durch chinesische Konjunkturzahlen – hier konkret in Form des Einkaufsmanager Index für das Verarbeitende Gewerbe. In China erreichte die Aktivität in der Industrie im März ein Sechsmonatshoch. Der Einkaufsmanagerindex (PMI) für den verarbeitenden Sektor überstieg mit 50,5 (Februar: 49,2) wieder die Expansionsschwelle von 50 und auch die Prognose der Ökonomen von 49,7. Auch in der Dienstleistungsbranche hellte sich die Lage auf. Der von Caixin ermittelte PMI für den verarbeitenden Sektor überraschte am Montag ebenfalls positiv und stieg auf den höchsten Stand seit Oktober letzten Jahres.
Man könnte jetzt müde mit den Schultern zucken und sagen: „Na und?“, aber ganz so einfach ist es nicht. Erinnern wir uns an Analystenaussagen von vor zwei Wochen, wo es um die Frage ging, ob wir uns in einer temporären Konjunkturabschwächung befinden oder eher in einem nachhaltigen Sog auf der Unterseite. Die Nachrichtenagenturen zitierten Experten mit den Worten: „Das zweite Quartal ist eher die 'Realitätsphase' für die Märkte“, oder „Entweder beginnt sich das Wachstum zu erholen, was den Anstieg der Aktienkurse bestätigt, oder die Erholung bleibt aus, in diesem Fall sehen Risikoaktiva sehr anfällig aus.“ Einige Schwergewichte im institutionell beachteten Analystenumfeld tendierten zunehmend in die pessimistische, mindestens jedoch zurückhaltende Interpretationsebene, was natürlich nicht spurlos an den Zusammenstellungen der Portfolios großer Fondsgesellschaften vorbei ging.
Hedges standen auf der Tagesordnung, Umschichtungen wurden betrieben, sogar von grundsätzlichen Kapitalabflüssen aus Europa in die „Brexit-freie Zone USA“ war die Rede – zumindest begründete der Geldhandel damit den starken Kurszuwachs im USD gegenüber Euro bis vorvorige Woche.
Doch was zeigt ein solches Vorgehen uns immer und immer wieder? Die Ausrichtung in die eine Richtung, öffnet eine Flanke auf der anderen Seite. Plötzlich meldet sich Chinas Konjunktur zurück, obwohl im Handelsstreit mit den USA zwar viel geredet, aber effektiv noch nichts passiert ist. China litt auffälliger unter den Belastungen als die USA (welche jedoch ebenfalls Blessuren aufzuweisen begann). Und dann kommen die zu Wochenbeginn mit solch einer Hammerzahl? Für manch einen Fondsmanager ging die Woche mit einer kalten Dusche los, denn durch die Bank erwischte man sie auf dem falschen Bein.
Der Schwenk folgte auf dem Fuße, wir sahen es besonders beeindruckend in den schweren Autowerten, die plötzlich wieder ganz oben standen auf den Wunschzetteln der Portfolioseite. Autos und Zulieferer, bis hin zu Werten, die man nicht unbedingt auf dem Radar hat, wenn es um Autos geht. Infineon startete in die letzte Woche mit einem Plus von 4,60 Prozent. „Infineon müssen als Autozulieferer betrachtet werden und nicht als klassischer Chip-Wert“, sagte ein Händler am Montagabend. Da der Vorstandschef von Infineon im Rahmen der Gewinn-Warnung vorletzte Woche besonders auf den beschleunigten Rückgang des Autoabsatzes in China im Februar als Problemquelle hingewiesen habe, trieben nun umgekehrt auch die Hoffnungen auf eine Erholung in China den Kurs.
„Viele institutionelle Anleger waren falsch positioniert“, stellten die Analysten von Merrill Lynch gegenüber Reuters fest. Sie hätten auf Stagnation und nicht auf eine zyklische Erholung gesetzt, hieß es weiter. Und Merrill bestätigte Freitagabend, dass seit den absolut überraschend guten Einkaufsmanagerindizes aus China am letzten Montag hier die Umschichtungen weitergingen.
