Das Arbeiten mit Handelsbausteinen Teil 1
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Erwähnte Instrumente
Es gibt zwei Blickwinkel, wie wir das Arbeiten mit einem Kursverlaufsmuster angehen können:
(1) Wir sehen den Kursverlauf eines börsengehandelten Basiswertes als die Ursache selbst, das heißt, wir treffen unsere Handelsentscheidungen auf der Grundlage einer charttechnischen Konstellation (Kerzenmuster, Überschreiten / Unterschreiten einer Signallinie, Signalgenerierung durch einen Indikators oder Ähnliches) und legen deshalb all unsere Aufmerksamkeit auf die Auffindung und Auswertung von möglicherweise periodisch auftretenden Indikationen, welche es zu erkennen und richtig auszunutzen gilt.
oder
(2) Wir sehen den Kursverlauf nicht als Ursache, sondern als Wirkung einer anderen Ursache, welche für die Bewegung des Basiswertes verantwortlich ist. Sehen wir aber den handelnden Menschen, den Händler, der kauft oder verkauft als Ursache einer Kursentwicklung, dann müssen wir konsequenterweise unsere Anstrengungen für die Bewertung und Beurteilung der Kursverlaufes eines Basiswertes auf eben diese Ursache ausrichten und eben diesen Kursverlauf nur als eine bestätigende Indikation unserer Einschätzung betrachten.
Beide Blickwinkel stehen sich diametral gegenüber, fokussieren auf das gleiche Instrument (den Chart), bewerten dieses aber unter jeweils anderen Gesichtspunkten.
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Sehen wir uns die Konsequenzen dieser Aussagen an:
Zu (1)
Die klassische Chartanalyse, deren gedanklicher Ursprung im frühen 20. Jahrhundert liegt und welche in ihren Anfängen die durch klassische Ökonomen beschriebene zyklische Entwicklung der Wirtschaft im vorauseilenden Kursverlauf von Indizes abbilden wollte, entwickelte sich in dem darauffolgenden Jahrhundert zu einer komplett selbständigen Analysemethode mit unterschiedlichen Teilbereichen (dem Charting, der Formationslehre, der Markttechnik, der Sentimenttechnik und übergreifenden Studien). Die beiden bekanntesten eigenständigen Analysemethoden sind die in den späten 20ger Jahren entwickelte Wellentheorie des Amerikaners Ralph Nelson Elliott (Elliott-Wellen-Theorie) und das komplexe Regelwerk des begabten Mathematikers William Delbert Gann, welches seinen Ursprung in einer 1935 veröffentlichten Ausarbeitung hatte.
Kritiker dieser Analysemethode(n) weisen nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass sich die klassische Technische Analyse über die letzten Jahrzehnte, besonders mit Einführung der Markttechnik in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts, zunehmend verselbständigte(n) und ihren Bezug zur eigentlichen Ursache einer Kursbewegung zu verlieren drohen. Natürlich wird jeder eifrig zustimmen, dass es am Ende der Mensch mit seiner freien Willensbildung und Fähigkeit der Entscheidungsfindung ist, welcher als Impulsgeber am Markt auftritt. Es ist aber unstrittig, dass in den klassischen Technischen Analysen keinerlei Bezug auf Motivation, Vorgehen, Rahmen und Methodik der Bearbeitung von Orders, noch auf den Einfluss diverser Produkteigenschaften auf Kursbewegungen genommen wird. Vielmehr werden Kursverläufe selbst bewertet, zerlegt, geglättet, mögliche Wendepunkte aus sich selbst heraus errechnet, so dass die Kursentwicklung eines Börsengutes zunehmend eine Verselbständigung erfährt, dass man sie als Ursache selbst ansieht. Mit Abstand betrachtet ist dieses Vorgehen vergleichbar mit der intensiven Bewertung und Analyse der Flatterbewegung einer Fahne aus sich selbst heraus, ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass die Fahne nur als Wirkung flattert, wenn ursächlicher Wind an ihr zerrt. Doch statt sich mit dem Wind zu beschäftigen, werden Winkel und Wellen, Zyklen und Indikationen an die Fahne und ihre Bewegung angelegt bzw. davon abgeleitet. Im Ergebnis werden die Auswertungen und Einschätzungen immer kursverlaufsbezogener und ignorieren zunehmend die von allen unbestritten akzeptierte tatsächliche Ursache der Kursbewegung, den Menschen.
