Kommentar
14:33 Uhr, 14.03.2019

Wird der Brexit zum EU-Alptraum?

Auch beim Drama um den britischen EU-Austritt dürften die wichtigsten Schachzüge hinter den Kulissen stattfinden...

Das Theaterstück um den Austritt Großbritanniens aus der EU nimmt allmählich derart groteske Züge an, dass sich selbst hartgesottene Beobachter ungläubig die Augen reiben.

Die neueste Posse in Sachen Brexit:

Am Mittwoch hatte das britische Parlament einen ungeregelten Brexit grundsätzlich und nicht nur für den 29. März mit klarer Mehrheit abgelehnt. Nicht einmal 24 Stunden später heißt es nun in einer Mitteilung der britischen Regierung, dass es eine Verschiebung des Austrittstermins nur dann geben solle, wenn das Parlament dem Brexit-Deal nachträglich doch noch zustimmt.

Das klingt nicht nur nach Erpressung, das ist Erpressung. Hat da jemand womöglich gesteigertes Interesse an einem Scheitern der Verhandlungen und einem harten Brexit?

Genau dieser Eindruck entsteht nämlich, wenn man sich eine weitere Meldung vom Vortag ansieht:

Zuvor hatte Downing-Street verlauten lassen, man werde 87 Prozent der Importzölle streichen, sollte Großbritannien am 29. März ohne weitere Regelungen aus der EU austreten.

Das klang beinahe so, als wolle man es den Parlamentariern erleichtern, den harten Brexit jetzt um jeden Preis durchzuziehen…

Die Kollegen vom Smart Investor schreiben dazu:

"87 % aller Importe sollen zollfrei in das Vereinigte Königreich gelangen können. Damit sollen drastische Preisanstiege vermieden und die britische Wirtschaft gestützt werden. Zugleich soll eine „harte Grenze“ zwischen dem EU-Mitgliedsland Irland und Großbritannien verhindert werden. Es zeigt eindeutig, wohin die Reise gehen dürfte. Zwar hat Großbritannien die Zölle auf die umgekehrten Handelsströme – also aus UK in die EU – nicht in der Hand. Hier werden nach einem harten Brexit die Standard-WTO-Sätze gelten (im Durchschnitt ca. 2,8 % auf Nicht-Agrar-Güter). Die eigenen Einfuhrzölle kann London jedoch ohne EU-Mitgliedschaft selbst gestalten.

Und plant ganz offensichtlich damit, das Land als eine Oase des Freihandels zu positionieren. Gut möglich, dass es mit massiven Steuersenkungen nach dem Brexit einen zweiten Impuls geben wird.

Das „Singapur Europas“, direkt vor dessen Haustüre, scheint alles andere als unrealistisch. Temporär dürfte es Sand im Getriebe der britischen Wirtschaft geben, keine Frage. Das langfristige wirtschaftliche Schicksal des vereinigten Königreichs dürfte jedoch weit weniger düster aussehen als von vielen Brüsseler Bürokraten skizziert".

Wagen wir einmal folgendes Gedankenexperiment:

Man stelle sich vor, es kommt tatsächlich zu einem mehr oder weniger "harten Brexit". Die Option rückt allmählich ja immer mehr in den Bereich des Möglichen.

Man stelle sich weiterhin vor, die Katastrophe, die daraus angeblich postwendend folgt, tritt überhaupt nicht ein.

Man stelle sich nun noch vor, dass Großbritannien "ganz unerwartet" weiterhin erfolgreich Handel mit seinen Geschäftspartnern auf der ganzen Welt betreibt und womöglich aufblüht, weil es nicht mehr unter der Bevormundung europäischer EU-Sozialisten leidet.

Das wäre dann tatsächlich eine Katastrophe.

Und zwar für die Europäische Union. Denn natürlich würden postwendend Nachahmer auf den Plan treten und den Briten folgen…

Könnte dies womöglich der eigentliche Grund für das beispiellose Mediengetöse in diesen Tagen sein?

Bloß kein Brexit, von dem Großbritannien profitiert. Denn das wäre der Super-GAU, wie das ja auch die "Kanzlerin der Herzen" sinngemäß gegenüber dem britischen Brexit-Unterhändler David Davis schon einmal formuliert haben soll.

Haben Kanzlerin und EU die Rechnung dabei womöglich ohne einflussreiche Kreise in Großbritannien gemacht, die unter der Hand den Zerfall der EU vorantreiben?

Die einzige sichere Brexit-Prognose in diesen Tagen lautet daher wohl:

Die ganze Sache könnte noch weitaus turbulenter werden, als viele sich das im Moment vorstellen können.

Und das letzte Wort ist auch nach den in Kürze anstehenden neuerlichen Abstimmungen im britischen Unterhaus mit Sicherheit noch nicht gesprochen…

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Zum Autor:

Andreas Hoose ist Chefredakteur des Antizyklischen Börsenbriefs, einem Service der BörseGo AG. Weitere Informationen finden Sie unter www.antizyklischer-boersenbrief.de

74 Kommentare

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  • wolp
    wolp

    Ja, Sie haben recht. Frieden ist das höchste Gut. Solidarität der Schlüssel dazu. Ich freue mich mit Ihnen, dass wir das gemeinsam schaffen könnten.

    19:21 Uhr, 17.03.2019
  • Sonnenschein
    Sonnenschein

    Die Behauptung aus GB: Stillstand in der EU ("Der ganze Kontinent ist gelähmt.")

    macht Ex-Vertreter der EU (Alexander Graf Lambsdorff) ratlos ("Was war denn zu lernen aus dem Brexit?") ...

    https://www.focus.de/politik/d...

    08:18 Uhr, 17.03.2019
  • wolp
    wolp

    Der Kommentar war gut.