Lehrbuchmäßig griff man fast hektisch auch in Rohstoffwerten zu, Chemie, Industrie, aber auch Konsum – eben alles, was noch die Wochen davor zum Verkauf gestellt wurde, unter anderen konjunkturellen Voraussichten.
Gute Konjunkturzahlen folgten auch in den nächsten Handelstagen und manch einer der Portfolioentscheider rieb sich die Augen.
Und der Brexit?
„Wir können immer nur eine Sau durchs Dorf treiben“, sagte einmal ein älterer Händler zu mir, als ich bei der Deutschen anfing – eine Aussage, die auch heute noch gilt. Wir Menschen sind kognitiv nicht in der Lage, alle Informationen und Wertungen ihrer tats��chlichen Wichtung nach zu bewerten, einzuordnen und danach zu handeln. Stattdessen picken wir uns heraus, was uns wichtig erscheint, bzw. was wir denken, was anderen wichtig ist / sein könnte. Das geht querbeet, aber auch hier wird es Meinungsklumpungen geben und diese setzen sich temporär durch, bis sie an Bedeutung und Gewicht wieder abnehmen und von anderen Meinungen quantitativ übertrumpft werden – das ist dann die jeweilige „Sau“.
Brexit ist aktuell nicht mehr im Satus einer richtungstreibenden Sau, eher als verbliebenes Ferkel zu werten. Oder etwa nicht?
Fakt ist, der Prozess zieht sich bereits so lange hin, dass der sogenannte Ereignishorizont (das, was wir uns real vorstellen können) auch einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens mittlerweile umfasst. Umfragen in der Industrie jedenfalls zeigen, dass es nicht mehr ein ungeregelter Ausstieg ist, der schlaflose Nächte verursacht, sondern die ewige Unsicherheit nervt und als Kernproblem identifiziert wird. Man will Klarheit – egal was und wie, nur klar soll es sein, damit man sich darauf einstellen kann.
Und während sich das Parlament in London tagtäglich mehr selbst zerlegt und schon zum völligen Gespött verkommt, reden Politiker von einem nun wohl doch immer realistischer werdenden „harten Ausstieg“. Der Markt aber schüttelt diese Sorgen derzeit allem Anschein nach ab.
Und damit stehen wir wohl an einer Kernfrage zum aktuellen Geschehen, welche überaus interessant und auch richtungsweisend sein könnte. Ein Händler formulierte es letzte Woche wie folgt: „Es wird immer vom `Einpreisen´ gesprochen. Was preist die Börse denn ein? Einen geregelten Brexit? Ich denke eher das Gegenteil. Ich denke, die Börse preist einen harten Brexit ein!“
Der deutsche Wirtschaftsminister hatte noch in der letzten Woche für den Fall eines ungeregelten Ausstiegs aus der EU für die Wirtschaft und damit auch für die Börse einen „Crash“ vorhergesagt, den es „unbedingt zu vermeiden gilt“, aber die Finalseite im Markt scheint diese Zeichen der Zeit entweder nicht zu erkennen, ist naiv, weiß mehr als unsere Politiker – oder aber denkt ganz anders. Nicht ohne Reiz bei dem Gedanken könnte man natürlich auch argumentieren, dass bei einem harten Brexit endlich klare Fronten herrschen würden, alle darauf ausgerichteten Umstellungsprogramme der Industrie greifen, wirtschaftliche Einzelvereinbarungen mit Leben gefüllt werden und die Kunden, die sich wegen Unsicherheit aktuell zurückhalten, endlich Klarheit haben und sich wieder nachfrageseitig positionieren. „Mir ist egal, was passiert, Hauptsache es passiert endlich, damit ich wieder nach vorn blicken kann!“, sagte noch zur Mitte letzter Woche ein befragter Mittelständler in der Nachrichtensendung „Tagesthemen“.
