Kommentar
17:35 Uhr, 06.09.2015

Die Erfahrungsbildungsmaschine – Marktnachbereitung und Nutzung aller Hilfsmittel die man bekommen kann

Wenn wir uns einen Chart ansehen, blicken wir in die Vergangenheit. Wir sehen Trendverläufe, können Widerstände und Unterstützungslinien antragen, so wie es in der klassischen Fachliteratur oder in unzähligen Seminaren erläutert wird.

Erwähnte Instrumente

Ein Chart bildet ein Reiz-Reaktionsschema der Marktteilnehmer ab, erlaubt uns somit Aussagen zum Kräfteverhältnis von Angebot und Nachfrage in den jeweiligen Zeitabschnitten (Bewegungsfraktalen). Mag eine solche Informationsmenge für den strategisch arbeitenden und investierten Marktteilnehmer vielleicht ausreichend sein, in unserem Zeitfenster, in dem wir als kurzfristig orientierte Day-Trader / Scalper unterwegs sind, reichen diese Informationen nicht aus. Wir ziehen die meisten Informationen nicht allein aus der historischen Abbildung einer Kerze im Chart, wir ziehen diese Informationen aus der Art wie sie sich ausbildet. Ja, es gibt immer wiederkehrende Kursmuster und auch als „komplex“ zu bezeichnende Kursformationen innerhalb eines 1 Minuten-Charts, welche den Wechsel zwischen Akkumulation und Distribution der „Kerngruppe“ an marktbewegenden Akteuren (fast) zuverlässig anzeigen, aber nützen uns diese Formationsmuster im Nachhinein, nach ihrer Ausformung, (a) sehr wenig, um daran noch profitabel partizipieren zu können – die „Messe ist dann praktisch ja schon gelesen“ und (b) ist die Ausformung dieser Kursmuster mit ihren zu erwartenden Folgeimpulsen, welche bei uns Erfahrungen dauerhaft in unserem Gehirn schaffen und hinterlegen am höchsten, wenn wir ihre jeweilige Entwicklung und Entfaltung bewusst miterleben.

Wir müssen alles was an der Börse geschieht und sich damit im Kursverlauf kondensiert, immer aus dem Blickwinkel heraus bewerten, der unserer Beurteilung unserer Wirte entspricht. Die Kurse werden von Menschen gemacht, hinter diesen Aktivitäten (jedem Kauf, jedem Verkauf) steht eine Absicht – seien sie Teil eines Positionsaufbaus oder –abbaus, seien sie Teil einer Arbitrage (Index- oder aber auch Optionsarbitrage), seien sie Teil von Delta-Glattstellungen (resultierend aus dem Delta-Gamma-Effekt), seien es OTC Geschäfte – was auch immer. Das gilt auch für den Einsatz von computergestützten, regelwerksorientierten Handelsumsetzen. Es gibt keine selbstentscheidenden Handelscomputer, sondern diese basieren auf vorgegebenen Algorithmen und arbeiten nur beschleunigt jene Aktivitäten ab, welche vom jeweiligen einsetzenden Händler gewollt sind[1].

Um aus dem Gesehenen Erfahrung dauerhaft aufbauen zu können, müssen wir es unserem Gehirn in passgerechter und abspeicherbarer Form aufarbeiten und verabreichen. Durch eine dauerhaft regelmäßige und stetige Wiederholung, werden so Eindrücke zu nachhaltigen Erfahrungen und erlauben zunehmend auch die Visualisierungen, auf welche ich noch zu sprechen komme.

Ich schlage Ihnen folgenden Ablauf vor:

(1) Legen Sie sich zu Handelsbeginn Blatt und Stift zurecht, um während des Handels kurze Vermerke durchführen zu können, welche mit Uhrzeit und Hintergrund versehen sind, die auf besondere Kursbewegungen im Tagesverlauf (im 1 Minuten-Chart) verweisen.

