Analyse
12:31 Uhr, 03.03.2019

„Ein Wechsel der Pferde bringt immer Unsicherheit“

In der Regel erkennt man immer erst im Nachhinein, wenn weichenstellende Ereignisse eintreten bzw. eingetreten sind, das haben die Geschichte im Allgemeinen und Wirtschaft oder Politik im Besonderen so an sich.

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Kursstand: 11.601,68 Pkt (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Die letzte Handelswoche könnte wahrscheinlich solche Ereignisse enthalten haben. Die Herausforderung wird aber weniger die lineare Aufzählung dieser Entwicklungen sein und auch nicht der Versuch, daraus schlichte, ebenfalls linear fortführbare Entwicklungsstränge abzuleiten, sondern es ist der Versuch, die Wechselwirkungen zwischen Output und Feedback der jeweiligen Systemakteure zu verstehen. Denn es sind genau diese Wechselwirkungen, resultierend aus Aufnahme der Nachrichten, Interpretation dieser Nachrichten und Reagieren auf diese, welche die Kursentwicklungen an der Börse ausmachen.

Wie beschreiben wir das aktuelle Umfeld?

Sehen wir uns zunächst wieder die aktuellen Rahmenbedingungen an. Was definiert derzeit das Umfeld, in dem sich das Angebots- / Nachfrageverhältnis entwickelt?

Der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens an den Aktien- und Anleihemärkten, im Währungs- und Rohstoffhandel, bleibt vorerst weiterhin der Fortgang der Gespräche im Handelsstreit USA / China, als auch die Entwicklung rund um den Brexit. Aber (und das wurde bereits im Monday Spot der Vorwoche beschrieben) die Bedeutungsschwere dieser Brandherde lässt nach und gibt zunehmend auch anderen, bisherigen Schattengewächsen mehr Raum. Im Handel hieß es bereits zur Wochenmitte: „Ein chaotischer No-Deal-Brexit gilt mittlerweile als ausgepreist, eine Lösung des amerikanisch-chinesischen Handelsstreits dagegen als zunehmend wahrscheinlich und ist damit weitestgehend eingepreist.“ Angesichts der Tatsache, dass es genau diese beiden, über einen mehrmonatigen Zeitraum die Börsen dominierenden Faktoren waren, welche besonders die US-Indizes antrieben und Europas Börsenbarometer in ihrem nachfragegetriebenen Anstieg hemmten, war die Schlussfolgerung richtig, dass die US-Börsen nur noch wenig Anstiegsargumente haben, Europa dagegen Nachholbedarf.

Der ursprünglich noch dritte wichtige Faktor im Markt, die Geldpolitik der Zentralbanken, hatte bereits vor drei Wochen an Schrecken und belastendem Einfluss verloren. Ausschlaggebend war hier die Abflachung des Zinspfades der Fed mit Verweis auf die konjunkturellen Risiken. Einen kurzen Aufmerksamkeitspunkt setzte da noch einmal die Veröffentlichung des Fed-Protokolls, in dem stand, dass bei einer Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China und einer anhaltend guten Aktienkursentwicklung diese Zurückhaltung durch die Fed auch wieder rückgängig gemacht werden könnte. Doch Unruhe kam in diesem Zusammenhang nicht wirklich auf, zumal Powell in der letzten Woche vor dem Bankenausschuss des US-Senats und einen Tag später vor dem Finanzdienstleistungsausschuss des US-Repräsentantenhauses bekräftigte, Zinsanhebungen vorerst auszusetzen und abzuwarten, welche Folgen das langsamere Weltwirtschaftswachstum und die Finanzmarktturbulenzen für die US-Wirtschaft hätten. Hier fiel kein Wort mehr von einer möglichen Versteilung des Zinspfades im Falle weiterer Entspannungssignale.

