US-Wahlkampf – sind Anleger zu naiv?
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US-Präsidentschaftswahlen in der weltweit größten Volkswirtschaft wirken sich immer auf die internationalen Finanzmärkte aus – also auch dieses Jahr, wenn am 3. November gewählt wird. Zum Anlegerverhalten und welche Faktoren im Wahljahr die Finanzmärkte beeinflussen werden, gibt Vincent Reinhart, Chefökonom bei Mellon – Teil von BNY Mellon Investment Management, seine Einschätzung:
„Zwar steht noch nicht fest, welcher Demokrat gegen den amtierenden US-Präsidenten Donald Trump antreten wird. Wahrscheinlich ist jedoch, dass ein möglicher demokratischer Nachfolger im Vergleich zu Trump für höhere Staatsausgaben (mit einer Tendenz zu Infrastruktur- und Umweltschutzprojekten) und eine verstärkte Preiskontrolle im Gesundheitswesen eintreten würde. Finanziert würde dies nur zum Teil durch eine progressivere Besteuerung von privatem Einkommen und möglicherweise durch die Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen.
In Anbetracht der Bandbreite möglicher Wahlergebnisse sollten Anleger in Bezug auf das Risiko, das sie eingehen, vorsichtig agieren. Auch sollte ihnen klar sein, dass die Aktienkurse in diesem Jahr stärker schwanken werden, da die Meinungen über den wahrscheinlichen Wahlgewinner erfahrungsgemäß immer wieder weit auseinander gehen werden. Dies ist bisher jedoch nicht der Fall. Die Risikobereitschaft bei Anlegern ist offenbar nicht gedämpft und keiner scheint Vorkehrungen für stark schwankende Kurse getroffen zu haben.
Zu der derzeit vorherrschenden Unbekümmertheit tragen fünf Faktoren bei:
- Das Amtsenthebungsverfahren gegenüber Trump ist de facto vom Tisch. Es hätte ohnehin nur Einfluss auf die Märkte gehabt, wenn es im Verlauf zu Überraschungen gekommen wäre.
- Anhaltende politische Spannungen und Fragen im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen lenken vom Wahlkampf ab.
- Der Nominierungsprozess der Demokraten verwässert die Profile der Kandidaten. Bis zur Wahl des Gegenkandidaten ist es daher für Investoren schwierig die Kandidaten deutlich zu unterscheiden.
- Die Marktteilnehmer erwarten, dass die US-Notenbank erneut die Leitzinsen senken wird, falls der Präsidentschaftswahlkampf einen negativen Schock auslösen sollte.
Doch wer darauf setzt, könnte eine böse Überraschung erleben. Denn in ihrer letzten Sitzung signalisierte die Fed, dass sie ihren geldpolitischen Kurs 2020 nicht verändern wolle.
- Zwar glauben die meisten Anleger an ein funktionierendes System der gegenseitigen Kontrolle des US-amerikanischen Regierungssystems (Checks & Balances). Da sich vergangene Regierungen jedoch zunehmend auf exekutive Maßnahmen gestützt haben, also auf Regulierung anstatt auf Gesetzgebung, könnte es im Falle eines Regierungswechsels wider Erwarten zu einer 180-Grad-Wendung kommen.
Eine Amtsübernahme durch die Demokraten und einer damit verbundenen Kehrtwende könnte bei Unternehmen aus den Sektoren Finanzen, Gesundheitswesen und Technologie dazu führen, dass sie ihre Expansionspläne zurückfahren oder auf Eis legen. In der Konsequenz würden die Aktienkurse sinken, wobei sich Anleger darüber bewusst sein sollten, dass eine Kurseinpreisung bereits vor dem ersten Wahlgang vollzogen werden würde.
Bleibt jedoch Donald Trump im Amt und wird wieder gewählt, können Anleger davon ausgehen, dass alles so weiter geht wie in den letzten vier Jahren. Zu rechnen wäre dann mit einem Versuch, die staatliche Kontrolle im Gesundheitswesen einzuschränken. Auch wäre eine weitere Senkung der Einkommenssteuersätze und ein Anstieg der Militärausgaben möglich. In der Folge würde das Haushaltsdefizit anschwellen, wobei das für jeden potenziellen Präsidenten gelten dürfte. Denn als Emittentin der globalen Reservewährung war bisher jedwede US-Regierung notorisch undiszipliniert bei ihrem Vorhaben, nicht viel mehr auszugeben, als durch Steuern eingenommen wurde.
Eines lässt sich, noch bevor die Demokraten überhaupt ihre Kandidaten-Vorentscheidung getroffen haben, mit ziemlicher Sicherheit schon sagen: Die politischen Vorstellungen werden bei der Wahl am 3. November auseinanderklaffen. Investoren müssen sich dieser Unterschiede und der Volatilität bewusst sein, die die Wahlen im Jahr 2020 an den Märkten verursachen könnten.“
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