Analyse
14:02 Uhr, 10.03.2019

Bis jetzt laufen die Märkte nach Drehbuch

Für den DAX-Future definierten wir in der Vorwoche eine Handelsspanne zwischen 11.700 Punkten auf der Oberseite und 11.400 auf der Unterseite.

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Kursstand: 11.457,84 Pkt (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung

Wir begründeten die obere Begrenzung mit dem Verweis auf den allgemeinen Stimmungsumschwung und der daraus resultierenden gesteigerten Besicherungswahrscheinlichkeit der finalen Seite, die untere Begrenzung stellte sowohl eine reflexiv begründbare mögliche Hürde dar, welche zudem auch fundamental-bewertungstechnisch für den Gesamtmarkt ein gutes Unterstützungsniveau bilden sollte, solange es keine wirklich nachhaltige Veränderung der aktuellen Ausgangslage geben würde. Tatsächlich markierte der Futures auf den DAX im Hoch (am letzten Montag) die 11.678,50, im Tages- und Reaktionstief am Freitag hatte der Future bis auf 11.404,50 nachgegeben, bevor Eindeckungen vor dem Wochenende zu einer 85 Punkte-Erholung führten.

Erwartete Korrekturen zogen sich in der letzten Handelswoche durch nahezu alle wichtigen Aktienmärkte, was somit aufzeigt, dass die im Markt unterstellten Portfoliostrukturen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Realität entsprechen.

Seit über einer Woche herrschte weitestgehend folgender Konsens:

  • die Aktienbörsen haben bereits einen positiven Ausgang im Handelsstreit USA / China, als auch ein Ausbleiben eines harten Brexit eingepreist,
  • allgemein ging man seit gut zwei Wochen davon aus, dass die Märkte als überhitzt und reaktionsanfällig gelten könnten.

In der sich daraus ergebenden Konsequenz wiesen befragte Händler bereits vor zwei Wochen und dann im Anschluss daran immer wieder darauf hin, dass ein weiteres Ausbauen und Anpassen der Portfolios auf oben genannte Entwicklungen kaum noch zu erwarten sei und folglich die wahrscheinlichsten Szenarien eine beginnende Konsolidierung bzw. korrigierende Konsolidierung sein sollten, welche Kursabschläge mit sich bringen würde.

Die dann auch einsetzenden Abschläge, trafen die Märkte nicht aus heiterem Himmel, weshalb es trotz beachtlicher Kursverluste über die Woche, nicht eine Situation gab, die mit erhöhter Nervosität oder ähnlichem hätte beschrieben werden können. Das Ganze lief wie nach Drehbuch ab, ohne überstürzte Verkäufe, sondern sehr stetig und vorrangig im Hedges-Modus.

Ein weiteres Indiz für die temporäre „Reife“ des Marktes waren zum letzten Wochenbeginn die aufkommenden unterschiedlichen Meinungen im Markt – ein Phänomen, welches in Wendephasen häufig zu vermerken ist.

Der US-Broker Morgan Stanley zeigte sich zur jüngsten Entwicklung sehr kritisch. Gegenüber seinen Kunden hieß es: „die Erholung der vergangenen Wochen ist nur eine Bärenmarktrally wegen einer taubenhaften US-Notenbank und der Entspannung um China gewesen. Dies ist nun vorbei, Aktienpositionen sollten daher geschlossen werden. … Die Angst vor einem Fehlausbruch wie Anfang Februar ist hoch, daher könnte es auch hier schnell zu einem Ausverkauf kommen.“ Die Bank of America-Merrill Lynch stieß ins gleiche Horn. Hier hieß es, dass die aktuelle Situation mit der von 2016 vergleichbar wäre. Nach der damaligen Zinspause der US-Notenbank habe der Euro-Stoxx-50 zwei Monate zugelegt, danach sei er aber noch einmal an die alten Tiefststände zurückgefallen. Erst im Anschluss habe dann eine nachhaltige Rally eingesetzt, hieß es dort.

