Kommentar
15:31 Uhr, 25.04.2015

Ursprünglich gute Handelsergebnisse werden jetzt systematisch schlechter?

Ist das nun ein Grund an sich zu zweifeln und sich selbst zu hinterfragen? Oder gibt es eine ganz andere, nämlich motivierendere Erklärung dafür?

Erwähnte Instrumente

Die Erfahrung zeigt, dass eine plötzliche Abflachung der Ertragskurve im Handel während der Ausbildung, immer wieder zu Irritationen, bis hin zu Selbstzweifeln beim betreffenden Trader führen kann. Es zeigt sich weiterhin, dass diese Problematik auch nicht leichtfertig oder mit der Abhandlung einiger gut gemeinter Ratschläge zu überwinden ist. Und dennoch ist die Interpretation und Wertung einer solchen Entwicklung überraschend anders, als man im ersten Moment glauben möchte und soll eher Mut machen, als für Demotivation sorgen.

Ich knüpfe hier zwar an den Artikel „Selbstdisziplin ist wie ein Muskel …“ an, möchte aber noch auf einen weiteren Blickwinkel verweisen, unter dem in der Händlerausbildung in der Bank unser Entwicklungsniveau bewertet wurde.

Ich möchte meine Argumentation auf zwei Prämissen aufbauen, welche im Vorfeld dieser Themadiskussion bereits mehrfach auch in anderen Zusammenhängen wiederholt aufgeführt wurden: (a) das Ziel, den Handelsablauf über unser kognitives „System 1“ zu steuern – d.h. unsere Handelsabläufe und unsere Grundentscheidungsfindung mental zu „automatisieren“ und (b) die Aussage bzw. Festlegung, dass das Handeln des Regelwerkes nicht als Primat anzusehen ist, sondern der Markt und das Verstehen seines Bewegungsverhaltens (das Erkennen und Bewerten der Spuren der marktdominanten Handelsteilnehmer) an erster Stelle stehen muss, dem das Handeln nach Regelwerk an zweiter Stelle unmittelbar folgt.

Akzeptieren wir diesen Prämissen, müssen wir uns somit den Ablauf unseres Lernprozesses im Bezug auf unsere Kenntnisse und Fertigkeiten im Trading wie in der nachfolgenden Grafik aufgeführt vorstellen:

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Die obige Grafik stellt sinngemäß den praktisch bewährten Lernprozess wie folgt dar: zu Beginn der Ausbildung steht die Vermittlung und das Erlernen des Handelsregelwerkes – in unserem konkreten Fall das Erlernen der Ausbruchs- und Wiedereinstiegs-Trades. In dieser ersten Phase steht das Handeln und die daraus resultierende Beherrschung des Regelwerkes an erster Stelle (ist somit noch Primat). Das konsequente Handeln nach Regelwerk soll dazu führen, dass der Prozess des „Nachdenkens“, wann man wo in den Markt einsteigt, so verinnerlicht, dass dieser zunehmend von System 1 unseres Denkvorganges übernommen wird. Neurobiologen erklären diesen Ablauf so, dass die dauernde, sich immer wiederholende Beschäftigung mit Einstieg und Ausstieg aus einer Position nach Regelwerk, das dauernde Aufspüren eines vergleichsweise einfachen Kursmusters, aus dem heraus eine Position eingegangen werden soll (Ausbruchs-Trade), bzw. die stetige Beschäftigung mit einem Wiedereinstieg nach Regelwerk, zunächst zu einer immer wieder ähnlichen Stimulierung der dafür zum Einsatz kommenden neuronalen Vernetzungen im Gehirn führen. Je häufiger dieser Aktivierungsprozess erfolgt, beginnen zunächst die jeweils notwendigen Reiz- bzw. Informationsübertragungen an den Synapsen der einzelnen Nervenzellen schneller abzulaufen. Das geschieht dadurch, dass die Erregungswirkung der jeweiligen Synapsen verstärkt werden. Im Netz der Neuronen im Gehirn werden dadurch mit der Zeit Impulswege gangbarer, welche häufig genutzt werden. Dieser Vorgang führt bei regelmäßiger Fortführung schlussendlich zu einer „festen Verdrahtung“, so dass wir nicht mehr bewusst über die Grundlagen unseres Trading-Ansatzes nachdenken müssen. Gleiches gilt für die Beherrschung der Handlungsabläufe auf unserer Handelsoberfläche. Handelsfehler durch falsches Einstellen von Orders, Verwechslungen von Ordertypen, das Verwechseln von „Buy“ und „Sell“ nimmt immer mehr ab und irgendwann beherrschen Sie Ihre Handelsoberfläche „im Schlaf“.

