Kommentar
15:39 Uhr, 16.06.2016

Brexit - ein Gespenst geht um…

Die mediale Berichterstattung zum Thema des Monats macht deutlich, dass wir es mit Problemen zu tun haben, die weit über einen möglichen Austritt Großbritaniens aus der EU hinausgehen...

Erinnern Sie sich noch an die gruseligen Märchen aus Kindertagen? An die Geschichte von „bösen Wolf“ zum Beispiel oder an Geister und Gespenster, die angeblich des nachts an die Tür klopfen? Huhu, wie furchterregend!

Sieht man sich in diesen Tagen die Berichterstattung zum alles beherrschenden Thema „Brexit“ an, entsteht der Eindruck, dass Gruselgeschichten aus der Kinderwelt gerade Hochkonjunktur haben.

Was wird da nicht alles an Horrorgemälden an die Wand gemalt, sollten die Briten am kommenden Donnerstag für einen Austritt aus der EU votieren.

Die Kollegen von den Deutschen Wirtschaftsnachrichten haben einmal die Überschriften der wichtigsten Nachrichtenagenturen dpa, Reuters und AFP durchforstet und im folgenden Artikel ohne weitere Kommentierung zusammengestellt. Die prägnantesten medialen Panik-Attacken der jüngeren Vergangenheit zum Thema lauten:

„Britische Gewerkschaften warnen Mitglieder vor Folgen eines Brexit

Zwischen „halber“ EU-Mitgliedschaft und Handelsstatus wie Botsuana

Britischer Finanzminister warnt vor Steuererhöhungen bei Brexit

Britische Firmen fürchten bei Brexit das Schlimmste

Studie – Ärmere Haushalte würden bei Brexit besonders belastet

Verteidigungsminister – Brexit schwächt Sicherheit Westeuropas

Cameron – Brexit würde Renten- und Gesundheitssystem belasten

Brexit-Gefahr macht Anleger hochnervös

Ifo: Bis zu drei Prozent Wachstumsverlust in Deutschland bei Brexit

Cameron warnt vor Rentenkürzungen nach Brexit-Votum“

Es ist offensichtlich, dass hier eine ganz bestimmte Botschaft transportiert werden soll, nämlich: Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre eine einzige Katastrophe.

Dabei muss man nicht einmal einem Grundschüler erklären, dass jede Medaille zwei Seiten hat. Es macht daher Sinn, zwischen den Zeilen zu lesen und etwa danach zu fragen, was zum Thema Brexit derzeit alles NICHT berichtet wird.

Zum Beispiel lesen wir so gut wie nirgends, dass etwa die Schweiz oder Norwegen mit ihren europäischen Nachbarländern ganz selbstverständlich und friedlich zusammenleben – und sogar erfolgreich Handel betreiben. Wer hätte denn so etwas gedacht?

Kaum Erwähnung findet auch die Tatsache, dass Großbritannien schon heute nur ein halbes EU-Mitglied ist: Aus guten Gründen haben die Briten stets ihre eigene Währung behalten und sind deshalb unabhängig von den fiskal- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen der EU, wie auch von den Irrungen der Europäischen Zentralbank (EZB). Daraus ergeben sich unbestreitbare Vorteile, die sich bei einem EU-Austritt noch wesentlich verstärken dürften.

Außerdem ist Großbritannien bis heute weder Teil des Schengenraums noch beteiligt es sich in nennenswertem Umfang an der Aufnahme von Asylanten: Bis 2020 (!) wollen die Briten 20.000 (!) syrische Flüchtlinge aufnehmen. So viele kommen nach Deutschland an einem „guten Tag“ innerhalb von 24 Stunden. Die britische „Willkommenskultur“ sieht da völlig anders aus, was vor allem langfristig nicht zum Schaden Großbritanniens sein dürfte, insbesondere nach einem Brexit.

Doch Chancen eines britischen Austritts aus der EU-Zwangsbeglückung scheint es im medialen Gruselkabinett nicht zu geben, für niemanden – stattdessen werden nahezu ausschließlich die Risiken transportiert. Dabei kann sich jeder an fünf Fingern einer Hand abzählen, dass eine solche Betrachtungsweise mit der Realität rein gar nichts zu tun hat.

Wohltuend kommt da ein Beitrag der Wirtschaftswoche daher, der feststellt, dass ein Austritt Großbritanniens zumindest für Anleger mehr Chancen als Risiken beinhaltet.

Die Folgen für die britische Wirtschaft stehen freilich auf einem ganz anderen Blatt:

Sie ergeben sich vor allem aus dem Zugang zum gemeinsamen europäischen Markt, den sich Großbritannien nach einem möglichen Brexit sichern kann. Doch glaubt wirklich irgendjemand, dass die EU Großbritannien nach einem Austritt schlechter behandeln würde als die Schweiz? Das Gegenteil ist zu erwarten, denn anders als die Schweiz bleibt Großbritannien auch nach einem Brexit ein ökonomisches Schwergewicht.