Zu (2)
In den Pit´s der US-amerikanischen Terminmärkte entwickelte sich in den Jahren ihrer Blütezeit eine Methode der Partizipation an Kursbewegungen, welche eine zunächst sehr einfache Grundlage hatte: man folgt der Orderabarbeitung eines dominanten Marktakteurs. Als Pit bezeichnete man eine, in den Boden eingelassene, meist achteckige Plattform mit mehreren, nach unten hin führenden Stufen. Hier wurden je Pit einzelne Kontrakte gehandelt, wobei das von außen vermeintlich chaotische Getümmel tatsächlich eine komplexe, nach genauen Regeln ablaufende Prozedur darstellte. Ein Pit war eng, man kannte sich persönlich, ein Händler wechselte selten in einen anderen Pit. Und man lernte Handelsvorgehen, Zugang zu großen Orders und Art der Orderbearbeitung dominanter Händler mit zum Teil kundenstarken Brokern im Rücken zu erkennen und ihnen zu folgen. Verwertbare, jederzeit einsehbare Charts gab es an den großen, auf Präsenzhandel spezialisierten Terminbörsen in den USA keine. Es zählten nur Orders, Nachrichten, die Kurstafel und eben das Verhalten und Vorgehen des Traders nebenan oder gegenüber. Die Grundlage des „Spurenlesens“ war geschaffen.
Mit dem immer dominanter werdenden Computerhandel wurden Präsenzbörsen zunehmend verdrängt, die Chicago Merkantil Exchange (CME) schloss am 02. Juli 2015 ihren Parketthandel in Chicago und New York. Doch mit dem Wechsel des Geschäftes vom Parkett (wo man sich persönlich in die Augen sah) hin zum anonymen Computerhandel, musste das „Lesen der Spuren“ dominanter Akteure neu strukturiert werden. Das direkte Feedback verschwand, indirekte Rückkoppelungen mussten gefunden werden.
Der Mensch als dominante, alles beeinflussende Ursache, als derjenige, der von sich aus allein den Kurs eines börsengehandelten Basiswertes bewegt, blieb im Mittelpunkt der Kursbeurteilung bestehen. Da er aber nicht mehr als präsenter Faktor wahrnehmbar war / ist, mussten Methoden und Vorgehen entwickelt werden, welche die durch ihn im Markt hinterlassene Spuren weiterhin identifizier- und ausnutzbar machten. Und hier liegt der wohl zentrale Unterschied zum klassisch technischen Ansatz: die Spurenidentifikation erfolgt nicht abstrakt und allgemein, auf der Ebene gemeingültiger, in jedem Markt vermeintlich anwendbarer „Regeln“, welche nicht mehr oder kaum noch hinterfragen sondern festlegen. Die Spurenidentifikation erfolgt konkret, zielorientiert und an die rechtliche, usancengebundene, motivationsorientierte Realität gebunden.
Vorteile und Grenzen beider Marktbeurteilungsmethoden
Es ist wie überall im Leben: man erkauft sich Vorteile mit Nachteilen. Man muss abschätzen, ob kurzfristige Vorteile langfristige Nachteile rechtfertigen und / oder kurzfristige Nachteile durch langfristige Vorteile gerechtfertigt sind.