(2) Formen sich auffällige, immer wiederkehrende Kursmuster intraday aus, drucken Sie sich diese gleich oder dann aus, wenn es zeitlich passt, heben Sie diese farblich hervor und schreiben Sie die Fakten dazu, welche Sie als Erläuterung für das bessere Verständnis dieser Kursentwicklung benötigen. So könnte es z.B. heißen: „KFH (Kurzfristhandel) ist long positioniert, findet aber keine weitere Abgabemöglichkeit. Es erfolgt Hebelreduzierung und Long-Einmischung auf tieferem Niveau. Da auch wiederholt Wirt ausbleibt, folgen Glattstellungen.“

(3) Nach Handelsschluss bietet es sich an, den Tagesverlauf im 1 Minuten-Chart (oder aber in dem Zeitfenster, in dem Sie aktiv sind) noch einmal im Ganzen durchzugehen. Hier sind die Eindrücke noch frisch und die Entwicklung der jeweils interessanten Muster noch im Gehirn präsent. Durch die Beschreibung des im Tagesverlauf gesehenen, finden Form (Visualisierung) und Beschreibung (Formulierung) zusammen und schaffen entsprechende Analogieverknüpfungen.

(4) Markieren Sie auch, wo Sie in den Markt gegangen sind (Positionseröffnung) und wo Sie diese wieder geschlossen haben.

(5) Bei Impulsbewegungen, ausgelöst durch veröffentlichte Nachrichten oder Zahlen, ist es ebenfalls sinnvoll und wichtig, diese im Nachhinein im Gesamtchart zu markieren und zu beschreiben. Legen Sie sich eine kleine Statistik an, in der Sie vermerken, wie weit in der bisher gesehenen Vergangenheit ein solcher Schub tatsächlich tragen konnte. So können Sie nach einer gewissen „Erfahrung“ und Zeit durchaus beginnen abzuschätzen, ob es sich auch nach einem Anstieg oder Rückfall von 10, 15 oder 20 Punkten noch immer lohnt, nachzuspringen, ohne bereits offensichtlich der Letzte zu sein.

(6) Markieren Sie sich börsentäglich wichtige Chartmarken im Vorfeld im Chart und überprüfen Sie während des Handels bzw. am Abend in der Nachbereitung, inwieweit diese Marken vom Markt Beachtung fanden. Auf diese Weise bekommen Sie mit der Zeit ein Gefühl für die Reflexivität des Marktes. Wenn Sie Chartmarken und klassische Regeln (Pivot-Punkte, Fibonacci´s, Wellen usw.) mit Abstand betrachten und diese nicht für die tatsächlichen Heilsbringer ansehen, werden diese Marken Ihren Handelserfolg gesund bereichern. Auf Grund ihrer Reflexivität lassen sich bestimmte Marken tatsächlich nutzen, allerdings auch in Abhängigkeit der jeweiligen Dominanz einzelner Marktteilnehmergruppen. Ist der Kurzfristhandel marktbestimmend, haben Chartmarken eine auffällig zuverlässige Bedeutung als Ziel- oder Wendemarken. Dominiert dagegen eine Finalorder das Geschehen, sind genannte, gängige Chartmarken weniger von Bedeutung, mitunter völlig unwichtig. Damit sollte auch deutlich werden wie wichtig es ist, immer wieder zu prüfen und zu hinterfragen, welche Gruppe im Markt wann dominiert.

(7) Markieren Sie sich die jeweiligen Netto-Open-Interests der Optionsseite und beobachten Sie im laufenden Handel das Kerzenverhalten nahe dieser Basispreise. Stimmt das Kursverhalten des Futures überein mit Ihrer Erwartungshaltung hinsichtlich der Delta / Gamma Wirkung[2]?

(8) Sammeln Sie diese Ausarbeitungen und schauen Sie diese in einer ruhigen Minute immer wieder durch. Prägen Sie sich markierte / hervorgehobene Kursmuster immer wieder ein, in Kombination mit der dazu passenden „Story“.

