Wissensartikel
09:17 Uhr, 03.06.2014

Wie funktioniert das Zinseszinssystem?

Sind Zinsen und Zinses-Zinsen das Grundproblem unseres Geldsystems? Oder muss man einfach nur akzeptieren, dass Zinsen nicht sicher sind.

Die Diskussion alternativer Geld-und Finanzsysteme ist derzeit -wenig überraschend – in aller Munde. Einen alten Grundfeind menschlichen Zusammenlebens glauben selbsternannte Geldpäpste gefühlt schon immer im Zinseszinssystem ausgemacht zu haben. Die Abschaffung desselben ist das Anliegen von Strömungen, die auch im Zuge der Occupy-Bewegung an Zulauf gewinnen könnten.

Zunächst muss man feststellen, dass ein Ende des Zinseszins generell ein Ende des Zinses bedeutet. Nur den Zinseszins abzuschaffen würde erfordern, dass man den Zinsertrag zu einem Geld zweiter Klasse macht, das nicht wieder angelegt werden kann und auch dauerhaft gekennzeichnet werden müsste. Das erscheint nicht völlig unmöglich, aber total unpraktikabel.

Somit bleibt nur ein Abschaffen des Zinses, um das gesamte Zinseszinssystem zu kippen. In islamisch geprägten Staaten, wo die Zinsnahme verboten ist, hat man umfangreiche, aber wenig überzeugende Wege er- und gefunden, um glaubenskonforme Renditen zu ermöglichen. In meinen Augen ein glatter Betrug am eigenen Gott, aber das soll hier nicht das Thema sein.

Wenn mir jemand vorschlägt, man müsste Zinsen abschaffen, antworte ich sofort mit folgender Frage: Leihst Du mir bitte 10000 EUR? Du kriegst auch keine Zinsen dafür...

Warum der Zins richtig, wichtig und unverzichtbar ist soll hier nicht erläutert werden. Ich möchte gleich zu den Grundlagen des Zinseszinseffektes und seinen Implikationen springen.

Standardbeispiel für die Notwendigkeit des Zusammenbruchs und somit der nachhaltigen Unmöglichkeit eines Zinseszinssystem ist der „Josefspfennig“. Ich mache der Einfachheit daraus einen „Josefseuro“.

Angenommen vor gut 2000 Jahren hätte Josef für Jesus eine Langfristanlage getätigt und 1 EUR angelegt (wir unterstellen die Existenz unserer Traumwährung schon zu Zeiten Christi). Wieviel wäre daraus Stand heute geworden?

Um das berechnen zu können, müssen wir einen Zins unterstellen. Gehen wir von 3% p.a. aus und vernachlässigen wir die Steuer. Die Formel lautet:

Stand im Jahr 2011=1 EUR*(1,03)^2011 (Anfangsvermögen*(1+Zinssatz) hoch Anzahl der Zinsperioden).

Ergebnis: ca. 6,5*10^25 EUR (eine Zahl mit 25 Nullen, eine Milliarde hat 9 Nullen, eine Billion 12 Nullen, eine Billiarde 15 Nullen, usw.)

Der Effekt exponentiellen Wachstums ist beeindruckend. Nur zum Vergleich: Soviel wird aus einem EUR nach x Jahren bei einem Zinssatz von 3% und Wiederanlage der Zinsen:

10 Jahre: 1,35 EUR

50 Jahre: 4,38 EUR

100 Jahre: 19, 22 EUR

300 Jahre: 7098,51 EUR

400 Jahre: 136423,72 EUR

500 Jahre: 2,62 Mio. EUR

Sie erkennen schnell: wenn Sie an Zinssatz und „Laufzeit“ tunen, kommen Sie auch ohne weiteres in Bereiche, in denen es dann mehr Euros gibt als Atome im Weltall (deren Zahl ist verständlicherweise nicht bekannt, Schätzungen gehen von einer Zahl mit 80 bis 90 Nullen aus).

Die allermeisten Menschen werden bei diesem Beispiel von einem Aha-Effekt erschlagen. Es ist so überzeugend, dass jeder Zweifel weggewischt wird. Dieses System kann nicht funktionieren!

Was aber beweist diese unbestritten korrekte Rechnung wirklich? Im wesentlichen sind es zwei Punkte:

1. Es kann keinen dauerhaft sicheren Zins geben!

2. Wird dieser Fakt durch Interventionen oder besser gesagt Manipulationen umgangen (Notenbanken), dann führt dies unweigerlich zu Inflation

Um zu Josef zurückzukommen: In einem freien Wirtschaftssystem wären z.B. zwischendurch Josefs Banken mehrfach pleite gegangen, es hätte Umschuldungsverhandlungen gegeben etc...somit kommt auf gerade zu „natürliche Weise“ das Geldmengenwachstum ins Gleichgewicht mit dem Wirtschaftswachstum, weil regelmäßig Geld „vernichtet“ wird.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Das Zulassen von Pleiten in freien Wirtschaftssystemen ist eine absolute Notwendigkeit nicht nur auf mikroökonomischer Ebene im Sinne von Schumpeters „kreativer Zerstörung“, sondern auch auf Makroebene zum Zwecke der Bereinigung finanzieller Exzesse. Es ist nicht so, dass in unserer Form des Kapitalismus keine Pleiten erlaubt sind. Aber ausgerechnet im Herzen der Geldschöpfung, dem Bankensystem, nicht! Es wird nicht zugelassen, was nicht nur grundlegend falsch ist, sondern zutiefst unmoralisch. Denn das bedeutet letztlich, dass Vermögen einiger auf Kosten aller "gerettet" wird.

Somit ist – jedenfalls aus meiner Sicht – weder der Zins noch der durch den Zins bedingte Zinseszins das Problem. Wir müssen nur alle damit leben, dass es keinen sicheren Zins geben kann, wie es auch generell keinerlei Sicherheit im Leben gibt. Wir müssen Pleiten, Pech und Pannen zulassen, und dazu gehören auch schmerzhafte Krisen, in denen viele beinahe alles verlieren. Das Leben ist ein einziges Wagnis! Und eines sollten Sie bei diesem Beispiel auch nie vergessen: Niemand von uns wird 2000 Jahre alt....

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Daniel Kühn
Daniel Kühn
Freier Finanzjournalist

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3.
Daniel Kühn interessiert sich vor allem für Small und Mid Caps, Technologieaktien, ETFs, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie für makroökonomische Themen.

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