Die Meinung, dass die Portfolios weitestgehend der aktuellen Erwartungssituation entsprechen würden, folglich keine weiterführenden Anpassungen mehr notwendig wären und demnach Reaktionen das wahrscheinlichste Szenario wäre, wiedersprachen noch zu Wochenbeginn einige Akteure im Markt. Es waren überwiegend Mitarbeiter der Sales-Bereiche, welche Aussagen ihrer finalen Kunden wie folgt werteten: man unterstellte, dass einige Adressen noch immer untergewichtet seien folglich „Rückschläge zum Kauf nutzen“ würden. Weiterhin unterstellte man, dass von finaler Seite bevorzugt defensive Aktien gesucht würden, hierzu zählten Telekommunikation und Pharma.

Ab Mitte letzter Woche, konkretisierten sich die anfangs eher diffusen „Überhitzungssorgen“ in Wachstumssorgen. Den Anfang nahm das Ganze mit der Veröffentlichung des US-Außenhandelsdefizits. Dies ist normalerweise eine Zahl, die bisher eher wenig Beachtung erhielt, doch seit Trump rückt diese immer wieder in den Fokus. Am Mittwoch reagierten die Märkte etwas überrascht, als der Ausweis aufzeigte, dass 2018 der höchste Stand seit einem Jahrzehnt erreicht wurde. Im Vergleich zum Vorjahr stieg das Defizit um 12,5 % auf 621 Mrd USD an, teilte das Handelsministerium mit. Auch die US-Defizite im Handel mit der Europäischen Union und China erreichten neue Rekordhöhen.

Hintergrund: ein Außenhandelsdefizit entsteht, wenn die Summe der importierten Waren und Dienstleistungen höher ist als die der Exporte. Trump sieht das Defizit bekanntermaßen als Beleg dafür, dass die USA im Handelswettbewerb benachteiligt und somit andere Länder daran schuld seien. Bereits im letzten Jahr verhängte Trump wegen des hohen Handelsdefizits Strafzölle auf Metall- und Stahlimporte aus der EU und China.

Das Gleiche drohte er ja auch für europäische Autos an und löste wegen des hohen Defizits mit China ja den aktuell laufenden und diskutierten Handelskonflikt mit China aus, in dessen Verlauf er 2018 Zölle auf chinesische Waren im Wert von insgesamt 250 Milliarden Dollar in Kraft setzte. Peking hatte daraufhin mit Vergeltungsmaßnahmen reagiert.

Trotzdem stieg das US-Handelsdefizit mit China 2018 auf die Rekordhöhe von 419,2 Mrd USD an. Das US-Defizit im Handel mit der Europäischen Union war ebenfalls so hoch wie noch nie: Es erreichte 169,3 Mrd USD.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass nicht alle Experten ein hohes Außenhandelsdefizit negativ sehen. Der Spiegel schrieb am Mittwoch, dass Ökonomen zufolge Trumps Erklärungen zum Handelsdefizit unzureichend seien und somit keine Sanktionen rechtfertigen würden. Sie argumentieren, das hohe Handelsdefizit sei auch die Folge eines robusten Wachstums, wie es die USA schon seit Längerem erlebe. Die starke Verbrauchernachfrage bei einem solchen Wachstum übersteige dann die Versorgung durch die heimische Produktion.

Ergänzende Belastungen kamen Mittwochabend schlussendlich noch über das veröffentlichte Beige Book, dem Konjunkturbericht der US-Notenbank. Es wurde zwar von moderatem Wachstum zu berichten, aber auch von partiellen Verlangsamungen. Diese wurden mit dem US-Regierungsstillstand im Dezember und im Januar begründet, doch veränderte sich die Interpretation im Laufe des Donnerstages dahingehend, dass man für die Verlangsamungen den Regierungsstillstand nur noch partiell verantwortlich machte. Der Stachel sitzt folglich allem Anschein nach tiefer in der Konjunkturentwicklung.

Die EZB Erklärungen am Donnerstag waren in der letzten Woche wohl der ausgeprägteste Magengrubenschlag für die Konjunktureinschätzungen. Für sich genommen, war im Grunde nichts anderes erwartet worden, aber im Kontext mit dem jetzt zunehmend kritischen Gesamtbild, sah es schon etwas anders aus.

Interessant war in der letzten Woche auch, dass wir etwa bis einschließlich Donnerstagvormittag im Handelsverlauf kaum auffällige finale Handelsaktivitäten sahen – zumindest solche, die dominant genug waren, um ausgenutzt zu werden. Mit der EZB Meldung änderte sich das Bild schlagartig und die Dominanz der auffälligen Kommissionsaktivitäten nahm deutlich zu.