Diverse Handelsoberflächen bieten die Möglichkeit, den Kursverlauf intraday aufzuzeichnen ��� praktisch eine jederzeit abrufbare Historie aufzubauen, welche immer und immer wieder abgerufen werden kann, wobei es möglich ist, im Simulationsmodus auf diesen Kursverlauf zu handeln. Was soll das bringen? Eine solche Aufzeichnungs- und Abspielmöglichkeit bringt zweierlei Vorteile mit sich:

(a) Sie sehen die Entfaltung des Kursverlaufsmusters ganz bewusst (da Sie ja wissen dass es sich entfaltet) und prägen sich auf diese Weise den Ablauf und die Folgeentwicklung ein.

(b) Sie üben Umsetzungsschritte in der Simulation, so dass sich diese automatisieren.

Gerade diese Kombination aus wiederholender Verinnerlichung der (aufgezeichneten) Kursentfaltung und dem darauf praktischen Üben der Positionseröffnungen (Positionsschließungen) führt zu einem weiteren sehr wichtigen und hilfreichen Effekt: der „Visualisierung der Erwartungen“

Die Visualisierung von kommenden Kursbewegungen

Ich bin ein sehr visueller Mensch, das heißt, ich kann mir gesehene Abläufe besser einprägen, als z.B. Gehörtes. Ich kann mir aber auch Grafiken besser merken als nummerische Abfolgen. Ich kann folglich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob eine Visualisierung von möglichen kommenden Kursbewegungen für jeden Trader eine realistisch sinnvolle Unterstützung darstellt.

Ich möchte kurz umreißen, was ich mit dieser benannten Visualisierung beschreiben möchte. Ganz allgemein gesprochen: Sie haben als Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit, im jetzt etwas fortgeschrittenen Alter vielleicht schon mehrfach Steine in das Wasser eines Sees oder Flusses geworfen. Wenn Sie diesen Vorgang in Ihrer Vergangenheit oft genug durchgeführt haben, können Sie diesen Ablauf bestimmt bereits im Vorfeld visualisieren. Sie können wahrscheinlich vor Ihrem „geistigen Auge“ sehen, wie der Stein fliegt, wie weit er in etwa fliegt, in welchem Bogen und wie er auf die Wasseroberfläche trifft. Auch die in der Folge davon ausgelösten kreisrunden Wellen an der Eintrittsstelle sind nichts Neues für Sie. Alles in allem überrascht Sie dieser gesamte Ablauf nicht, da Ihr Gehirn eine klare Vorstellung davon hat, wie der Stein Ihren Wurfarm verlässt, wie er fliegt, wie er den Bogen in der Luft vollzieht und wie er auftrifft.

Diese Visualisierung tritt übrigens auch auf, wenn Sie versuchen, z.B. einen Ball in einen Fangkorb zu werfen. Ihr Gehirn schätzt Weite und Größe des Zieles ab, bringt es blitzschnell mit dem Gewicht und Größe des Wurfballes in Verbindung und „errechnet“ auf der Grundlage von Erfahrungen und den dazu passenden Analogiemustern Wurfwinkel und Wurfkraft, um das Ziel zu treffen. Je mehr Erfahrung und praktische Übung Sie haben, umso weniger müssen darüber noch nachdenken, da der Prozess der Wurfvorbereitung und schließlich der Wurfdurchführung automatisiert abläuft.