Technische Analyse
Die Technische Analyse ist ein überaus aussagekräftiges Instrument zur Erstellung einer Marktdiagnose (NICHT mit PROGNOSE verwechseln). Rückblickend, bis zur Gegenwart kann die bisherige Bewegungsrichtung und Qualität der Tendenz beurteilt werden und man ist sehr gut in der Lage, Erwartungshaltungen für die Zukunft zu formulieren und diese auf Grundlage statistischer Auswertungen der vergangenen Daten zumindest mit Eintrittswahrscheinlichkeiten zu unterlegen. Darüber hinaus ist man mit den zur Verfügung stehenden Instrumentarien der TA in der Lage, die Fortentwicklung des Kursverlaufes zu begleiten und klare Fehlentwicklungen zu identifizieren.
Ein weiterer Vorteil dieses Analyseansatzes ist seine abstrakte Aussagekraft, so dass die Instrumentarien auf alle Kursverläufe angelegt werden können, welche die Mindestanforderungen einer ausreichenden Liquidität des Wertes und eines nicht durch regulatorischer Hemmnisse eingeschränkten Marktes erfüllen. Diesen Vorteil erkaufen wir uns mit der relativierenden Tatsache, dass die Technische Analyse ein allgemeiner und minimalistischer Ansatz ist. Dadurch ist sie zwar in ihrer Grundstruktur einfach und lässt sie in der Anwendung leicht erscheinen (zumindest erweckt sie diesen Eindruck, was sie folglich beliebt im Einsatz macht, aber auch falscher oder oberflächlicher Handhabung Tür und Tor öffnet) und damit wiederum ihre wahre Stärke nur in der Diagnose entfalten kann.
Ein offensichtlicher Nachteil der klassischen TA ist, dass sie in ihrer unreflektierten Anwendung keinen Bezug auf marktbeeinflussende Produkte nimmt (z.B. den Einfluss offener Optionspositionen, was in Märkten mit starken derivaten Überbauten wie den DAX zu falschen Schlüssen führen kann). Darüber hinaus nimmt sie keinen direkten Bezug zum einzelnen Akteur am Markt. Das kann sie auch nicht, weil dies ihre allgemeine, übergreifende Anwendung einschränken würde.
Auch wenn hier nicht weiterführend Vor- und Nachteile diskutiert werden sollen, wird zumindest deutlich, dass der technische Ansatz einerseits gewaltige Vorteile im Zusammenhang mit einer Standortbestimmung hat, auch in der Formulierung von möglichen Entwicklungsszenarien hervorragende Eigenschaften aufführen kann. Richtig und überlegt eingesetzt, hat die TA hier gegenüber anderen Analysemethoden (fundamentaler Ansatz und Portfoliotheorie) somit aus praktischer Sicht die Nase vorn.
Fokus auf den Akteur
Auch beim Fokus auf den marktdominanten Akteur gibt es Vorteile und Grenzen, welche hier zumindest angerissen werden sollen. Vorab aber so viel: das Arbeiten mit dem Marktakteur ist ebenfalls ein Arbeiten mit Elementen der Technischen Analyse, somit stehen sich beide Ansätze nicht in der Nutzung der Instrumentarien gegenüber, sondern in der Gewichtung und Interpretation der Instrumentarien.
Der Vorteil der Fokussierung auf den Akteur liegt in der Beurteilung der tatsächlichen Ursache der Kursbewegung. Wenn man weiß, wer, wann, warum und wie eine Order abarbeitet, hat man Rohdaten, auf deren Grundlage eine Positionierung einer eigenen Order deutlich weniger Risiko und höhere Ertragschancen enthält, als wenn man sich bei der Entscheidung nur auf die Wirkung (den Chart) fokussiert, ohne die Ursache zu hinterfragen.