Folgen wir der Aussage / Einschätzung befragter Marktakteure hinsichtlich der noch verbleibenden Bedeutungen der Verhandlungen USA / China und einer immer wahrscheinlicher werdenden Verschiebung des Brexits, sollten die aktuellen Positionierungen in den kursbeeinflussenden Portfolios auch darauf ausgerichtet sein. Das heißt, in den US-Märkten fallen von dieser Seite zunehmend Kaufargumente weg (was ja in den letzten Tagen auch immer mehr mahnende Stimmen auf den Plan gerufen hat), in Europa sind nachholende Käufe grundsätzlich noch wahrscheinlich, aber auch hier werden die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen.

DJI, als auch der S&P 500 Index zeigten in der Vorwoche konsequenterweise ein konsolidierendes Verhalten am Jahres-, als auch nahe dem laufenden Impulshoch auf Tagesbasis, DAX und Eurostoxx50 setzten ihre Aufwärtstendenz dagegen fort – und markierten so neue Jahreshochs.

Der DAX-Wochenchart behält damit auch aus technischer Sicht seine anhaltend positive Gesamtausrichtung bei. Aus diagnostischer Sicht, stehen die Ampeln unverändert auf grün, was allerdings wenig aussagekräftig ist mit Blick in die Zukunft, denn der Wochenchart ist für sich genommen so zäh in seiner Interpretationsfähigkeit, dass schon einiges auf der Unterseite passieren muss, bis hier die Vorzeichen wechseln.

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Dennoch: aus dem Kursverlauf lässt sich zumindest herauslesen, dass wir zumindest aktiv keine echten alten Hürden auf der Oberseite vorliegen haben. Mögliche belastende Positionsschieflagen, aus denen heraus echte Widerstände definierbar wären, können aus den Wendepunkten aus Anfang November 2018 nicht mehr hergeleitet werden. Allenfalls können wir diesen Niveaus um 11.690 noch reflexive Bedeutung unterstellen, somit sprechen wir hier von möglichen „weichen“ Widerständen. Aus qualitativer Sicht ist die übergeordnete Bewegungstendenz unverändert bullish – Richtungsfilter weisen ein long-set-up aus, ebenso lässt sich die Dynamik der Kursentwicklung dahingehend interpretieren, dass die Nachfrage noch immer stetig dominiert.

Auf Tagesbasis (und somit im etwas kleineren und damit sensitiveren Zeitfenster) können wir aktuell ebenfalls mehr positiv interpretierbare Indikationen ableiten, als negative. Charttechnisch ist der Aufwärtstrend klassisch intakt, aus markttechnischer Sicht bestätigen diese Einschätzung die Richtungsfilter (in sinnvollen Zeitfenstern). Die Oszillatoren signalisieren dagegen Divergenzen zur Kursentwicklung, was wie folgt bewertet werden könnte:

Klassisch / allgemein:

  • Ein Nachlassen der Dynamik, damit ein leichtes Nachlassen der Impulsstabilität.

In Kombination mit der fundamentalen Betrachtung des Umfeldes:

  • „Ein Wechsel der Pferde bringt immer Unsicherheit“, heißt es, wenn die Ankerpunkte, an denen Einschätzungen und Erwartungshaltungen festgemacht werden, sich ändern.

Das heißt, auf Seite der richtungsbeeinflussenden Portfolios finden wieder Umbauten statt – wir sehen dies tagtäglich im Verhältnis der Orderdominanzen im Vergleich Kasse / Future. Damit verlieren Bewegungstendenzen immer an Stabilität, was sich in der Regel in einem Kursverhalten niederschlägt, was in den klassischen Berechnungen der qualitätsmessenden Oszillatoren zu Entwicklungen führt, was man gemeinhin als divergentes Verhalten bezeichnet. Somit sollte dieser Sachverhalt aktuell auch nur als das gesehen werden, was er ist: ein UMBAUHINWEIS, noch nicht als kritisches Schwächeindiz. Aber seien wir sensibilisiert.