Als Fakt könnte man aber durchaus annehmen, dass ein sich weiter hinziehen, tatsächlich noch zu Verwerfungen am Markt führen könnte. Spielt man alle Möglichkeiten im Zusammenhang mit dem Brexit einmal durch, ist eine Endlosverzögerung tatsächlich das kritischste Szenario, auch deutlich vor einem ungeregelten Austritt. Denn die ursprüngliche Erwartungshaltung, welche einige ganz verwegene EU-Politiker vor Wochen diskutierten, wonach eine lange Verzögerung zu einem „Exit aus dem Brexit“ führen könnte, könnte sich bei längerem „darüber nachdenken“ zu einem Schrecken ohne Ende entwickeln. GB nimmt dann an den Wahlen teil und die EU, die sich weiß Gott um ihre eigenen, inneren anstehenden und brennendsten Probleme kümmern müsste, wäre irgendwie ständig mit nörgelnden Briten befasst. Nicht wenige Marktakteure sehen in einem Beibehalt Großbritanniens in der bereits massiv „angeschossenen EU“ den eigentlichen Sargnagel der Gemeinschaft. Denken wir diesen Gedanken zu Ende, wäre ein Ende mit Schrecken wohl doch die bessere Variente – was dann auch mit der aktuell möglichen Stimmungshaltung einiger finaler Marktakteure zusammenpassen würde.
Was ist mit dem Wirtschaftskonflikt USA / China?
In diesem Punkt trommeln die USA und China, mehr allerdings die USA mit Trump als Sprachrohr, derzeit nur optimistische Meldungen, welche besonders in den „brexit-fernen“ USA die Märkte auf immer neue Jahreshochs heben.
„Wir sind nah dran, einen Deal zu machen“, predigte Trump in den letzten Handelstagen gebetsmühlenartig und auch am letzten Freitag wieder, vor einem Treffen mit dem chinesischen Verhandlungsführer im Weißen Haus. Bei den Verhandlungen würden in einem „schnellen Tempo“ Fortschritte erzielt, hieß es ergänzend. Genaueres werde „wahrscheinlich in den nächsten vier Wochen“ klar werden.
Doch wirklich neu ist das alles nicht. Marktteilnehmer hofften die ganze Woche darauf, dass Trump oder einer seiner Getreuen einen Termin für ein Treffen mit dem chinesischen Staatspräsidenten nennen würde, auf dem eine Einigung besiegelt werden könnte. Doch dazu gab es bisher kein Wort. Kritisch wird auch angemerkt, dass überdies ein positives Ergebnis der Verhandlungen zu einem großen Teil in den Kursen eingepreist sei.
Arbeitsmarktbericht
Ergänzend möchte ich noch hinzufügen, dass der US-Arbeitsmarktbericht am Freitag wieder einmal sehr gut ausgefallen ist. Damit bestätigte auch dieser, dass die US-Konjunktur weiterhin zu brummen scheint. Mit einem Stellenaufbau von 196.000 wurde die Prognose, welche bei 175.000 lag, übertroffen. Reuters schrieb dazu: „Damit hat sich der Februar, als lediglich 20.000 neue Stellen geschaffen wurden, als Ausreißer erwiesen.“ Keine Abweichung gab es bei der Arbeitslosenquote. Diese lag wie erwartet unverändert bei 3,8 Prozent. Eine positive Überraschung brachten die US-Stundenlöhne, welche nur um 0,14 Prozent gestiegen sind. Wie die Wirtschaftszahlenkalender zeigten, hatten Ökonomen dagegen ein Plus von 0,3 Prozent erwartet.
Dieser Fakt ist besonders unter dem Blickpunkt auf die US-Notenbank interessant. Per Saldo bleibe damit nämlich das positive Wachstumsbild „ohne Zwang zu Zinsanhebungen erhalten“, hieß es von einem Teilnehmer. Vorbeugend gegen Zinsängste wirke auch, dass die Arbeitslosenquote nicht gesunken sei, sondern bei 3,8 Prozent verharrt habe. Die US-Notenbank hatte zuletzt erklärt, geduldig und datenabhängig entscheiden zu wollen.