Eine vergleichbare Form der Visualisierung tritt bei ausreichender Übung und Häufung des Ereignisses auch im Zusammenhang mit Kursmusterausbildungen und sich anschließenden Kursfolgebewegungen auf. So wie Sie beim Basketball lernen, Geschwindigkeit und Gewicht und Größe des Balles, Geschwindigkeit des Gegners und Ihr eigenes Tempo, Entfernung, Größe und Höhe des Korbes und viele weitere Faktoren immer besser im Einklang miteinander abzuschätzen, um schlussendlich den passenden Wurf anzusetzen und tatsächlich auch durchzuführen, so lernt der Trader mit der Zeit die Möglichkeit einer Bodenbildung im 1 Minuten Zeitfenster abzuschätzen, die Chance der Formationsbildung dem Risiko einer Impulsfortsetzung in Abhängigkeit des Ausmaßes der Reaktion gegenüberzustellen (ohne dies alles im vollen Bewusstsein zu durchdenken – was wertvolle Zeit kosten würde). Diese Visualisierung erlaubt es Ihnen, die Möglichkeiten der jeweiligen kommenden Kursentwicklung „vorherzusehen“, so wie ein Schachspieler visuell die Folgezüge sieht, ein Boxer durch eingehendes Studieren seines Gegners aus Haltung und Gesichtsmimik ahnt, wann der nächste Schlag wo platziert werden könnte. Da wir immer in mindestens zwei Szenarien denken wollen (Formationsausbildung, welche wir antizipieren wollen bzw. Scheitern der Formation mit der sich anschließenden Folgebewegung in Impulsrichtung), leiten sich entsprechende Visualisierungen ab.

Und an dieser Stelle trifft die Frage nach „Wann beginnt der Kurs zu laufen, so dass ich einsteige?“ oder „Wann erkenne ich, dass der Kurs nicht mehr läuft und es besser wäre, den Gewinn zu realisieren bzw. einen kleinen, statt eines großen Verlustes mitzunehmen?“ auf ihre Antwort. Nämlich wenn der Kurs sich anders verhält, als es Ihre Visualisierung vorgegeben hat.

Zurück zu unserem Wurfbeispiel: wenn der Stein / Ball Ihren Erwartungen entsprechend fliegt, erleben Sie keinerlei auffällige, unerwartete Reaktionen in Ihrem Körper. Alles „läuft nach Plan“. Doch stellen Sie sich vor, der Stein / Ball rutscht Ihnen während der Beschleunigungsphase aus der Hand und seine Flugbahn weicht auffällig von der erwarteten, im Vorfeld visualisierten Bahn ab. Sofort reagiert Ihr gesamter Körper, umso mehr, wenn die Gefahr bestehen könnte, einen Zuschauer zu treffen. Diese Reaktion, zumindest im vergleichbaren Ablauf im Hirn, durchläuft den Trader, wenn der Kursverlauf, selbst im geringsten Verlaufsmuster, der visualisierten Vorstellung entgegen läuft. Das heißt nicht, dass der Kurs am Ende nicht doch in die erwartete Richtung läuft, aber anders, in einem anderen Rhythmus, in einem anderen Tempo und somit anders als visualisiert[3]. Konsequenterweise steigt man aus oder gar nicht erst ein, auch wenn die Idee dennoch richtig war.

Wie entwickeln sich diese Visualisierungen? Gegenfrage: wie schaffen Sie es, einen Fußballspieler so zu formen, dass er seine Bewegungen mit dem Ball entsprechend visualisiert und schließlich ohne zu denken umsetzt? Wie schaffen wir es, einen Tennisspieler so zu trainieren, dass er auf Bälle reagieren kann, die mit einer gewaltigen Geschwindigkeit auf ihn zukommen – so schnell, dass er bewusst kaum in der Lage sein wird darauf zu reagieren, sondern visualisierte Reflexreaktionen durchführen muss? Durch Übung, durch Training und noch einmal Training. Wir üben sein Auge, wir trainieren seine Reflexe, wir konzentrieren seinen Fokus. Und nichts anderes trainiert ein Trader. Dazu nutzt er die Simulationsoberfläche, diese ist sein Übungsplatz. Dazu lernt er die Theorie – um zu verstehen und die Zusammenhänge zu begreifen, dazu führt er seine Nachbereitung durch, um den Pulsschlag des Marktes zu seinem eigenen Puls zu machen.

Auf welche Hilfsmittel sollten wir zugreifen, um diesen Zusammenhang zwischen Praxis und Theorie herzustellen?

