Kommentar
14:14 Uhr, 08.11.2015

Wie bauen wir sinnvoll das praktische Erlernen des kurzfristigen Tradings konkret auf?

Unsere Grundphilosophie ist, dass Märkte und Kursentwicklungen in Ihrer Gesamtheit keiner nachvollziehbaren Struktur folgen und folglich nicht prognostizierbar sind.

Erwähnte Instrumente

Man kann im Nachhinein zwar die bisherigen Entwicklungen immer gut und begründet erläutern, wird immer eine passende Argumentation finden, doch nach vorn gerichtet steigen die Unsicherheiten und damit verbundenen Positionsrisiken deutlich an. Doch heißt das, wir können uns nicht auf die Kursentwicklung stützen, wenn wir Positionierungen im Markt eröffnen? Nein, das heißt es nicht. Wir werden weiterhin den Chart-Verlauf primär als Informations- und Indikationsmedium nutzen. Wir werden den Chart weiterhin als Diagnosegrundlage einsetzen und darauf (a) Szenarien entwickeln und (b) Signalebenen (an den wir aktiv werden) definieren. Aber wir müssen uns immer der Reflexivität des Marktes bewusst sein und somit als Primat unserer Entscheidungsfindung nicht den Chart heranziehen, sondern das Wissen um das was, wie und wo im Zusammenhang der Aktivitäten jener, welche den Markt wirklich bewegen. Das heißt konkret: im Mittelpunkt einer sinnvollen Arbeit als Händler muss das Finden, Bewerten und Ausnutzen der Aktivitäten der anderen Akteure im Markt stehen. Das Verstehen und Arbeiten mit Instrumentarien der Markttechnik, das Verstehen der Funktionsweise der jeweils in unserem Markt zum Einsatz kommenden Finanzprodukte und deren Auswirkungen auf die Kursentwicklung unseres Basiswertes (den Future), das Wissen um unsere Handelsregelwerke und nicht zuletzt das Wissen um unsere finanzpsychologischen Aspekte und deren Wirkungsweise bei anderen Teilnehmern ist immer ergänzendes Mittel zum Zweck und baut sich um den Kern, nämlich das Wissen um die Marktteilnehmer, auf.

In unserer praktischen Ausbildung kann es somit nur darum gehen, die Brücke zu schlagen, aus dem theoretischen Wissen heraus, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die optimale Vorgehensweise zu finden.

Wir sind in einem Zeitfenster tätig, welches allein auf Grund seiner extremen Kurzfristigkeit einen sehr auffälligen Unterschied zu längerfristigen Zeitfenstern der Marktbeurteilung mit sich bringt: der Einfluss der Reflexivität sinkt dramatisch, was uns einen gewaltigen Vorteil in der praktischen Arbeit eröffnet.

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Ich will nicht behaupten, dass wir uns nicht über den Grundcharakter der Reflexivität Gedanken machen müssen, auch in unserem Zeitfenster haben wir mit diesem Aspekt zu kämpfen. Doch halten sich hier kaum beherrschbare Reflexivität auf der einen Seite und Ausnutzbarkeit realer, wiederkehrender Handlungsmuster Dritter die Waage, was eine sinnvolle praktische Erlernbarkeit profitabler Handlungsabläufe unsererseits, mit der Chance auf stetige Erträge überhaupt erst realistisch macht.

Wie begründet sich dieses Phänomen? Je größer das Zeitfenster, umso komplexer werden die gegenseitigen Interessen, Vorgehen und Beeinflussungen der Akteure im Markt. Wenn wir unterstellen, dass nicht alle Marktteilnehmer hirnlose Marsianer sind, die irgendwelchen im Markt gezogenen Linien gehorchen, sondern freidenkend, ein Ziel verfolgend, gut gebildet und sich im Markt auskennend agieren, kann deren Grundaktivität nur mit einem hohen Maß an Unsicherheit prognostiziert werden. Je kleiner das Zeitfenster wird, tritt dagegen ein anderes Phänomen auf: wir bewegen uns natürlich ebenfalls in diesem ruhelosen und sich weitestgehend chaotisch bewegenden Markt (denn wir bleiben Bestandteil des für alle gültigen Marktes), aber dadurch, dass wir nur noch Bruchteile der gemessenen Zeit im Markt agieren, schrumpft unser Horizont auf eine Ebene, in der eine überschaubare Gruppe an Akteuren einer gewissen Choreografie folgt, welche identifizierbar und damit ausnutzbar ist.

