Kommentar
12:07 Uhr, 23.01.2015

Schweiz: Wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand?

Der erste Schock ist verdaut. Jetzt kann man über die mittel- und langfristigen Konsequenzen nachdenken. Die ersten Reaktionen zur Aufhebung des Mindestkurses waren ziemlich eindeutig. Massiver Schaden für die Wirtschaft wird vermutet. Ist das aber tatsächlich so?

Erwähnte Instrumente

  • EUR/CHF
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  • USD/CHF - WKN: 965281 - ISIN: XC0009652816 - Kurs: 0,8727 Fr (FOREX)

Die Logik hinter dem Aufschrei ist klar. Wertet der Franken stark auf, dann werden in der Schweiz produzierte Güter teurer. Der Export leidet und mit ihm die ganze Wirtschaft. Unternehmen könnten abwandern, Kunden an die Konkurrenz verlieren, Arbeitsplätze müssten abgebaut werden usw. Das mögen alles Argumente sein. Sie klingen auch bestechend und ein Teil davon wird auch sicherlich wahr werden. Die Frage ist nur wie groß dieser Teil sein wird. Einige befürchten eine mehrjährige Stagnation, andere könnten sich sogar eine Rezession vorstellen. Diese Ängste sind zwar nicht unbegründet. Die Wahrscheinlichkeit, dass etwas davon eintritt, ist jedoch gering.

Die Schweiz steht nicht zum ersten Mal vor einer schwierigen Situation. Der Schweizer Franken wertet nicht zum ersten Mal rapide auf. Für USD/CHF ist die verfügbare Zeitreihe am längsten. Der Handel mit EU Ländern ist zwar größer als mit den USA, allerdings ist der Eurotrend zum Franken nicht viel anders als der vom USD. Nach Aufhebung des Goldstandards wertete der Franken innerhalb von 7 Jahren um 63% auf. Seit Beginn der Finanzkrise vor 6 Jahren wertete der Franken gegenüber dem Euro um „lediglich“ gute 40% auf.

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Man muss einschränkend dazu sagen, dass es sich im Moment um eine schockartige Aufwertung handelt. Das ist eine andere Sache als eine Abwertung über Jahre hinweg. Allerdings ist das auch nicht ganz neu. Von 1971 bis 1973 wertete der Franken um 40% auf. Von 1985 bis 1987 waren es 50%. Schonend kann man das nicht nennen. Ebenso muss man anerkennen, dass der Franken nominal zwar weiter aufwertet, real aber seit über 30 Jahren kein neues Tief mehr ausgebildet hat.

Der Wechselkursschock wird trotzdem Spuren hinterlassen. Die Schweiz ist ein Exportland. Exporte machen über 30% der Wirtschaftsleistung aus (Grafik 2). Der Anteil der Exporte geht nun seit Jahren zurück. Trotzdem ist die Schweiz noch nicht in eine tiefe, wirtschaftliche Depression gefallen. Der Einfluss des Exportwachstums wird möglicherweise einfach überschätzt.

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In den vergangenen Jahren ist der Schweiz zudem etwas Einmaliges gelungen. Obwohl der Franken gegenüber den meisten anderen Währungen aufwertete, besonders gegenüber dem Euro, hat sich der Exportüberschuss erhöht. Grafik 3 zeigt die Entwicklung von Exporten, Importen und dem EUR/CHF Wechselkurs. Ganz unbeschadet hat die Wirtschaft die Situation nicht wegstecken können. Das wird auch deutlich. Der Handel mit anderen Ländern ist wenig dynamisch. Seit Jahren bewegt sich kaum etwas.

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Die Schweizer Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren also vergleichsweise autonom entwickelt. Importe sind billiger geworden, dennoch wuchsen diese kaum. Der Inlandskonsum von in der Schweiz hergestellten Gütern hat die Wirtschaft letztlich gut unterstützt. Sollten jetzt die Exporte einbrechen, dann reicht das natürlich nicht, um noch ein merkliches Wachstum zu erzielen – und da darf man sich auch nicht vormachen: kurzfristig werden die Exporte zurückgehen. Grafik 4 zeigt Importe und Exporte mit ihren jährlichen Wachstumsraten, sowie der jährlichen Veränderung des EUR/CHF Wechselkursverhältnisses. Es zeigt sich, was man auch erwarten würde. Wertet der Franken ab, dann wachsen die Exporte schneller als die Importe. Wertet der Franken stark auf, dann wachsen die Importe schneller.
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Ein Teil der zu erwartenden Exportschwäche dürfte durch gesteigerten Konsum von importierten Gütern wettgemacht werden. Sinkende Exporte müssen nicht automatisch gleich einen dramatischen Wachstumseinbruch nach sich ziehen. Die letzte Grafik stellt das BIP und Exportwachstum gegenüber. Obwohl die Exporte 2013 schon kaum mehr wuchsen legte das BIP noch solide zu. Ebenso stiegen 2002 die Exporte, die Wirtschaft wuchs aber nicht.
Die Schweiz könnte ihren Handelsbilanzüberschuss deutlich abbauen. Für das Wachstum muss das nicht viel bedeuten. Bis in die 90er Jahre hinein hatte die Schweiz ein Handelsbilanzdefizit. Dem rapiden Wachstum in dieser Zeit hat das keinen Abbruch getan.
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2015 wird kein einfaches Jahr. Wenn die Schweiz in den letzten 40 Jahren aber eines immer beweisen konnte, dann sicherlich, dass sie auch mit extremen Wechselkursschwankungen zurecht kommen kann. Die Ausgangslage ist heute anders als in früheren Jahren, als die Nachbarländer boomten. Die Jahre seit 2008 zeigen aber, dass die Schweiz seitdem weniger abhängig von den Nachbarländern geworden ist. Die genauen Konsequenzen des Schocks lassen sich nicht absehen. Es könnte zu einer merklichen Deflation kommen. Ebenso wäre es denkbar, dass die Wirtschaft dieses Jahr gar nicht wächst oder etwas schrumpft. Das wird jedoch nur vorrübergehend sein. Mittel- bis langfristig muss man sich keine Sorgen machen.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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