Unser Gehirn ist keine Maschine. Unser Gehirn nimmt Informationen nicht linear auf, verarbeitet diese nicht linear und ruft gespeichertes Wissen nicht linear ab. Wäre dies der Fall, wir wären hoffnungslos langsam, wahrscheinlich wären wir nicht einmal im Ansatz zu unseren echten kognitiven Fähigkeiten in der Lage, welche uns zu dem machen, was wir sind. Die Höchstgeschwindigkeit, mit der unsere Neuronen Informationen weiterleiten beträgt etwa 200 Hz, das sind volle sieben Größenordnungen langsamer als ein moderner Mikroprozessor. Unsere „interne Kommunikationsgeschwindigkeit“ beträgt 120 Meter pro Sekunde (oder langsamer), während Computer nahe Lichtgeschwindigkeit kommunizieren können / könnten. Unser Arbeitsgedächtnis kann nur ungefähr vier oder fünf Informationspakete gleichzeitig speichern[4], so dass deutlich wird, warum es sinnvoll ist, bereits fertige komplexe und immer wieder benötigte Informationseinheiten fertig abgepackt im „Großen und Ganzen“ abrufbereit über System 1 vorliegen zu haben. Unser Gehirn bewältigt diese biologischen Restriktionen, in dem es auf massive Parallelverarbeitungen zugreift.

Um dennoch in einer überschaubaren Zeit dem Gehirn nicht nur die Möglichkeit zu geben, Informationen kurzfristig sinnvoll zu verarbeiten und die passenden Reaktionen darauf zu veranlassen, ist es notwendig, auf entsprechende Hilfsmittel und Vereinfachungen zuzugreifen, sofern sich diese anbieten.

Ziehen wir wieder den Vergleich zum Leistungssport. Haben Sie einmal gesehen, mit welchen hochwissenschaftlichen Methoden dort vorgegangen wird, um ein Optimum im Zusammenspiel zwischen Körper und Geist zu erreichen? Ich habe dies einmal im Zusammenhang mit Leistungsschwimmern gesehen und war hochgradig erstaunt, welches Ausmaß und welche Komplexität die Ausbildung das Training in diesem Bereich erreicht hat. Und so wird es auch nicht anders in anderen Sportbereichen aussehen.

Trading ist auch ein Hochleistungssport und folglich ist auch hier ein sehr komplexes, mit Mühen, Selbstüberwindung und mitunter mit mentalen Schmerzen verbundenes Ausbildungs-, Schulungs- und Trainingsprozedere notwendig, welches jedoch mit Hilfsmitteln geschmeidiger gestaltet werden kann.

Informationsaufnahme mit allen Sinnen

Trader handeln Erwartungen oder vermutete Erwartungen anderer. Nichts anderes tun wir, wenn wir uns auf das fokussieren, was unsere Wirte wohl tun werden. Erwartungen erwachsen aus Informationen und Gerüchten, aus Meinungen und Zahlen, aus Interpretationen und Verwerfungen. Große Nachrichtenagenturen haben sich diesen Informationshunger zu Nutze gemacht und stellen alles an News nahezu ungefiltert zur Verfügung, was den Handel bewegen könnte. Die Folge sind Informationsüberflutungen, sei es in der Darstellung[5], als auch in der Verarbeitungsmöglichkeit unseres Gehirns. Britische und US-amerikanische Agenturen haben hier sehr nützliche Brücken geschlagen mit der Bereitstellung sogenannter Squawk Boxen. Durch das Verlesen und interpretieren von Zahlen, Nachrichten und Gerüchten, welche zeitgleich zu den Veröffentlichungen der großen Nachrichtenagenturen erfolgen, ist es nicht mehr notwendig auf den News Schirm zu schauen und gegebenenfalls die passende Nachricht zu suchen, wobei die Aufmerksamkeit gegenüber dem Chartverlauf genau in diesem Moment verloren geht. Der Blick des Traders bleibt auf den Chart fokussiert, er bleibt im Flow, während ihm alles für ihn notwendige vorgelesen, bzw. interpretiert wird. Er verpasst keine News, keine Zahl und erhält die News zum Teil schneller, als wenn er diese in der Flut anderer Nachrichten suchen muss.