Ein-Wechsel-der-Pferde-bringt-immer-Unsicherheit-Chartanalyse-Uwe-Wagner-GodmodeTrader.de-2

Was mögliche Widerstände betrifft, gelten die gleichen Aussagen, wie im Bezug auf den Wochenchart des DAX-Index: es sind alte Wendemarken aus November letzten Jahres. Diese weisen keine Positionsschieflagen mehr auf, mit deren Einfluss auf den Kursverlauf mit gesteigerter Wahrscheinlichkeit gerechnet werden kann. Auch hier sollten wir eher von möglichem reflexivem Einfluss ausgehen.

Was könnte zu marktbewegenden Handlungen in den Portfolios führen …

.. was schlussendlich zu neuen Bewegungstendenzen führen sollte?

Die aktuellen Positionierungen spiegeln aktuell das gültige Umfeld und dessen antizipierende Auswirkung auf Konjunktur und Geldpolitik wider.

Szenario 1: es kommt zu einer Einigung USA / China

Ist das kurzfristig realistisch? Nach Medienberichten könnten die US-chinesischen Handelsgespräche schon in wenigen Wochen zu einem Ergebnis führen, heißt es bei Reuters. US-Vertreter bereiten angeblich ein finales Abkommen vor, dass Mitte März von Trump und seinem Amtskollegen in China, Xi Jinping, unterzeichnet werden könnte.

Wäre diese Einigung eine Überraschung? Nein, wohl eher nicht. Im Gegenteil: es gibt im Markt schon Witze zu diesem Thema und man fühlt sich bereits eher gelangweilt. Aktuell spürt man eher eine unterschwellige Sorge, dass es in letzter Minute alles noch platzen könnte (vergleichbar mit dem Gipfel in Hanoi zwischen USA und Nordkorea). Kommt es nicht zur Einigung – dann hätten wir die Überraschung und damit wieder den Startschuss für heftige Umbauten der Portfolios. Einigt man sich, gibt es nicht wenige Experten im Markt, die dann bestenfalls nur noch einen kleinen Hüpfer erwarten und sich dann sogar gewinnabsichernde Handelsaktivitäten vorstellen könnten. Szenario 1 sollte somit kaum noch Treibstoff bereitstellen.

Szenario 2: der Brexit wird verschoben

Auch das ist mittlerweile ein vom Markt als sehr wahrscheinlich eingeschätztes Szenario und gilt aktuell als Grund für die Käufe der letzten Tage in Europa / Deutschland. Für die US-Märkte ist dies eher ein Nebenkriegsschauplatz ohne nennenswerte Bedeutung für die Binnenkonjunktur.

Das Brexit-Thema behält aber dennoch mehr Unsicherheit und möglichen Sprengstoff für die Märkte. Im Gegensatz zum Handelskonflikt USA / China, sind sich hier im Brexit-Thema die Parteien ganz und gar nicht wirklich einig, dass eine Lösung gefunden werden muss. Ein harter Brexit ist für Teile der beeinflussenden Größen durchaus eine mögliche (sogar zum Teil gewollte) Option – also auf jeden Fall nicht mit dem Handelskonflikt vergleichbar. Kommt es zur Verschiebung der Brexit-Entscheidung, sollten dennoch positive Aspekte überwiegen, zumindest könnte man das so annehmen: man gewinnt Zeit, man nimmt den Druck aus dem Kessel. Kurzfristig wäre das also entspannend. Auf längere Sicht ist ein positiver Effekt eher fragwürdig. Europäische Politik ist nicht bekannt dafür, mehr Zeit auch sinnvoll zu nutzen, um strukturelle oder politische Veränderungen auch beherzt anzugehen – siehe all die Jahre, in denen die EZB der Politik nach 2007 Zeit erkaufte und die nicht genutzt wurde.

Aber dennoch: kurzfristig sollte Szenario 2 weiter stützen.

