Fundamentale Nachricht
17:34 Uhr, 19.02.2020

Das unausgeschöpfte Potenzial europäischer Zahlungsdienstleister

Guy de Blonay, Fondsmanager des Jupiter Financial Innovation SICAV und Antoine Hucher, Analyst im Finanz- und Innovations-Team bei Jupiter Asset Management, sehen gute Gründe, warum der derzeitige Status quo auf dem europäischen Zahlungsmarkt wahrscheinlich nicht von Dauer sein wird.

Für die Aktien europäischer Zahlungsdienstleister war 2019 ein gutes Jahr. Die meisten Akteure des Sektors konnten solide Zuwächse erzielen. Unseres Erachtens gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass es dieses Jahr anders laufen sollte. Selbst wenn die wirtschaftliche Volatilität 2020 zunehmen sollte, erwarten wir, dass die fundamentalen Rahmenbedingungen günstig bleiben, da die beiden strukturellen Faktoren, die dem Wachstum der Branche zugrunde liegen, nach wie vor intakt sind:

- Die globale Verlagerung von Bar- auf elektronische Zahlungen (insbesondere Kartenzahlungen) ist noch lange nicht abgeschlossen. Branchenschätzungen zufolge werden in der Eurozone immer noch mehr als 70 Prozent der Transaktionen in bar abgewickelt. Zum Vergleich: In Großbritannien sind es knapp 40 Prozent und in den USA knapp 30 Prozent.

- Auf der anderen Seite dürften die Online-Zahlungen weiterhin stetig wachsen, wobei Zahlen von Statista darauf hindeuten, dass der globale E-Commerce-Markt ausgehend von 2,5 Billionen Euro mittelfristig um 10 Prozent pro Jahr wachsen wird.

Europäischer Markt weiterhin fragmentiert und von Banken dominiert

Gegenwärtig ist der Bereich In-Store-Zahlungen in Europa nach wie vor lokal begrenzt, fragmentiert und von Banken dominiert. Zahlungsanbieter wie WorldPay, Wirecard, Adyen und Ingenico haben sich mit einem gemeinsamen Marktanteil von fast 60 Prozent zwar eine dominierende Stellung im europäischen E-Commerce erarbeitet, doch Branchenschätzungen gehen davon aus, dass die Banken immer noch beinahe 50 Prozent der gesamten Zahlungsströme auf dem Kontinent kontrollieren.

Dies steht in deutlichem Kontrast zu Nordamerika, wo sich der Markt um eine Handvoll Technologieunternehmen wie FIS, Fiserv und Global Payments konsolidiert hat. Insgesamt schätzen wir, dass die fünf größten Zahlungsanbieter in den USA einen Marktanteil von mehr als 75 Prozent haben, in Europa sind es dagegen weniger als 40 Prozent.

Wir sehen jedoch drei Gründe, warum der derzeitige Status quo auf dem europäischen Zahlungsmarkt wahrscheinlich nicht von Dauer sein wird:

  1. Innovationen bei Online-Zahlungen halten Einzug im stationären Handel

Zum einen breiten sich Innovationen aus dem Bereich Online-Zahlungen auf stationäre Geschäfte aus. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden Innovationen im Zahlungsverkehr durch den elektronischen Handel vorangetrieben. Neue Akteure wie Paypal, Adyen und WorldPay erlebten einen Aufschwung, da sie im Vergleich zu Banken besser in der Lage waren, den Händlern bei der Bewältigung der neuen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Kundenkonvertierung oder der Betrugsbekämpfung zu helfen.

Wir glauben, dass sich die Innovationen jetzt auch auf die stationären Geschäfte ausbreiten. Die traditionelle Zahlungsabwicklung ist inzwischen standardisiert. Händler suchen stattdessen nach Lösungen, um ihr Geschäft effizienter zu betreiben und das Kundenerlebnis zu verbessern. Zudem wünschen sie sich eine einheitliche Sicht auf ihre Kundeninteraktionen über alle Kanäle hinweg, da die Grenzen zwischen physischem und Online-Einzelhandel verschwimmen.