Die Grenzen dieses Ansatzes liegen damit jedoch auf der Hand: im Gegensatz zur oberflächlich nahezu überall einsetzbaren klassischen TA, ist hier der Einsatz immer nur an eine Fülle von Informationszugängen geknüpft, was ihn obendrein auch immer auf einen jeweiligen Markt beschränkt. Das soll heißen: wer alle Informationen zur Arbeit, Methodik, Rechtslage usw. zum DAX besitzt, kann damit noch lange nicht in gleicher Stetigkeit und Konsequenz den ESTOXX 50 oder Dow Jones oder EUR/USD handeln. Das heißt, die deutlich höhere Erfolgsquote dieses fokussierten Analyse- und Handelsansatzes erkaufen wir uns mit der Einschränkung, diesen Ansatz auch immer nur in einem Markt zum Einsatz bringen zu können, zu dem uns alle Informationen vorliegen. Wir erkaufen uns hohe Ertragsquoten mit der Notwendigkeit, ein breites Spektrum an Zusatzinformationen zu erarbeiten und in der Regel meist auf einen Markt beschränkt zu sein.
Wo wird diese Vorgehensweise eingesetzt?
Mit Beginn der 90er Jahre, einhergehend mit einer dramatischen Entwicklung in der informationsverarbeitenden Technologie, schwenkte der institutionelle spekulative Handel zunehmend vom klassischen Handel auf Basis von TA und anderer Methoden der Kursprognose um auf die Auswertung des Markt-, Arbeits- und Motivationsverhalten der Akteure im Handel. Jetzt war der Kunde nicht mehr Kunde, er wurde Counterpart, der Akteur im Handel wurde gläsern. Besonders im Nostro-Bereich, der im Investmentbanking ab Ende der 90ger eine immer umfassendere Bedeutung erhielt, wurden die Informationsinhalte für die Händler immer ausgefeilter, die Vorgehen und Handelstechniken der eigenen Händler immer spezieller und auf die neue Art der Informationsverarbeitung angepasst.
Im Mittelpunkt stand nicht mehr das klassisch spekulative Traden mit Indikatoren, Kurven und berechenbaren Pivot-Punkten, sondern das Aufdecken der Spuren anderer Akteure, das Lesen anderer Orderbücher, das Studieren des Handelsverhaltens kursbewegender Marktteilnehmer. Dieser Prozess ging einher mit einem dramatischen Anwachsen derivater Überbauten, welche die Kursverläufe ihrer Basiswerte zunehmend zu beeinflussen begannen. Ohne ein fundiertes Wissen, welche Bewegungsverhalten durch den immer einflussreicheren Derivate-Markt auf die Kasse auftraten, wurde stetiger Handelserfolg kaum noch möglich.
Und damit spreizte sich der Entwicklungsweg des Handelsvorgehen zwischen Institutionell und Retail einmal mehr auf, wenn auch diesmal weniger in der Technik, als im Vorgehen.
Die technischen Voraussetzungen schmelzen zusammen. Im Prinzip kann sich heute jeder Retailer die gleiche technische Ausrüstung anschaffen, wie sie ein institutioneller Trader nutzt. Die Handelsgeschwindigkeit kann auf gleiches Niveau gebracht werden, Oberfläche und Anbindung kann identisch dargestellt werden. Was zunehmend auseinander klafft, ist die Veränderung des Vorgehens im Markt. Risiken wurden immer weiter reduziert, zumindest im Zusammenhang mit unkalkulierbaren Reflexivitäten der Akteure. Ebenso versuchte man zunehmend, die immer größer werdende Komplexität der Märkte dahingehend zu umgehen, in dem im aktiven Trading die Zeitfenster verkleinert und da wo es möglich war, keine Positionen über längere Zeitfenster gehalten wurden / werden. Das Investieren in Assets wurde immer mehr eine reine Domäne der Fonds, Pensionskassen und Großinvestoren, für welche die Banken als Dienstleister arbeiteten. Doch im Eigenhandel wurde das Vorgehen immer ausgefeilter, um am großen Kuchen partizipieren zu können - möglichst risikoarm und möglichst stetig.
Wie ist die Grundstruktur des auf den Akteur ausgerichteten Handels?