Dieser Prozess entwickelt sich nicht plötzlich, sondern fließend. Ich hatte im Artikel zur Entwicklung der Selbstdisziplin darauf verwiesen, dass mentale Ermüdungserscheinungen mit eine der Hauptursachen sind, welche zu einem Leistungsabfall führen. Diesen Sachverhalt möchte ich hier vertiefen.

Das Verinnerlichen des Handels nach Regelwerk ist Mittel zum Zweck. Bewusst blenden wir in Phase 1 den Fokus auf Marktteilnehmer, Contra-Einstiege und allem anderen aus und heben das Regelwerk an die erste Stelle – den Grund dafür habe ich gerade umrissen. In der Anfangsphase ist dieses Vorgehen auch für jeden beginnenden jungen Trader kein mentales Problem: alles ist neu, der Adrenalinspiegel im Blut ist hoch, die Aufnahmebereitschaft optimal. Doch je weiter man in Phase 1 voranschreitet, je mehr das Handeln nach Regelwerk zur Routine wird (also zunehmend Bestandteil von System 1 wird und sich System 2 vom Entscheidungsprozess abzukoppeln beginnt), setzt ein kritischer Prozess ein, der das Grundmissverständnis und damit Thema dieses Artikels auslöst: die zunehmende Routine verursacht einen Rückgang des Adrenalins, verursacht kleine, kaum auffällige Unaufmerksamkeiten, welche erst im Nachhinein erkannt werden, nachdem der Fehler passierte und Verluste brachte. Das System 2 beginnt sich zu langweilen und ruft wieder nach Einsatz. Und hier beginnt der Fehler: man erhofft sich den Anfangskick zurück, dadurch dass man mit Echtgeld die „Action“ erhöht. Doch hier überholen wir rechts auf dem Standstreifen, anstatt auf die linke Überholspur zu wechseln.

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Sehen wir uns somit den Prozessablauf im Kopf etwas genauer an und ziehen wir die richtigen Schlussfolgerungen.

System 1 oder System 2

In einem früheren Artikel schrieb ich einmal, dass das Ziel darin besteht, zunehmend dem System 1 die Grundaktivitäten des Handels zu überlassen um damit System 2 freizubekommen, damit wir uns auf die Besonderheiten des Marktes einstellen können. Das war schnell daher gesagt, trifft es aber auf den Punkt. Das hier zur Diskussion stehende Problem tritt das erste Mal auf, wenn System 1 tatsächlich im Sinne der Aufgabenstellung in Phase 1 einen großen Teil der Vorgehensweise übernimmt. Der junge Trader war bis dahin darauf fokussiert, alles was er im Sinne der praktischen Aufgabenstellung verinnerlichen soll auch zu verinnerlichen. Dabei werden meist im Eifer des Gefechts auch die Spezifikationen mit in das System 1 gepresst, über die in der Ausbildung zwar von Anfang an geredet wird, welche aber nicht Bestandteil der Arbeitsthemen von System 1 jemals werden sollen – nämlich die Klärung der Fragen „wer dominiert aktuell den Markt?“, „wie sehen deren Orderbücher wahrscheinlich derzeit aus?“. Um es besser zu verdeutlichen, möchte ich den vergleichenden Bezug zu einem Fahrschüler ziehen.