Dann wäre da noch die Währung:

Ein Brexit hätte mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest kurzfristig eine Abwertung des britischen Pfund zur Folge. Wenn der Euro abwertet, dann jubeln die Experten, inklusive Mario Draghi, weil dadurch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft steigt.

Doch wenn das Britische Pfund abwertet, dann soll das plötzlich ein Problem sein? Ein Problem hätte wohl eher die EU, und zwar dann, wenn sich das Pfund längerfristig neben dem Schweizer Franken als eine Art europäische Fluchtwährung etablieren sollte. Bei der aktuellen Geldpolitik der EZB kein ganz unwahrscheinliches Szenario.

Die britische Variante der BILD-Zeitung trommelt unterdessen immer lauter für den Brexit. Nachdem Queen Elisabeth II auf der Titelseite der Sun bereits vor einiger Zeit mit einem angeblichen Pro-Brexit-Votum für Wirbel gesorgt hatte, legt das Boulevardblatt in dieser Woche noch einmal nach und empfiehlt ihren Lesern, für einen Austritt aus der EU zu votieren. Die Briten sollten sich "vom diktatorischen Brüssel befreien", heißt es.

Jüngsten Umfragen zufolge neigen jetzt immer mehr Briten dazu, diesem Aufruf zu folgen. Somit könnte sich auch die stark einseitig geprägte mediale Darstellung der Brexit-Frage schlussendlich als Bumerang erweisen. Sollte es tatsächlich zum Brexit kommen, können sich diesen Schuh unsere Medien anziehen.

Problem erkannt...

Ganz nebenbei macht das Phänomen einen Aspekt deutlich, der uns in den kommenden Jahren noch öfter beschäftigen wird: Die mediale Befangenheit, die in der Brexit-Frage einmal mehr offensichtlich wird, macht deutlich, dass uns Diskussionen allein um eine andere Geld- und Wirtschaftsordnung, wie sie traditionell etwa die Österreichische Schule der Nationalökonomie betreibt, keinen Schritt voranbringen.

Denn bei Licht besehen haben wir nicht nur ein Geldsystem-Problem, sondern noch zwei weitere: Unser aus dem Ruder laufendes Finanzsystem wird flankiert von einem Medien- und einem Politikproblem. Wobei alle drei Problemfelder voneinander abhängen und sich gegenseitig verstärken.

Deshalb ist zu erwarten, dass bei der Erfindung eines tragfähigen Geldsystemmodells nur ein ganzheitlicher Ansatz etwas bewirken kann, und zwar ein Ansatz, der sich nicht allein auf das Geldsystem fokussiert.

Oder ganz praktisch formuliert. Mit korrupten Politikern und gekauften Medien kann es keine Geldsystemreform geben, die diesen Namen auch verdient.

Die einseitige Berichterstattung in der Brexit-Frage lässt das bereits heute erahnen…

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Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG. Weitere Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de

60 Kommentare

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  • Chronos
    Chronos

    soory, hätte nachsehen sollen, mea culpa

    Richtig ist

    "gem. Artikel 9 MeldeG, und §10 BMG"

    11:09 Uhr, 20.06.2016
  • 1 Antwort anzeigen
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  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die abstrusen Weltuntergangsszenarien die von den Medien und der Politik hinsichtlich des BREXIT unablässig in düsteren Farben an die Wand gemalt werden, zeigen glasklar wo wirklich die Angst vor dem Untergang residiert, nämlich in der Hauptstadt von EUtopia in Brüssel.

    Ein Austritt Englands wäre eine schallende Ohrfeige für die Europathen in Brüssel, die sich blendend darauf verstehen, 500 Mio. Europäer mit teils schrägen Gesetzen zwangszubeglücken und die sich dann wundern, wenn der Unmut in der Bevölkerung Europaweit zunimmt . Brüssel agiert wie ein undemokratisches Zentralkomitee und zerstört gemeinsam mit der EZB die Demokratie und die Freiheit der Bürger Europas.

    Es darf sich eigentlich niemand darüber wundern, wenn immer mehr Europäer die Idee gut finden, sich von den Damen und Herren in Brüssel nicht mehr auf der Nase herum tanzen zu lassen.

    Wohlstand entsteht durch eine gesunde Marktwirtschaft, eine starke, gesunde Währung und durch freie Handelsbeziehungen. Wohlstand kann nicht politisch verordnet werden durch Zentralplaner welche die Frechheit besitzen, ihre Ideen von einem zentralregierten Monsterstaat auch noch als alternativlos zu verkaufen und denen am Ende vor lauter Untergangspanik nichts besseres einfällt, als mit dem Teufel und Belzebub gleichzeitig zu drohen.

    19:21 Uhr, 18.06.2016
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