Die internationalen Nachrichtenagenturen zitierten einen Händler zu diesem Thema mit den Worten: „Das ist ein Arbeitsmarktbericht ganz nach dem Geschmack der Börsianer“. Denn der Februar sei wohl nur ein witterungsbedingter Ausreißer nach unten gewesen. Der US-Arbeitsmarkt bleibe robust, allerdings sei die entscheidende Botschaft das Lohnwachstum: „Der langsamere Anstieg der Löhne nimmt weiter Druck von der Notenbank“, heißt es bei Reuters weiter. Die US-Notenbank könne damit an ihrem defensiven Kurs festhalten: „Eine ohnehin schon unwahrscheinliche Zinserhöhung ist damit noch einmal unwahrscheinlicher geworden“.
Das technische Bild
Betrachten wir den Kursverlauf der Aktienmärkte, hier besonders DAX / FDAX, aber auch die US-Indizes, - ohne Berücksichtigung der Ursachen der Kursbewegungen (Umfeld und Akteur), fallen die nach klassischer Lesart auffälligen Überhitzungen auf Tagesbasis auf. Bei den oben genannten Indizes sticht dabei der deutsche Index mit seinem Futures besonders hervor, während die US-Barometer bereits Divergenzen im überkauften Bereich ausformen. Die trägeren Richtungsfilter weisen dagegen unverändert aufwärts. Man kann also sagen: quantitativ sind die Ampeln unverändert auf Grün, während sie qualitativ bereits auf Gelb springen.
Sinnvolle Widerstände lassen sich auf Tagesbasis dagegen weder im DAX, noch im Dow Jones, noch im S&P 500 herleiten, da wir kaum sinnvoll unterstellen können, dass auf höheren, früheren Wendepunkten aus dem Vorjahr tatsächlich noch nennenswerte Positionsschieflagen aus dem Trading-Bereich vorliegen, welche jetzt wegen möglicher Glattstellungen die Angebotsseite (Widerstand) verstärken könnten. Konkret sind nach oben hin alle dort irgendwie herleitbaren Marken einzig reflexiven / diskretionären Charakters.
Gamma-Verzerrungen
Die Optionsseite trug in der letzten Woche erheblich mit dazu bei, dass sich der DAX / FDAX bewegten, wie sie sich bewegten. Wir befinden uns in einem ausgesprochen stark verzerrten Gamma-Umfeld, was den Hedges-Bedarf pro Punkt deutlich strapaziert. Belohnt wurden wir im Kurzfristhandel davon, denn die Optionsseite verhielt sich lehrbuchmäßig – einen ganz herzlichen Dank an dieser Stelle an den / die Kollegen und „Kopf hoch“, auch das geht vorbei.
Wie geht es weiter?
Blicken wir in die Glaskugel, steigt die Erwartung, dass der Aktienmarkt in eine Korrektur übergehen könnte, zumindest wären Gewinnbesicherungen durchaus realistisch zu erwarten – die wir jedoch nicht antizipierend vorwegnehmen sollten. Die Portfolioumbauten sind mit hoher Wahrscheinlichkeit noch nicht abgeschlossen, aber es wird gefühlt „teuer hier oben“, wenn der Markt nahezu ohne Reaktion klettert und klettert. Eine Gesamtgefährdung der positiven Grundtendenz erwarte ich noch nicht (bei allem Stochern im Kaffeesatz), solange die Grundstimmung nicht durch externe Veränderungen in den zentralen „Brandherden“ verändert wird.
Legen wir die Reaktionspotentiale auf Tagesbasis am Kursverlauf des FDAX an, lassen sich folgende mögliche Reaktionsziele errechnen (wichtig: diese Vorgehensweise ist rein statistisch, sie berücksichtigt weder die geo-politische, noch geo-wirtschaftliche Ausgangslage, ignoriert die Akteure und ihre möglichen Interessen und Vorgehen und orientiert sich auch an sonst keinen klassisch analytischen Aspekten): 11.797 / 11.760 (Minimumkorrektur), 11.669 (Normalkorrektur) und 11.578 / 11.542 (Maximumkorrektur).
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der übergeordnete Aufwärtsimpuls auf Tagesbasis nicht zerstört ist, solange das errechnete minimale Reaktionspotential nicht unterschritten wird. Wir werden diesen Sachverhalt täglich in den Morgen-Meetings vertiefen.
Uwe Wagner
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Danke für ihre Beiträge. Es finde ihre Beiträge steht's mit am wertvollsten.