Die wohl wichtigste Bekanntmachung Draghis war am Donnerstag die erneute Verschiebung der Zinswende der EZB auf vorerst Ende 2019 (bisher war es Mitte 2019). Der Chef-Ökonom des Bankhauses Lampe sagte dazu: „Die EZB hat die Leitzinswende für 2019 heute abgesagt. Dadurch verschiebt sich die Zinswende wohl auf den Sankt Nimmerleinstag.“ Tatsächlich rechnet kaum jemand im Markt mit einem EZB-Zinsschritt vor Ende 2020.

Begründet wurde diese Entscheidung der EZB durch Draghi mit den eingetrübten Konjunkturaussichten: internationale Handelskonflikte bremsen den Welthandel, das chinesische Wirtschaftswachstum fiel im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit fast drei Jahrzehnten, zudem sorgt der Brexits für Verunsicherung. Analysten sagten dazu: „die EZB hat offensichtlich erhebliche Bauchschmerzen, was die Entwicklung der Wirtschaft in der Eurozone angeht.“

Die von der EZB gesenkten Wachstumsprognosen verstärkten damit im Markt die ohnehin bereits herrschenden Wachstumssorgen.

Ein interessanter Gedankengang unterstreicht die Bedeutung der EZB-Entscheidung für die globale Situation: ein Analyst hob am Donnerstagabend hervor, dass sich die EZB mit ihrem jüngsten Kurswechsel einer zunehmend zurückhaltenden Ausrichtung anderer Notenbanken anpasse, wie zum Beispiel der BoC. In der Konsequenz kommt jetzt die Frage auf den Tisch, wie lange die Fed als einzige Zins-Lokomotive noch durchhalten kann, bis auch sie einknicken muss. In den USA gibt es eine durchaus vergleichbare Diskussion – somit sind Befürchtungen, die Fed könnte ihre Zinsplanung vorerst ganz absagen, durchaus gerechtfertigt.

Dies bestätigten Aussagen der Fed-Gouverneurin Brainard, die im Offenmarktausschuss stimmberechtigt ist. Sie galt (laut Presse) bislang als „falkenhaft“, ruderte in der letzten Woche aber nun ebenfalls zurück und erwartet weniger Zinserhöhungen.

Die offensichtliche Verlangsamung der Weltwirtschaft, andere Risiken für das Wirtschaftswachstum in den USA und eine hohe Unsicherheit untermauern nach Ihrer Einschätzung ein solches Szenario.

Am Freitagmorgen schob China neue Kohlen ins Feuer: zum einen fielen die Exportdaten massiv unter den Erwartungen aus. Dort ging es im Februar mit dem Export um 20,7 % gegenüber dem Vorjahr nach unten, erwartet worden war lediglich ein Minus von 6 %. Reuters schreibt dazu: „selbst bei einer Erholung dürfte China aufgrund des dann erreichten niedrigeren Niveaus noch für längere Zeit als Wachstumslokomotive ausfallen.“

Zum anderen irritierte ein Bericht, wonach sich zwar die USA und China im US-chinesischen Handelsdisput weitgehend einig seien, Peking aber zu den finalen Details noch Einwände vorbringe. Laut dem US-Botschafter in China, Terry Branstad, steht ein Gipfel mit den Präsidenten Xi Jinping und Trump zum Thema Handel nun doch nicht unmittelbar bevor.

Zusätzlich belastende schlechte Auftragseingänge für die deutsche Industrie und neue Ängste, die US-Strafzölle könnten vor allem Europas Autohersteller treffen, rundeten das Bild am Freitag nur noch ab.

Der Rentenmarkt zeigte sich dagegen in der Vorwoche lehrbuchmäßig im Hausse-Modus. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen notierte nur noch knapp über 0,06 %, dem tiefsten Stand seit Oktober 2016. Umgekehrt notierten die Kurse besonders der längerfristigen Anleihen auf Wochenhochs. „Man sieht jetzt ein bisschen Anzeichen von Kapitulation“, wurde ein Rentenhändler in der Presse zitiert. In diesem Zusammenhang hieß es weiter, dass im Aktien-Handel somit von einer Fortsetzung der Käufe am Rentenmarkt ausgegangen wird.