Wir können folgende Eckpfeiler definieren:
(a) Aufbau einer breiten Wissensbasis über die im jeweiligen Markt dominanten Akteure, deren Arbeitsweise, Motivation, Vorgehen und Eigenheiten, rechtliche Einschränkungen und Kenntnisse über gängige Usancen dieser Gruppen. Dieses Wissen bildet praktisch das Fundament dieses Analyse- und Handelsansatzes. Da dieses Wissen stark fokussiert und gruppenspezifisch ist, ist ein rasches Springen von Markt zu Markt nicht möglich. Im Berufshandel bearbeitet ein Nostro-Händler in der Regel immer nur einen Markt, in dem er dann über Jahre tätig ist. Auf diese Weise lernt er die Eigenheiten des Marktes bis ins letzte Detail kennen, erkennt zunehmend die Handschrift eines jeden dominanten Akteurs. Dies ist auch deshalb möglich, weil die institutionell dominierten Märkte meist weniger groß sind, als gemeinhin erwartet. Wirklich dominante Akteure sind im FDAX an vier Händen abzählbar, da in den Banken und Hedges-Fonds die Futures-Märkte in der Regel von ein bis zwei Händlern bearbeitet werden. Etwas breiter aufgestellt (nach Sektoren) sind die Kasse-Händler. So ist gewährleistet, dass sich täglich die gleichen Akteure im Markt gegenüberstehen, über deren Tische alle Orders von hunderten von Kundeninstitutionen laufen, alle unbewusst versehen mit den jeweils individuellen Handschriften in der Abwicklung / Umsetzung.
(b) Ausgehend vom Verständnis dessen, wie die Akteure im Markt arbeiten, lassen sich typische Handlungsmuster im Markt identifizieren. So wird z.B. die Qualität der Abarbeitung einer großen Order durch einen Kommissionshändler am Mischkurs der Order im Vergleich zum Mischkurs des Marktes bewertet. Der Händler verfolgt somit (ungeachtet irgendwelcher möglichen errechenbarer Indikatoren und ihrer Interpretationen) die Entwicklung seines Mischkurses während des Positionsaufbaues, um einen besseren Schnitt als den „natürlichen“ Durchschnitt des Marktkurses in diesem Zeitfenster zu erzielen. Dieses Vorgehen verlangt ein optimales Handelsschema und wird somit immer wiederholt. Vergleichbar sind die Optimierungen im Vorgehen der Händler in der Index-Arbitrage, im Optionshandel und auch im Eigenhandel. Somit werden klare, immer wiederkehrende Spuren identifizierbar und (viel wichtiger) erklärbar. Daraus lassen sich dann klare Erwartungshaltungen für den darauf reagierenden Händler ableiten. Hier an dieser Stelle greift der Trader auf das Charting zurück, denn der Kursverlauf ist die zu sehende „Spur im Schnee“. Sie zeigt, ob der Counterpart das macht, was wir erwarten. Diese Spur zeigt, ob wir das Orderbuch und die Positionierung, aber auch ob wir sein Verhalten richtig einschätzen und das unter der Maßgabe dass auch der Counterpart weiß, dass man seine Spur „verfolgt“, denn er beherrscht das gleiche Vorgehen und wendet es an.
(c) Dem Erlernen der typischen Spuren der Akteure im Markt, aus denen sich Vorgehen, Positionsgröße und Positionslage ableiten lassen, folgt das Erlernen des eigenen Vorgehens, mit dem auf Aktivitätsmuster im Markt reagiert wird. Man erlernt sogenannte Handelsbausteine (obwohl dieser Begriff so im Berufshandel nicht verwendet wird – wollen wir ihn beibehalten).