    23:08 Uhr, 16.03.2019
  • Chronos
    Chronos

    Was mich immer wieder amüsiert sind diese versuchten politischen Erklärungen.

    Was wollt ihr alle, Maoam? oder Abgeordneter werden. Man hat eher den Eindruck letzteres.

    Und jeder sieht die Sache einäugig, oder widerspricht sich in sich, was kein Oxymoron darstellt, auch wenn einige Ansichten schon sehr kafkaes gelten müssen. Einfacher subjektive Wahrnehmung, der Frosch im Einmachglas.

    Ein Curve-Out muss weh tun, sonst spürt man ihn nicht. Wäre das adhoc passiert, würden die Briten schon lange wieder vor Brüssels Tür kratzen.

    Die UK-Banken sind alle down (not over) Irland, mit der Rettung von unserem Rolli vergessen? (gibt genug interviews dazu), RBS? und und und die komplett aufgekaufte Autoindustrie....

    UND mir fällt dabei ein, das ich dachte (war und ist ein Fehler, wenn ich versuche das Denken anzufangen) wir sind hier auf einem Finanzportal und nicht auf einer Möchtegern-Volkswirt-Trainingseinheit.

    So reibt sich einer wie ich die Augen, da kein einziger britischer Wert angesprochen wird, das zu dem noch bei einem Rohstoff und Minenfan-Boy. Es gibt nicht nur die CME, auch die LME

    Und es gibt seit Jahren, die dividendenstarken Werte, die antizyklisch ein Kauf waren und sind.

    Aber ich glaube ich bin hier verkehrt. Politische Meinungen, hole ich mir selten, dann wo anders...

    13:20 Uhr, 16.03.2019
    1 Antwort anzeigen
  • Market Impact
    Market Impact

    Ist Gold schon Explodiert?

    11:23 Uhr, 16.03.2019
  • shark
    shark

    Der Brexit ist auch eine Folge der Flüchtlingspolitik von Merkel .,was eine erhebliche politische und ökonomische Schwächung der EU zur Folge hat .

    Die wirtschaftliche und politische Bedeutung wird in Deutschland völlig unterschätzt,

    Vereinigtes Königreich Bip-Anteil an der EU 17,6%, 20 andere Länder kommen in der Summe auf gerade mal 17,7%-Deutschland 20,7%.

    Der Brexit wird auch die deutschen Nettozahlungen an die EU im Jahr um ca18Mrd€ erhöhen.

    ,,Wir schaffeb das ",sagt Merkel und verschwindet von der politischen Bühne ,so wie Juncker und Draghi in Kürze

    13:36 Uhr, 15.03.2019
    3 Antworten anzeigen
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Zu den im Artikel erwähnten Zollkürzungen Londons schreiben die Kollegen vom Smart Investor:

    87% aller Importe sollen zollfrei in das Vereinigte Königreich gelangen können. Damit sollen drastische Preisanstiege vermieden und die britische Wirtschaft gestützt werden. Zugleich soll eine „harte Grenze“ zwischen dem EU-Mitgliedsland Irland und Großbritannien verhindert werden. Es zeigt eindeutig, wohin die Reise gehen dürfte. Zwar hat Großbritannien die Zölle auf die umgekehrten Handelsströme – also aus UK in die EU – nicht in der Hand. Hier werden nach einem harten Brexit die Standard-WTO-Sätze gelten (im Durchschnitt ca. 2,8% auf Nicht-Agrar-Güter). Die eigenen Einfuhrzölle kann London jedoch ohne EU-Mitgliedschaft selbst gestalten.

    Und plant ganz offensichtlich damit, das Land als eine Oase des Freihandels zu positionieren. Gut möglich, dass es mit massiven Steuersenkungen nach dem Brexit einen zweiten Impuls geben wird.

    Das „Singapur Europas“, direkt vor dessen Haustüre, scheint alles andere als unrealistisch. Temporär dürfte es Sand im Getriebe der britischen Wirtschaft geben, keine Frage. Das langfristige wirtschaftliche Schicksal des vereinigten Königreichs dürfte jedoch weit weniger düster aussehen als von vielen Brüsseler Bürokraten skizziert.

    https://www.metallwoche.de/kei...

    Man darf gespannt sein, was aus London denächst noch so kommt, um dem Schreckgespenst "No Deal Brexit" die Schärfe zu nehmen...

    12:46 Uhr, 15.03.2019
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    So wie die Dinge sich derzeit entwickeln, könnte man fast vermuten, dass die City of London jetzt via Brexit den Versuch unternimmt, die Reißleine zu ziehen, um sich vor dem absehbar heraufziehenden Finanz-Desaster in der EU in Sicherheit zu bringen.

    Sollte das zutreffen, würde man den Parlamentariern in der kommmenden Woche noch diverse Karotten vor die Nase halten, damit diese den bisherigen Brexit-Deal auch ein drittes Mal ablehnen.

    Das Ergebnis wäre vermutlich ein harter Brexit zum 29. März.

    Man kann jedenfalls nicht behaupten, dass in der Politik derzeit nichts los ist...

    12:39 Uhr, 15.03.2019
  • trunki
    trunki

    die jeweils ideologisch verblendeten "Gruppierungen gehen wieder aufeinander los ohne das eigentliche Problem auch nur im Ansatz zu streifen.

    Genau so soll es sein, denn jeder für sich ist schließlich ein Leistungsträger egal welcher Ideologie er anhängt.😜

    08:43 Uhr, 15.03.2019
  • Ich_bin_ein_Berliner
    Ich_bin_ein_Berliner

    Gold mit klarer SKS auf 6 Monate!

    22:51 Uhr, 14.03.2019