Was bedeutet „gewisse Choreografie“? Wir wissen, dass zwei Akteure nahezu durchgehend im Markt aktiv sind: (1) der sehr kurzfristig orientierte, den Markt nur in einem vergleichsweise kleinen Rahmen bewegende Berufshändler (nach Basel III vorrangig in Hedge-Fonds oder Hedge-Fonds ähnlichen Strukturen organisiert) und (2) die Index-Arbitrage. Der Einfluss der Optionsseite, sowie der Kommissionshändler dominiert zwar auch hier die Bewegung des Kurses, aber eben nur wenn diese Akteure aktiv werden und das ist eben nicht ständig und dauerhaft, sondern nur temporär, mal stärker, mal weniger stark. Folglich wird der Handel täglich über nicht unwesentliche Strecken von der Kurzfristseite und deren Interaktion mit der Arbitrage beeinflusst und dominiert.

Das hat zur Konsequenz, dass wir uns hier in erster Linie mit der Arbeitsweise dieser beiden, gerade für uns immens wichtigen Gruppen genauestens auskennen müssen. Und mit „auskennen“ meine ich nicht diese beliebten, aber oft unbegründeten Geschichtchen von den angeblichen „Big Boys“, welche angeblich tausende und abertausende Kontrakte spekulativ durch den Markt treiben, sondern die realen Arbeitsschritte und Vorgehen, denn es sind ja genau diese echten Aktivitäten, an denen wir partizipieren wollen und nicht die zwar gut und schön schauerlich klingenden Gruselgeschichten, welche jedoch kaum realistischen Bezug haben. Dieses Verständnis ist Aufgabe jeder theoretischen Wissensaneignung.

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Wir wissen, dass der über weite Strecken marktdominante, kurzfristig orientierte Händler (wie jeder andere Akteur auch) Zwängen unterworfen ist, welche sich aus seiner Tätigkeit heraus ergeben:

(1) Er muss eine gewisse Positionsgröße handeln, um überhaupt auch rechnerisch eine Chance auf akzeptable Renditen zu haben. Da ein institutionell agierender Händler (und nur von diesen reden wir hier) Basiskapital in Größenordnungen zugewiesen bekommt, welches beim erfolgreichen Einsatz von Kontrakten im einstelligen Bereich (selbst bei Traumtrefferquoten) kaum sinnvolle Renditen abwerfen würde, muss er größere Positionen führen lernen.

(2) Das Arbeiten mit großen Positionen (wir sprechen hier von 50 bis 150 Kontrakten – zumindest sind dies in etwa die Positionsgrößen, innerhalb derer man sich bewegt), kann nicht nach „Gefühl“ und „Laune“ erfolgen, sondern erfordert einstudierte Handlungsabläufe, immer in Interaktion der jeweils gültigen Einschätzung der Augenblickssituation. So wie wir auch, benötigt ein institutionell arbeitender Trader seine jeweiligen Wirte, an denen er seine Positionsrisiken neutralisieren kann. Gehemmt in der Flexibilität durch seine jeweilige Positionsgröße, wird in der Ausbildung kurzfristig orientierter Berufshändler der Auf- und Abbau von Positionen in genanntem Umfang geschult. Dabei haben sich über die Jahre Ablaufmuster erhalten, welche diesen Prozess optimieren und bis heute gelten.

Diese Tatsache führt dazu, dass diese Arbeitsabläufe jene Spuren im Markt hinterlassen, welche identifizierbar sind und relativ und akzeptabel genaue Erwartungshaltungen zulassen, was die unmittelbare Kursentwicklung in den kommenden Sekunden betrifft. Der Grad der Unsicherheiten beschränkt sich hier auf folgende Punkte:

(a) Drittorders können den Arbeitsablauf, mindestens jedoch die Spurenbildung verzerren, unterbrechen oder gar komplett überlagern,

(b) die vom agierenden Kurzfristhändler erwartete und angesteuerte Interaktion mit seinem Wirt (meist die Arbitrage) kommt nicht zu Stande, da sich die Arbitragebedingungen nicht mehr entfalten,

(c) der / die agierende(n) Händler „verschleppen“ ihre Abläufe zeitlich, was das Ursprungsmuster zu lange als erwartet in der Ausformung hält und damit zu unserer Verunsicherung führt (ein Sachverhalt, welcher durch konkrete Visualisierungsübungen zumindest etwas abgemildert werden kann).

Abfolge einer sinnvollen praktischen Ausbildung

Setzen wir eine erfolgreiche Vermittlung des theoretischen Grundwissens um Arbeitsweise (Spuren), Ziel und Möglichkeiten, eingesetzter Finanzprodukte und deren Auswirkung voraus, unterteilen wir die praktischen Lehrschritte in vier Abschnitte:

(A) Visualisierung

Hier geht es zunächst einmal um die ganz zielgerichtete Beobachtung und Verinnerlichung der Spuren, nämlich der Kursmuster im kurzen Zeitfenster, welche die im Handel „einstudierten“ Ablaufmuster im Kursverlauf hinterlassen. Hierzu werden verschiedene Visualisierungs-Videos zusammengestellt, sortiert nach Ausbrüchen auf der Oberseite aus Umkehrformationen, Ausbrüche auf der Unterseite aus Umkehrformationen, Ausbrüche Ober- und Unterseite aus Konsolidierungszonen heraus, Wiedereinstiege, sowie sogenannte Re-Longs, wie auch Re-Shorts.