(d) Auf die größte Herausforderung trifft der Händler aber, wenn er alles Erlernte in einem fließenden Prozess in Einklang bringen muss. Während klassisches, charttechnisch ausgerichtetes Handeln eindimensionales Abarbeiten von vermeintlichen Signalen ist, welche mitunter nicht einmal hinterfragt werden, erfordert das Arbeiten mit dem Akteur ein dauerndes Belauern und ein rasches Reagieren auf das Verhalten des Anderen.
Warum ist es wichtig, sich dieser Tatsache bewusst zu sein? Meist ist es die Presse oder das Fernsehen, mitunter der eine oder andere Börsen-Guru, welche den Eindruck vermitteln, man könne erfolgreich traden, ohne sich anzustrengen. Man handelt auf Signale aus gerechneten Kurven, ohne Berechnung und Hintergrund dieser Indikationen zu kennen. Fragt man z.B. einen begeisterten Anwender eines Bollinger-Bandes nach Ursprung, Hintergrund, Berechnung und tatsächlicher Aussage dieses Indikators und fragt man ihn, was John Bollinger in den 80gern eigentlich mit diesem Indikator darstellen wollte, erntet man oft Unverständnis. Das gleiche trifft auf nahezu alle Standard-Indikatoren, Chartdarstellungen und Studien zu. Doch wird dabei übersehen, dass wir keine vom Berufshandel getrennten Märkte haben. In diesem einzigen Markt sind Akteure „unterwegs“, welche Handeln in allen Facetten erlernt haben, wie ein Flugzeugmechaniker oder ein Chirurg sein Handwerk. Und dann wundern wir uns, dass etwas mehr als 90 Prozent der Privatanleger an der Börse Geld verlieren?
Indikator versus potentielle Aktivitätsfelder
Eine Umfrage von mehreren Brokern unter ihrer Privatkunden-Klientel zur Nutzung diverser Analyse-Tools ergab, dass fast 100 Prozent ihrer Trader die Technische Analyse zumindest als eine Form der Marktanalyse kennen, etwa 95 Prozent diese auch für ihre Handelsentscheidungen einsetzen und etwa 80 Prozent ausschließlich auf diese Analyseform setzen. Diese Umfrage wurde 2007 veröffentlicht, leider fehlt mir aktuell die Quelle zum Nachweis. Doch geht es hier weniger um die genauen Zahlen, sondern vielmehr um den Fakt, dass sich dieses Anwenderverhalten kaum verändert, trotz der Tatsache, dass rund 90 Prozent der Anleger ihr Geld verlieren. Wir können aber sicher sein, dass der Verkauf von Waren eines Herstellers dramatisch einbricht, wenn dieser durch Negativschlagzeilen auffällt oder ein Restaurant Einbußen hinnehmen muss, wenn das Essen nicht mehr schmeckt.
Warum halten Menschen aber trotz ihres Scheiterns an den Märkten an Methoden fest, mit denen sie nicht stetig erfolgreich sind? Weil sie die Schuld bei sich oder anderen Rahmenbedingungen suchen, nicht aber bei dem, was unser genetischer Code verlangt: nämlich Orientierung in Zeit und Raum. Wir Menschen sind visuell orientiert. Einen gewaltigen Informationsfluss verarbeiten wir über unsere Augen und unser Sehzentrum im Gehirn. Und damit lokalisieren wir Bezugspunkte, um uns zu orientieren, Gefahren erkennen und Auswege suchen zu können.
Die Börse ist ein „Ort“ oder „Raum“, in dem wir keinerlei natürliche Bezugspunkte haben, wir sind orientierungslos und haben das natürliche Bestreben, diesen Zustand zu verändern. Trendlinien, Indikatoren und andere Bezugspunkte schaffen vermeintliche Sicherheit. Das geht soweit, dass manch ein Akteur bereit ist, Geld an „Stellen“ zu riskieren (Positionen zu eröffnen), weil dort eine mit „einem Bleistift und Lineal“ gezogene Trendlinie verläuft und den Effekt erwirkt, dass dort eine Wand stehen müsste, welche den Kursimpuls zur Umkehr zwingt. Klappt es dann nicht, wird nach anderen geheimnisvollen Indikatoren gesucht, wobei es schon fast peinlich wirkt, wenn man noch zu Jenen gehört, welche auf Alt-Indikatoren zugreifen. Je exotischer der Name, desto vielversprechender erscheint dieser Indikator, umso näher wähnt man sich der Auflösung des geheimnisvollen Mechanismus des Kursverlaufes.