Ähnlich wie vor 20 Jahren im E-Commerce hat dies eine Marktlücke für neue Anbieter geschaffen. Square (in den USA), iZettle (in Europa) oder Pagseguro (in Brasilien) sind für Kleinunternehmen zunehmend attraktiv geworden, indem sie Zahlungsakzeptanz mit innovativen Softwarelösungen für Analyse, Kundenbindung oder Bestandsmanagement kombinieren. E-Commerce-Akteure wie Adyen haben auch begonnen, mit ihren Plattformen große Einzelhändler wie H&M als Kunden zu gewinnen.

  1. Regulierung beschleunigt den Wandel zusätzlich

Nach mehreren Verzögerungen dürfte die Zweite Europäische Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2) in den nächsten 12 bis 18 Monaten in Kraft treten. Die Richtlinie schafft neue Anforderungen in Bezug auf die Sicherheit. Ganz grundsätzlich wird damit das Monopol der Finanzinstitute auf Kundendaten beendet. Mit anderen Worten: Banken müssen es Dritten ermöglichen, auf die Finanzdaten von Kontoinhabern zuzugreifen und in deren Namen Zahlungen zu veranlassen. Dies wird wahrscheinlich doppelten Druck auf die Banken ausüben: Sie müssen ihre alten IT-Plattformen modernisieren und gleichzeitig die Bedrohung durch neue Wettbewerber (Fintech oder Big Tech) abwehren.

  1. Weitere Konsolidierung wahrscheinlich

Im vergangenen Jahr haben die M&A-Aktivitäten im US-Zahlungsverkehrsmarkt zugenommen. FIS kaufte WorldPay für 43 Milliarden US-Dollar, Fiserv kaufte First Data für 22 Milliarden US-Dollar und Global Payments kaufte TSYS für 21 Milliarden US-Dollar. Im anhaltenden Niedrigzinsumfeld könnten einige dieser Schritte opportunistischer Natur sein. Sie spiegeln jedoch auch die Notwendigkeit einer Skalierung in einer Branche mit festen Kosten wider, in der die zentrale Zahlungsabwicklung immer standardisierter wird. Daher glauben wir, dass die Konsolidierung in Europa nun ganz oben auf der Tagesordnung steht.

Die Banken haben möglicherweise Schwierigkeiten, ihren Innovationsrückstand aufzuholen. Während der Finanzdienstleistungssektor zu den Branchen mit den höchsten IT-Ausgaben im Verhältnis zu den Einnahmen gehört (laut Gartner fast 10 Prozent), wird der größte Teil dieser Ausgaben für die Wartung von Altsystemen und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften aufgewendet, sodass nur wenig Spielraum für Investitionen in Technologie bleibt.

Eine Option für Banken könnte darin bestehen, ihre Zahlungsdienstsparten vollständig zu verkaufen – wie es bereits die Royal Bank of Scotland 2010 getan hat. Eine weitere Option könnte sein, Outsourcing auf breiterer Basis zu betreiben und mit Dritten zusammenzuarbeiten, um Kunden mehr Innovationen zu bieten. Bis dies erreicht ist, könnte es für die Banken natürlich einige Zeit dauern. Sollten sich diese Möglichkeiten kurzfristig nicht konkretisieren, könnte es unseres Erachtens zu Konsolidierungsprozessen unter den wenigen unabhängigen europäischen Zahlungsanbietern kommen.

Wer sind die wahrscheinlichen Gewinner?

In einer sich wandelnden europäischen Zahlungslandschaft fallen die potenziellen Gewinner unserer Einschätzung nach in zwei Hauptkategorien: Innovative E-Commerce-Anbieter wie Adyen sind am besten positioniert, um die neuen Möglichkeiten zu nutzen, die sich durch Innovationen eröffnen. Dazu gehören In-Store-Zahlungen, die immer noch fast 80 Prozent der gesamten Kartentransaktionen ausmachen, und die Bereitstellung neuer Angebote rund um Betrugsprävention, Analysen oder Marketing-Dienstleistungen. Am anderen Ende des Spektrums sehen wir auch Wertsteigerungspotenzial bei einigen traditionellen Anbietern von In-Store-Zahlungen wie Worldline und Nexi, die gut positioniert sind, um als Partner der Banken zu fungieren, die beginnen, ihre Positionierung auf dem Markt zu überdenken.

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