Jedes Muster hat für sich genommen eine individuelle Signatur, aber dennoch ist die überlappende Schnittmenge aller gleichgerichteten Muster ausreichend, um die mögliche Ausbildung eines solchen Musters in der Praxis / in der Realität bereits sehr frühzeitig zu erkennen, um dann darauf im fortgeschrittenen Ausbildungsstadium antizipierend reagieren zu können. Diese dauerhafte Visualisierung ist ergänzend zu der Erstellung der börsentäglichen Marktnachbereitung zu sehen und fördert „dramatisch“ die „Erfahrungsbildung“ des lernenden Händlers. Wenn man z.B. fünfzig verschiedene Ausbildungsformen entsprechender Ausbruchsformationen auf der Oberseite immer und immer wieder in ihrer Entwicklung in Echtzeit sieht, werden sich zunehmend Schlüsselelemente einer solchen allgemeinen Formation herauskristallisieren und im Gehirn tief eingraben.

Visualisierungen bilden in jeder praktischen Ausbildung zunächst den Schwerpunkt zu Beginn der Entwicklung und Formung eines Händlers und werden dann flankiert durch weitere Maßnahmen.

(B) Übungen am Simulations-Server

Das Üben am Simulationsserver ist der nächste Schritt des praktischen Lernens. Hier folgt der auszubildende Händler Kursmustern, welche durch dauernde Visualisierungswiederholungen gelernt wurden, im aktiven simulierten Handeln. Es geht dabei nicht um die zu erzielenden Handelsergebnisse, sondern um die Schaffung der Verknüpfung: „frühzeitige mögliche Mustererkennung, rasche Antizipation und rasches Klicken (zur Eröffnung der Position)“. Im weiterführenden, fortschreitenden Ausbildungsstadium wird auch das Schließen der Position erlernt, wenn entweder das gewollte Kursziel erreicht, Kurspotential ausgeschöpft oder die reale Kursentwicklung von der visualisierten Erwartung abweicht.

Der Simulationsserver wird ebenfalls ein dauernder Begleiter des lernenden Händlers sein, auch in der späteren, bereits fortgeschrittenen Entwicklung des Traders.

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(C) Handeln im simulierten Realmarkt

Der dritte Abschnitt der praktischen Ausbildung erfolgt dann im simulierten Handeln im Realmarkt. Hier sollen alle Erkenntnisse und einstudierten Handfertigkeiten im Echtmarkt (auf Simulationsbasis) trainiert werden. Wir führen eine Aufzeichnung aller Handelsaktivitäten über ein Auswertungs-Tool durch, um feststellen zu können, inwieweit das Arbeiten an der Formation (Handeln) auch zeitnah erfolgt.

Hier liegen wahrscheinlich die größten Unterschiede zwischen dem, was professionelles Scalpen ist und was man gemeinhin denkt, was es sein könnte. Professionelles Scalpen ist nämlich nicht emotionsgeladenes Traden in einem Markt, sondern striktes Abarbeiten antrainierter, immer wiederkehrender Handlungsabfolgen. Das Ziel des praktischen Scalpens besteht einzig und allein darin, möglichst rasch und frühzeitig, aber auch sicher und zuverlässig, beginnende, sich aufbauende Spannungsbögen im Markt zu identifizieren, diese praktisch zu antizipieren und rasch Gewinne zu realisieren. Hier ist kein Platz für groß angelegte strategische Szenarioentwicklungen und Erwartungen auf weite Streckengewinne. Hier geht es ausschließlich und einzig um eine Vielzahl von kleinen Punktegewinnen – jeden Tag, jede Stunde, alle paar Minuten.

(D) Handeln im Realmarkt

Das Handeln mit Echtgeld im Realmarkt ist dann das Ziel und der Abschluss der praktischen Ausbildung, aber nicht das Ende der Arbeitsschritte.

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Wie obige Grafik zeigt, behält die Kombination aus Visualisierung, Handeln im Simulations-Server zum Trainieren und Festigen von Handlungsabläufen, das Handeln im simulierten Realmarkt weiterhin ihre dauernde Gültigkeit, auch wenn man schon lange im Realmarkt mit Echtgeld handelt. Wie ein Pianist ständig üben muss, muss auch ein Trader / Scalper permanent üben, immer wieder festigen, perfektionieren und beschleunigen. Wir werden niemals aufhören zu üben und zu trainieren.

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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