Wir können noch so sachlich argumentieren über Sinn oder Unsinn diverser Analysemethoden, wir ändern eines nicht: wir sind alles Menschen, wir brauchen alle Orientierung, wir brauchen alle ein Gerüst, in dem wir uns bewegen. Das gilt für den professionellsten Professionellen, wie auch für den blutigsten Anfänger. Dieser Sachverhalt macht in gewisser Weise die Technische Analyse interessant: sie formt tatsächlich unter Umständen, auf die noch später eingegangen werden soll, den Kursverlauf – wenn auch nicht immer zuverlässig. Sie spricht unsere „reflexiven Sensoren“ an, so dass diese Aspekte im Bausteinhandel einen zentralen Platz einnehmen.
Kommen wir zurück auf das Bedürfnis, Ordnung und Struktur in einen Kursverlauf zu bringen und damit das Gefühl nach „Sicherheit“ oder mindestens „Orientierung“ zu erlangen. Auch der „Bausteinhändler“ schafft sich eine solche Struktur – ein „Koordinatennetz“ vor Beginn des Handels. Mit diesem soll das grobe, mögliche Drehbuch des kommenden Tagesverlaufes interaktiv erstellt werden.
Gesucht werden jene Bereiche im Chart, in denen im intraday-Trading mögliche Aktivitätsfelder auftreten werden. Als Aktivitätsfeld bezeichnen wir jene Zonen, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit marktbeeinflussende Käufe oder Verkäufe erwartet werden. Diese Aktivitätsfelder werden allerdings nicht über Indikatoren oder Trendlinien gesucht, sondern zunächst durch die Überlegung, wo marktbeeinflussende Counterparts aktiv werden könnten oder auf Grund ihrer Positionierungen in derivaten Positionen aktiv werden müssen. Ein recht brauchbares Hilfsmittel hierfür im DAX / FDAX ist das tägliche Auswerten der Open Interest Tabelle zu Eurex-Optionen, welche täglich veröffentlicht werden. Diese Statistik liefert uns eine einmalige Möglichkeit, jeden Tag in die Orderbücher der Counterparts zu schauen, welche auf Grund ihrer Größe mittlerweile freiwillig oder unfreiwillig Einfluss auf unseren Markt FDAX oder den Basiswertmarkt DAX ausüben.
Durch Markierung der jeweiligen Strikes im Chart, wobei Größe und Richtung der Positionsüberhänge in Farbe und Breite der Markierung hervorgehoben werden können, durch Vermerken der offenen Kontraktzahlen und des Errechnens der Futures-Äquivalente, lassen sich bereits die ersten groben, aber überaus zuverlässigen Aktivitätsfelder definieren und Handelsszenarien im Vorfeld festlegen, was die späteren tatsächlichen Handelsabläufe beschleunigt.
Was unterscheidet nun Aktivitätsfelder als Orientierungspunkte im Chart von Trendlinien und / oder Indikatoren? Es sind die Begründungen hinter diesen Markierungen. Eine offene Optionsposition ist ein Fakt, ein Indikator ist eine Ableitung / Glättung eines historischen Kursverlaufes. Eine offene Optionsposition ist real vorhanden und wird im Sinne ihrer Ausübungswahrscheinlichkeit (Delta) in den Markt hineinwirken – ob wir es wollen oder nicht, ob wir es im Vorfeld sehen oder nicht. Ein Indikator ist und bleibt eine Fiktion (auch wenn diese Fiktion mitunter reflexive Einflussnahme haben kann).