Da wir als Trader selbst die positiven Erfahrungen mit dieser Art der Informationsbereitstellung und der sich für uns damit erleichterten eigenen mentalen Verarbeitung machten, kann ich nur empfehlen, über den Nutzen solcher Dienstleistungen nachzudenken. Da Deutschland keine vergleichbare Trader-Kultur wie England oder die USA, aber auch zum Teil asiatische Länder hat, sind vergleichbare Dienste in deutscher Sprache hier nicht vertreten. Dies veranlasste uns, im Zusammenhang mit der Schulung von Tradern durch Trader auch diese Quelle zu erschließen, um den Arbeitserfolg der Händler im deutschsprachigen Raum zu erhöhen. Nähere Informationen dazu finden Sie unter www.tradematiker.de unter dem Link „Traders Talk“.

Arbeiten mit der Simulationsoberfläche

Welche Aufgabe hat eine Simulationsoberfläche? Sie simuliert den Handel mit Echtkursen in Echtzeit, ohne dass echtes Geld zum Einsatz kommt. Der Vorteil liegt auf der Hand: ohne Risiken im Handel einzugehen, kann der angehende Trader bereits erste Erfahrungen mit dem Markt und mit dem jeweiligen Handelsprodukt sammeln, in dem er sich in Zukunft bewegen wird. Dennoch weichen die Zielsetzungen, welche ein Trader mit dem Arbeiten in der Simulation verbindet untereinander ab, wenn wir den Berufshandel und den privaten Trader miteinander vergleichen.

Der Berufshandel nutzt Simulationsoberflächen, um das Arbeiten mit der Plattform zu erlernen. Es wird trainiert, rasch und möglichst fehlerlos Orders im Markt zu platzieren, zu verschieben, zu löschen. Der Handel mit vielen Kontrakten wird trainiert – hochmischen, heruntermischen. Es steht das Erlernen praktischer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Vordergrund, wobei das „Ergebnis“ dabei kaum Beachtung findet. Deshalb laufen viele professionell genutzte Handelsoberflächen in der Simulation völlig getrennt vom eigentlichen Netzwerk, um dieses nicht zu belasten. Der Handel selbst wird sehr zügig auf Echtgeld gehoben, was aber weniger mit pädagogischem Fingerspitzengefühl zu begründen ist, sondern mehr dem dort herrschenden Arbeitsdruck zu verdanken ist.

Der private Trader nutzt erfahrungsgemäß die Möglichkeit des Simulationshandels mit unterschiedlichem Ziel. Entweder wird die Simulationsmöglichkeit stiefmütterlich genutzt, immer mit dem Argument, es fehle der wahre Kick, wenn kein Echtgeld involviert ist. Das andere Extrem ist eine Dauernutzung der Simulation, wobei diese bereits in den Stand des Echtgeldvergleiches gehoben wird. Man simuliert und simuliert und irgendwann hat man sich tot simuliert.

Meine ganz persönliche Meinung, ohne Anspruch auf die absolute Wahrheit erheben zu wollen ist, dass dem Arbeiten mit einer Simulationsoberfläche zunächst eine höhere Bedeutung und ein höherer Stellenwert einzuräumen ist, als dies im Berufshandel gemein hin getan wird. Ich kenne Händler, die über Jahre nicht wussten, dass man überhaupt in Simulation mit ihrer jeweiligen Oberfläche arbeiten könnte. Der Simulationsoberfläche kommt die gleiche Bedeutung zu, wie dem Flugsimulator in der Pilotenausbildung.