„Bei dieser Datenlage dürften noch viele ihre Aktien abstoßen wollen und lieber in Bonds umschichten“, sagte ein Akteur im Rentenhandel. Zur Bestätigung seiner Aussage verwies er auf Käufe bond-ähnlicher Aktien aus dem Immobilien-Sektor.

Abschließend sei noch gesagt, dass Autowerte in der letzten Woche die mit weitem Abstand schwächste Branche in Europa darstellten. Zu den schwachen Perspektiven der EZB, dem Einbruch der Exporte in China und dazu noch den schwachen Auftragseingängen aus Deutschland kommt jetzt noch einmal das Thema „Strafzölle“ hinzu, denn auch hier gibt es nicht die erhofften Fortschritte. Speziell Europa könne nun in den Fokus von US-Strafen geraten, nachdem EU-Handelskommissarin Malmström am Vorabend unterstrichen hatte, es gebe keine Spielräume, auch Agrarprodukte in die Verhandlungen mit den USA aufzunehmen.

Somit fürchtet man nun, dass dies den harten Kurs von Trump gegen deutsche Autowerte fördern könnte, besonders wenn es tatsächlich irgendwie noch zu einer Einigung mit China kommt und Trump dann zumindest von der Seite aus den Rücken frei hat. Es gilt hierbei nämlich zu bedenken, dass das Agrarthema ein Kernanliegen von Trump ist, zumal dort die meisten seiner Wähler angesiedelt sind.

In der jetzt kommenden Woche steht das Brexit-Thema wieder an. Erinnern wir uns: ein harter Brexit wurde an den Märkten bereits weitestgehend ausgepreist – zurecht?

Es bleiben uns noch drei Wochen und Fortschritte gibt es bisher keine – korrekt gelesen – KEINE. Umfragen in der deutschen Industrie scheinen ein realistischeres Bild zu malen, als Politiker und – selbst die Märkte. Hier halten es immer mehr direkt Betroffene für möglich, dass es kein gutes Ende nimmt – was die Abschläge im Markt beschleunigen und dann selbst unser anfängliches FDAX-Reaktionsziel bei 11.400 Geschichte sein lassen könnte.

Wie ist die Ausgangslage für die nächste Woche?

Es bleibt spannend, da wir noch immer zwischen einer sich fortsetzenden Konsolidierung oder beginnenden Korrektur stehen. Bis jetzt sahen wir überwiegend Hedges und Rotationen in Einzelwerten. Noch sind keine auffälligen Umbauten in Portfolios feststellbar, aber das könnte das Thema der nächsten Tage und Wochen werden.

Sehen wir es positiv: beginnen wieder Umbauaktivitäten – sind die Wirte für uns wieder im Markt und wir können wieder mitschwimmen – und nur darum geht es.

Ich wünsche uns somit maximale Trading-erfolge in der Folgewoche!

Uwe Wagner

www.tradematiker.de

office@tradematiker.de

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Über den Experten

Uwe Wagner
Uwe Wagner
Technischer Analyst und Trader

Uwe Wagner arbeitete bereits während seines Wirtschaftsstudiums als Maklergehilfe an den Börsen in Berlin, Wien und Madrid. 1991 trat er dann in die Deutsche Bank AG ein, wo er eine fundierte Ausbildung im Wertpapier- und Derivatehandel erhielt – in Frankfurt/Main sowie in Chicago im International Trading Institute unter dem bekannten Warenhändler Toni Saliba. Innerhalb der Deutschen Bank AG durchlief Wagner diverse Etappen im Handelsbereich. So betreute er als DTB Market Maker zunächst diverse Werte, verantwortete anschließend den Options- und Future-Handel in der Deutsche Bank S.A. in Madrid und mehrere Jahre die spekulative Verwaltung von Teilen des Eigenkapitals der Bank über DB Advisor. Wagner baute innerhalb der Deutsche Bank AG das damals erste Internet-Tool für Technische Marktanalysen (dbS-Trade) auf und führte den systembasierten Handel in Future-Märkten. Sein Schwerpunkt liegt seit über 20 Jahren auf dem FDAX und dem Bund-Future-Markt, den er täglich analytisch seziert, um daraus Handelsszenarien zu entwickeln und diese dann auch aktiv umzusetzen. Seit 2003 lebt und arbeitet Wagner in Hamburg. Uwe Wagner ist aktiv im FDAX und Bund-Future tätig.

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