Dieser lernt auf dem Übungsplatz die Beherrschung des Fahrzeuges: kuppeln, beschleunigen, bremsen, richtig lenken. Warum üben wir das auf dem Übungsplatz und nicht im regulären Straßenverkehr? Weil wir in der Anfangsphase unserer Fahrausbildung mehr mit dem Fahrzeug als mit der Umwelt beschäftigt sind. Doch irgendwann wird es flüssiger, System 1 übernimmt seine Automatisierungsfunktion und System 2 fokussiert sich auf das Umfeld, also auf alles, was außerhalb des Fahrzeuges passiert. Aber auch das wird dann bald rasch zur Routine und damit zu Bestandteil des Arbeitsgebietes von System 1. Die Idealvorstellung eines jeden Fahrlehrers ist es, den Schüler nun auf die Straße zu entlassen, wenn er gezeigt hat, dass er die Grundfähigkeiten der Fahrzeugbeherrschung automatisiert hat und an einer Kreuzung sich beim links abbiegen auf den Gegenverkehr konzentrieren kann, ohne auf die Füße zu schauen, ob er denn auch Bremse, Kupplung und Gas richtig findet.

Fährt man dann jeden Tag immer und immer wieder die gleiche Strecke, wird mit der Zeit auch diese zu einer Routine und wird weitestgehend von System 1 übernommen. Die Aufmerksamkeit sinkt. Das ist auch einer der Gründe, warum nachweislich auch statistisch gewichtet die häufigsten Unfälle auf routinierten Strecken passieren und nicht auf bis dahin unbekannten Straßen: weil der Aufmerksamkeitspegel sinkt.

Kommen wir zum Handel zurück. Die beschriebene Phase 1 ist gleichzusetzen mit „Fahren auf dem Übungsplatz“. Der Unterschied hier ist jetzt allerdings, dass auf diesem Handels-Übungsplatz bereits eine Menge los ist, was zu Beginn aber entweder noch ignoriert oder übersehen wird oder in einen Routineablauf mit eingepasst wird. Da der Markt aber diese Art von Routine nicht zulässt und die damit verbundenen Fehlerchen und Unachtsamkeiten für gewöhnlich gleich konsequent bestraft, werden hier zunächst die falschen Schlüsse gezogen und die angesprochene Resignation schleicht sich ein.

Was schlussfolgern wir daraus? Das beobachten, Interpretieren und Verstehen der Marktgegebenheiten obliegt immer System 2. Hier darf keine Routine eintreten. Hier befahren Sie jeden Tag eine völlig neue und unbekannte Strecke. Dem System 1 obliegt es, auf Einschätzungen der Rahmenbedingungen durch System 2 mit den dazu passenden Werkzeugen rasch und vor allen Dingen fehlerfrei zu reagieren.

Das heißt somit: Plateau-Phasen in der Ergebnisentwicklung sind folglich zunächst positiv zu bewerten, da sie bei einer anfänglich guten und stetigen Ertragsentwicklung signalisieren, dass ein nächst höherer Qualitätssprung angestrebt werden kann und muss. Eine Plateau-Phase signalisiert, dass sich Routine in den Einschätzungsmodus einzuschleichen beginnt – diese hat aber nur im Entscheidungsmodus etwas zu suchen. Tritt eine Plateau-Phase ein, müssen wir unseren Rhythmus anpassen, den Fokus wieder mehr auf System 2 legen, auch bewusster in uns hineinhören, um Erschöpfungsindizien rascher zu bemerken und entsprechende Maßnahmen dagegen ergreifen. Jetzt ist die Zeit gekommen, bewusst in die Phase 2 zu wechseln.

In Phase 2 wechselt das Primat. Das Beherrschen und auch konsequente Umsetzen des Regelwerkes war das Primat der ersten Ausbildungsphase, rutscht jetzt aber an den Platz, wo es hingehört, nämlich an die zweite Stelle. Die erste Stelle wird jetzt eingenommen vom bewussten Verarbeiten aller Informationen, welche uns der Markt verrät. Jetzt geht es darum zu verstehen, was „auf der Straße“ wirklich los ist. Die Herausforderung hier ist, in diesem Interpretationsprozess keine Routine zuzulassen. Wir hinterfragen die Bewegungsimpulse, was allerdings voraussetzt, dass wir die Teilnehmergruppen kennen, deren Arbeitsweise verstehen und ihre Ziele einordnen können. Dieser Teil ist vergleichbar mit dem Beherrschen der Verkehrsregeln im Straßenverkehr. Jetzt macht sich der erworbene Automatisierungsgrad des Handels selbst aus Phase 1 bezahlt. Der Markt gibt vor und wir reagieren bzw. agieren konsequent, im Rahmen klarer Umsetzungsmöglichkeiten, welche wir in Phase 1 uns antrainiert haben. Das spart zum einen unglaublich Zeit im Entscheidungsprozess – jene Zeit, die wir im Scalping oder Day-Trading ohnehin nicht haben – und es gibt unserer Aktivität Struktur und Sinn und verhindert emotionales Chaos.