Ich plädiere beim Einsatz solcher Software-Einstellungen jedoch für folgendes Vorgehen:

(1) Das oberste Ziel beim Arbeiten mit einer Simulationsoberfläche muss sein, die Oberfläche kennenzulernen, diese in jeder handelstechnischen Lebenslage zu beherrschen (damit meine ich weniger das Kennen aller Einstellungsmöglichkeiten. Im Berufshandel werden die notwendigen Einstellungen einmal vollzogen, angepasst an die Notwendigkeiten und Bedürfnisse des jeweiligen Händlers, danach fässt diese Einstellungen niemand mehr an). Schieben Sie immer mal wieder Übungsstunden zwischen, in denen Sie das rasche und fehlerfreie Einstellen vom Limit und Stopp-Orders üben. Es geht um Zeit und Sicherheit. Was nützt dem Trader die schnellste Software, wenn er selbst langsam ist? Fehler sind teuer, fehlende Sicherheit im Umgang bremst dem Prozess unendlich ab.

(2) Das Erlernen des Tradings sollte meiner Meinung nach unbedingt im Simulationsmodus erfolgen. Wer bereits mit Echtgeld handelt, aber noch in den Grundlagen der Ordertypen, der Regelwerke, des Verständnisses des Marktes und - und - und Probleme oder Unsicherheiten hat, handelt unverantwortlich. Hier liegt entweder eine hoffnungslose Eigenüberschätzung vor oder fahrlässige Naivität. Beides jedenfalls ist ein mitunter kritischer Cocktail, der in den meisten Fällen nicht zum Erfolg führt. Auch dem Argument, es fehle der Kick, wenn man nicht mit echtem Geld unterwegs ist, kann ich nichts abgewinnen. Wer das als Prämisse hat muss sich fragen lassen, was sein echtes Ziel an der Börse ist: Spielerei? Aktion? Abenteuer? Oder seriöse Arbeit? Das Arbeiten in der Simulation ist notwendige Lernzeit, um Sicherheit, Selbstvertrauen und Erfahrung im Handel zu erlangen.

(3) Doch Handeln in der Simulation darf nicht zum Selbstzweck werden. Denn eines ist Fakt: Simulation ist niemals wirklich mit dem echten Handel vergleichbar, allein schon deshalb, weil keine einzige Ausführung in Realität erfolgt und alle Ausführungskurse eben simuliert sind. Keine einzige Slippage stimmt, kann nicht stimmen, denn Sie greifen ja nicht echt in den Markt ein. Wenn sich der Trader sicher im Umgang mit seinem wichtigsten Arbeitsinstrument fühlt, wenn er das Prinzip verstanden hat und zumindest halbwegs stabile fiktive Handelsergebnisse im (Simulations-) Markt erzielt, dann sollte er den echten Handel beginnen. Aber erst dann. Hält man sich allerdings in dieser Phase zu lange auf, lässt die Motivation nach, die Lernergebnisse werden gefährdet. Befindet man sich in einer Ausbildung, sollte hier der Wechsel durchaus in Absprache mit dem Ausbilder erfolgen.

Arbeiten mit dem Simulations- / Übungs-Server

Dem Arbeiten mit einem Übungsserver oder der Möglichkeit, individuell Kursverläufe aufzuzeichnen und diese dann auch nachzuhandeln ist ein wertvoller Abschnitt in der praktischen Ausbildung. Hierbei geht es weniger darum, den ganzen aufgezeichneten Tag nachhandeln zu wollen, als wenn es eine aktuell reale Börsen-Sitzung wäre. Das macht allein deshalb wenig Sinn, da in der Regel die Kurse unserer Zusatzmärkte (Sektor-Indizes, Rentenmarkt, Währungsmarkt) nicht zur Verfügung stehen. Es geht hier viel mehr darum, bestimmte Kursverlaufssequenzen immer wieder zu sehen und in diesem Zusammenhang (genau in dieser Abhängigkeit) die einzelnen Handlungsaktivitäten immer wieder zu üben. Es geht um Schnelligkeit, Zuverlässigkeit, Fehlerarmut und wieder Schnelligkeit. Der gewollte Nebeneffekt ist der damit einhergehende Automatismus, der zunehmend ausgebildet wird.