Doch es geht um ersteres: der Trader, der sich an Spuren seines Wirtes orientiert, braucht reale Fakten, er muss ein reales Problem des Counterparts erkennen und für sich verwerten, er kann nicht auf Hoffnungen oder vermeintliche exotische Indikationen vertrauen.
Was sind Handelsbausteine?
Unser Gehirn arbeitet die meiste Zeit des Tages im Autopilot-Modus. Wir wickeln das überwiegende Tagesgeschehen routiniert ab, Psychologen haben dafür den Begriff des Systems 1 definiert. Aktivieren wir das sogenannte System 2, weil wir zur Lösung komplexerer Aufgaben des Tagesablaufes kognitive Höchstleistungen benötigen, „ermüden“ wir rasch und rutschen in den Routinemodus zurück. Dies ist ein bewiesener Tatbestand, den wir nicht auffällig verändern können.
Diesem Fakt trägt das Handeln mit dem Counterpart, dem tragenden Akteur im Markt, Rechnung. Da man keine 10 Stunden Höchstleistung von unserem Gehirn im Dauerfeuer erwarten kann, kommen Handelsbausteine zum Einsatz.
Hierbei geht es um kurze, klar definierte und durch einen „Anfang“ und ein „Ende“ beschriebene Handelsabschnitte, denen man durch methodisch erlernte „Legs“ (kleinste Einheit einer Handelsaktivität) folgt. Die Handelsabschnitte selbst werden auf Grundlage der oben beschriebenen Notwendigkeit des Counterparts / Akteurs ausgebildet, gewisse Handelsaktivitäten immer und immer wieder nach gleichen Routinen abzuarbeiten. Da es nicht unendlich viele Arten von Vorgehen gibt, um z.B. eine viele Kontrakte umfassende Trading-Long-Position aufzubauen, sondern sich die Methodik zwangsläufig einem Optimum annähert, um beim Führen der Position den Überblick zu behalten, setzt sich dieses schlussendlich im Markt durch.
Die Tatsache, dass diese Handelsabschnitte beschrieben und mit einem Anfang und Ende versehen werden können, erlaubt es, darauf aufbauend klare Handelsabläufe zu entwickeln, welche sich wiederum aus erlernbaren Legs abarbeiten lassen. Sowohl das Erlernen der Legs und ihre Zusammenfassung zu Leg-Ketten, welche wiederum ganze Handelsbausteine abbilden, wird im Berufshandel so weit gehend trainiert, bis es über das angesprochene System 1 abgespult werden kann.
Der Einsatz von gelernten und tief im Gehirn verankerten Handelsbausteinen bringt nun folgende Vorteile mit sich:
(a) Die kognitive Leistung des Gehirns wird nicht belastet durch Überlegungen wie „gehe ich jetzt long oder short“, „was soll ich jetzt tun“ und ähnlichem, denn diese Aktivitäten folgen einem klaren Fahrplan, der weitestgehend unbewusst abgearbeitet werden kann. Das ist vergleichbar mit Autofahren, wo ein geübter Fahrer nicht mehr die einzelnen Handlungsschritte bewusst durchgehen muss, um erfolgreich von einem Gang in den nächsten schalten zu können.
(b) Damit bleibt genug kognitive Leistungskapazität frei, um sich auf das Beurteilen des allgemeinen Marktumfeldes und die jeweilig dominante Marktakteursgruppe zu fokussieren.
(c) Da ein Handelsbaustein einen klaren Anfang und ein klares Ende hat, kann unser Gehirn zwischen Anspannung und Entspannung wechseln, folgt damit dem natürlichen Rhythmus. Dies wiederum erlaubt es uns, lange Zeit aufmerksam zu bleiben und auch nach Stunden diszipliniert handeln zu können.
Im Teil 2 befassen wir uns konkret mit allen Handelsbausteinen, welche wir einsetzen.
Ihr Uwe Wagner
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