Phase 3 ergibt sich im dritten Schritt folgerichtig: hier beginnen wir in den Markt und dessen Verständnis einzutauchen und unseren Handelsstil entsprechend anzupassen. Wenn man sich noch einmal den Artikel zum Einsatz der Contra-Trades ansieht sollte jetzt deutlicher werden, wo dieser Tradingstil hingehört, da dessen Philosophie von klaren Regelwerken losgelöst ist. In Phase 3 beginnen die Improvisationen der Grundmuster. Das Regelwerkdenken sollte gefestigt sein, der Handlungsablauf ist fest im Hirn verschweißt und ist Bestandteil des automatischen Ablaufes, man kommt immer rascher in den Flow des Marktes. Jetzt können die regelwerkarmen Contras zu einem festen Bestandteil des Handels werden, weil diese jetzt der Marktinterpretation nach eingesetzt werden und damit das regelwerkorientierte Trading bereichern.

Deshalb die Reihenfolge!!

Das Verständnis für Handeln nach Regelwerk ist unabdingbar verknüpft mit potentiellem Erfolg im Trading. Aber sein wirklicher Wert liegt in seiner Form der Disziplinierung und Struktur- und Formgebung unseres Handels. Selbst der diskretionärste aller diskretionären Händler wird über kurz oder lang scheitern, wenn er das Fundament eines jeden Handelserfolges, nämlich Handeln nach Regelwerk nicht beherrscht. Als ich das Handeln lernte, ging ich anfänglich davon aus, dass der Laie und Hobby-Trader diskretionär handelt und erst der Profi regelwerksorientiert. Mit der Zeit änderte sich mein Blickwinkel dahingehend. Heute schätze ich es so ein: der junge Trader muss seinen ersten Schliff dahingehend bekommen, in Regeln denken und Arbeiten zu können. Erst wenn er das beherrscht, wendet er sich dem Verständnis des Marktes zu. Erst im dritten Schritt und das praktisch als „Adelsschlag“ im Trading, gewinnen gewisse diskretionäre Elemente an Bedeutung, welche jedoch weiterhin in einem großen Rahmen eines Grundregelwerkes verankert sein müssen. So behalten wir Struktur und Sinn im Handel, gewinnen aber Flexibilität und Geschmeidigkeit im Ausnutzen der sich uns bietenden Möglichkeiten.

Weichen wir in Übereifer oder wegen einer Falschbewertung unseres tatsächlichen Entwicklungsstandes von dieser Reihenfolge ab, wollen wir regelwerksorientiertes Traden und diskretionärlastiges Contra-Handeln gleichzeitig miteinander mischen und ist das Erlernen dessen, was am Markt wirklich abläuft erst noch auf dem Plan oder von gefährlichem Halbwissen überlagert, kann es eher schwierig werden, sich auf eine solide Ergebnisentwicklung zu verlassen.

Fazit:

Fassen wir zusammen: ein Abflachen der Ertragskurve, nachdem diese im Vorfeld bereits eine gewisse Stabilität und Stetigkeit aufgewiesen hat, signalisiert uns, dass wir das Lernziel des Phase 1 erreicht haben. Somit werte ich eine solche Ergebniseintrübung nicht als Rückschritt, sondern als Bestätigung und Ansporn weiter zu gehen und den Fokus zu erweitern. Routine in der Umsetzung der Trades ist oberste Pflicht, Routine in den Interpretationen und Umsetzungsentscheidungen sind dagegen Gift für jeden guten Händler. Dies sind die Stellschrauben, an jenen jetzt gedreht werden muss, um die nächste Ebene zu erklimmen.

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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