[1] Der Einsatz von Handelsalgorithmen kann dennoch auch zu seltenen, aber mitunter auch sehr heftigen Selbstläufern werden, so gesehen am Nachmittag des 06. Mai 2010. Im Zusammenhang mit der europäischen Schuldenkrise waren die US-Aktienkurse an diesem Tage bereits deutlich gefallen, einige bis zu 4 Prozent. Um 14:32 Uhr startete ein Investmentfonds einen Verkaufsalgorithmus, um eine große Anzahl von E-Mini S&P 500 Terminkontrakten am Markt zu platzieren. Das Regelwerk sah vor, den Verkaufspreis an das Maß der Minute-zu-Minute-Liquidität der Börse zu koppeln. Diese Kontrakte wurden von verschiedener Hochfrequenzhandelssoftware gekauft, die darauf programmiert war, diese sofort an andere Händler weiterzuverkaufen. Nachdem die tatsächlich bestehende Nachfrage gedeckt war, begannen die Programme, die E-Mini Kontrakte in erster Linie an andere Programme zu verkaufen. Diese gaben die Kontrakte wiederum an andere Programme weiter, was das Handelsvolumen in die Höhe trieb. Das interpretierte der Verkaufsalgorithmus nun als Indikator für eine hohe Liquidität, woraufhin er noch schneller weitere E-Mini-Kontrakte auf den Markt warf, was die Abwärtsspirale weiter antrieb. Schließlich traten die Hochfrequenzhändler den Rückzug aus dem Markt an, was die Liquidität versiegen ließ wären die Preise weiter fielen. Um 14:45 Uhr wurde der E-Mini-Handel durch eine automatische Notbremse, die stop logic functionality der Börse, ausgesetzt. Als der Handel gerade einmal 5 Sekunden später neu gestartet wurde, stabilisierten sich die Preise und begannen bald die Verluste wieder wett zu machen. Auf dem Höhepunkt der Krise jedoch waren 1 Billion USD vernichtet worden und im Anschluss war es zu einer erheblichen Anzahl von absurden Trades gekommen, bei denen einzelne Wertpapiere für einen Cent oder auch für 100.000 USD gehandelt worden waren. Nach Börsenschluss beschlossen Börsenvertreter und Börsenaufsicht, alle Trades für ungültig zu erklären, die zu Preisen abgewickelt worden waren, die 60 % oder mehr von den ursprünglichen Preisen abwichen (solche Transaktionen wurden als offensichtlich fehlerhaft deklariert und konnten somit im Rahmen der bestehenden Handelsregeln rückwirkend annulliert werden). Siehe hierzu: Superintelligenz / Nick Bostrom / Suhrkamp 2014 / Seite 35 

[2] Wir besprechen diesen Sachverhalt ausführlich im Optionsteil

[3] Dieser Sachverhalt erklärt z.B. auch, warum es vielen (auch erfahrenen Händlern) schwer fällt, in der „Mittagszeit“ zu handeln. Der Markt bewegt sich nicht wesentlich anders als zum Beispiel Vormittag oder Nachmittag, aber es ändert sich Tempo und Rhythmus des Kursverlaufes. Und damit passen unsere visualisierten Erwartungen mitunter mit der Realität nicht mehr überein und wir schließen die Positionen (meist zu früh).

[4] Ebenda Seite 89 f

[5] Wenn man sich die Bildschirme von Reuters oder Bloomberg ansieht, laufen diese nahezu über an rasch wechselnden, sich immer wieder aktualisierenden Nachrichten, was es schwer macht, den Überblick zu behalten. Der Blick schwenkt zwischen Chart, Handelsplattform und Nachrichtenschirm hin und her, damit kommt Unruhe in die Arbeit des Traders.

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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