Szenario 3: die Konjunktur verbessert sich

In der letzten Woche verbesserte sich an den wichtigsten Wirtschaftsplätzen weltweit die Konjunktur. Der unerwartet positive Caixin-Einkaufsmanager-Index aus China am Freitag und die überraschend starken US-Daten vom Vortag, aber auch gute Konjunkturdaten aus Europa, überwiegend gute Unternehmenszahlen und der Verzicht der US-Rating-Agentur Fitch, Italien herabzustufen, haben bei den Investoren die Hoffnung auf ein Ende der aktuellen Konjunkturdelle verstärkt.

Kleine Dämpfer erhielt diese Erwartungshaltung mit neuen Daten am Freitag. Schon die US-vorbörslich veröffentlichten Daten zu den persönlichen Einkommen und Ausgaben passten nicht in das positive Bild. Die US-Verbraucher haben im Dezember ihre Ausgaben eingeschränkt und ihre Einkommen gingen zu Beginn des Jahres leicht zurück.

Der kurz nach der Startglocke veröffentlichte Uni-Michigan-Index für die Verbraucherstimmung stieg im Februar zwar, verfehlte allerdings die Konsenserwartung. Und die Einkaufsmanagerindizes von ISM und Markit für das verarbeitende Gewerbe in den USA zeigten, dass die US-Wirtschaft im Februar spürbar an Schwung verliert. Beide Indizes lagen zudem unter den Erwartungen.

Reuters schreibt aber, dass diese Daten am Markt eher als „Ausrutscher“ gesehen werden, nachdem an den Tagen zuvor überzeugende Wirtschaftsdaten veröffentlicht worden waren. Unterm Strich habe es in dieser Woche mehr positive als negative Überraschungen gegeben, werden Marktbeobachter zitiert.

Diese Tatsache hegt aber nun auch wieder Sorgen: nämlich dass die Fed sich dadurch doch wieder ermutigt sehen könnte, den Zinspfad anzuheben. Aber laut Powell steht das ja anscheinend noch nicht auf der Agenda – siehe oben. Somit sollte ein Szenario 3 solange stützen, solange sich kein Fed-Verantwortlicher in diese Richtung zu äußern beginnt.

Fazit:

Übergeordnet sprechen momentan noch immer mehr Argumente für ein Beibehalten, bzw. Nachfüllen der aktuellen Portfoliostrukturen (zumindest ist das meine Interpretation), was bedeuten sollte, dass wir wahrscheinlich tendenziell irgendwo zwischen Konsolidierung und (zumindest in Europa) tendenziell leicht steigenden Märkten stehen sollten. Das heißt dann aber auch, dass wir wahrscheinlich im vorläufig letzten Abschnitt der Aufwärtstrends im laufenden Impuls liegen. Setzten Besicherungen ein (nicht weil man negativ wird, sondern weil man festhält, was man hat), dann werden wir Reaktionen sehen – zwar im Rahmen, aber immerhin.

Somit sollte die kommende Woche spannend bleiben.

Ich wünsche uns eine erfolgreiche Woche!

Uwe Wagner

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2 Kommentare

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  • shark
    shark

    Guter Beitrag von Uwe Wagner.

    An den Märkten kann man nicht alles erklären .Ein"Marktinstinkt" ist sehr viel wert,den bekommt man allerdings nur durch aktives Handeln am Markt .

    Am Rosenmontag gilt für mich allerdings-no Trade!

    Für alle Jecken

    Mickie Krause - 10 nackte Frisösen (+ Lyrics)

    Alaaf und Helau:-))))))

    11:34 Uhr, 04.03.2019
  • chrisheinrich910
    chrisheinrich910

    Ich schätze die Analysen von Uwe Wagner sehr, weil sie mir jede Woche eine Art "Gefühl" für den Markt geben und das, was die wichtigen Akteure umtreibt.

    Bin sehr froh, dass die Analysen hier mittlerweile fast jeden Sonntag zu finden sind!

    Christian

    19:46 Uhr, 03.03.2019

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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