Kommentar
20:00 Uhr, 08.11.2017

Realitätsverweigerung? Anleger weigern sich, Fakten einzupreisen

Der Börse wird nachgesagt, dass sie die Zukunft einpreist. In einem bestimmten Bereich weigern sich Anleger aber zu reagieren.

Erwähnte Instrumente

  • US 10Y Bond Yield
    Kursstand: 2,313 % (Bonds) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • Brent Crude Öl
    ISIN: XC0009677409Kopiert
    Kursstand: 64,455 $/Barrel (Commerzbank CFD) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • US 10Y Bond Yield - Kurs: 2,313 % (Bonds)
  • Brent Crude Öl - WKN: 967740 - ISIN: XC0009677409 - Kurs: 64,455 $/Barrel (Commerzbank CFD)

2017 ist zwar noch nicht vorbei, doch schon jetzt lässt sich sagen, dass es ein ziemlich ereignisreiches Jahr war. Noch zu Beginn des Jahres gab es große Ängste vor den Wahlen in Europa. Es wurde eine Protestwahlwelle befürchtet, die die EU an den Rand des Zusammenbruchs führen würde. Vorsorglich reagierten Anleger darauf schon 2016 und verkauften Aktien und Anleihen der Länder, die im Fokus standen.

Im Nachhinein kann man sagen: die Aufregung war ganz umsonst. Auch die Angst um eine Eskalation zwischen den USA und Nordkorea war unbegründet. Anleger reagierten allerdings auch hier spontan und preisten Risiken ein.

In einem Bereich wird derzeit gar nichts eingepreist und das ist verwunderlich. In der Eurozone sinken die Zinsen gerade wieder. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die EZB QE bis September 2018 verlängert hat. Der Trend begann schon viel früher.

In den USA verhält es sich nicht anders. Nach Trumps Wahlsieg stiegen die Zinsen der 10-jährigen Anleihen auf 2,6 %, um dann wieder auf 2 % zurückzufallen. Aktuell steht die Rendite bei 2,35 %. Das ist angesichts der Tatsache, dass der Leitzins bis Ende des Jahres um insgesamt 0,75 Prozentpunkte angestiegen sein wird schon recht mager.

US 10Y Bond Yield
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Das Zinsniveau ist ein wichtiger Faktor, den Anleger einfach ignorieren. In den USA werden die Zinsen bis Jahresende über einen Prozentpunkt angehoben worden sein. Die Anleiherendite kümmert das überhaupt nicht. Anleger weigern sich quasi die Zinswende anzuerkennen und die Renditen steigen zu lassen.

Ein anderer Faktor, den Anleger ignorieren: die Inflation. In den USA lag diese Anfang des Jahres schon einmal bei 2,8 %. Zusammen mit der Inflation und Trumps Wahlsieg waren die Renditen gestiegen. Jetzt, fast ein Jahr später, lässt sich das nicht mehr beobachten. Die Inflation fiel auf 1,6 % zurück, erreichte zuletzt aber wieder 2,2 %. Die Renditen bewegten sich trotzdem nicht.

Anleger treten hier in eine Art Streik. Sie weigern sich schlichtweg steigende Leitzinsen und höhere Inflation einzupreisen. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Ein Grund sind vermutlich die Inflationserwartungen (siehe Grafik). Diese hängen seit Monaten zwischen 1,8 % und 2 % fest. Zuletzt sank die Erwartung sogar wieder ein wenig.

Wer keine höhere Inflation erwartet, verlangt auch keine höhere Rendite bei Anleihen. Das macht durchaus Sinn. Es macht aber keinen Sinn, dass sich die Erwartungen nicht vom Fleck bewegen. Diese sind eigentlich mit der Ölpreisentwicklung stark korreliert. Öl ist einer der wichtigsten Treiber der Inflationsrate.

Brent
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    JFD Brokers

Der Ölpreisanstieg der letzten Wochen scheint an Marktteilnehmern komplett vorbeigegangen zu sein. Etwas merkwürdig ist das schon und auch recht untypisch für die Markterwartungen. Entweder weiß der Markt etwas, was wir nicht wissen (ein Abschwung etwa?) oder Marktteilnehmer werden in den kommenden Monaten böse überrascht werden. Wenn Anleger aufwachen und feststellen, dass die Inflation gestiegen ist, sie das aber komplett verpasst haben, könnte einiges an Bewegung auf dem Anleihemarkt stattfinden.

Clemens Schmale

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13 Kommentare

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  • einfach
    einfach

    es gibt für die fed eigentlich keine probleme die sie nicht selber lösen kann.

    das einzige was die fed am markt zulässt sind korekturen.

    alles bis minus 20% ist für die fed ein non event.

    der markt ist schon seit jahrzehnten auf diese korrekturen eingestellt.

    oder anders ausgedrückt, der markt freut sich auf jede korrektur, weil dadurch wieder neue höhere gewinn erzeugt werden.

    oder glaubt hier wirklich jemand, dass die fed nicht das gleiche wie die boj machen kann?

    21:24 Uhr, 09.11.2017
    1 Antwort anzeigen
  • Newton1642
    Newton1642

    Ja, auch auf diese Gefahr habe ich mehrfach und schon vor längerer Zeit hingewiesen. Der Bullenmarkt bei den Anleihen, der Mutter aller Blasen, läuft seit mehr als 35 Jahren. Es gibt in Bezug auf die Stärke der US Wirtschaft deutlich mehr ??? und harte, valide Kontraindikatoren als umgekehrt!

    17:52 Uhr, 09.11.2017
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Die Kurse dieser Anleihen hängen wie ein Damoklesschwert über den Finanzmärkten. Wenn sie aufgrund steigender Zinsen stark einbrechen, dann haben die deutschen Lebensversicherer ein Problem. Nicht umsonst versuchen die Ergo-Gruppe und die Generali ihre Lebensversicherungsbestände zu verkaufen und das sind keine kleinen Akteure. Auch diese Problematik hat ihre Ursache in der alternativlosen Eurorettungspolitik, verschärft wurde das Szenario dann noch durch Mr. Draghi, der "alternativlos" durch "koste es, was es wolle" ergänzt hat.

    13:40 Uhr, 09.11.2017
    1 Antwort anzeigen
  • Simon Hauser
    Simon Hauser Redakteur

    Interessante Beobachtung. Goldman Sachs hat sich kürzlich dazu geäußert. Schuld an den zu niedrigen Zinsen sind nicht Anleger die nicht einpreisen wollen, sondern nicht einpreisen können. EZB und BoJ zerstören ihre Märkte und Investoren müssen in Treasuries gehen. Für Inflation-Forwards gilt das gleiche Spiel, was die Autoreflexivität natürlich verstärkt.

    11:39 Uhr, 09.11.2017
    1 Antwort anzeigen
  • Hosenmichel
    Hosenmichel

    Man sagt über 2,6 % 10yob yields tötet Gold !!

    11:11 Uhr, 09.11.2017
  • sir.plucky
    sir.plucky

    Um das Ende Ihres Artikels weiter zu spinnen, was bedeutet das dann?

    höhere Renditen, geringere Anleihekurse, Umschichtung von Geld von Anleihen in Aktien? Oder ein Abwürgen der Konjunktur durch steigende Zinsen?

    22:33 Uhr, 08.11.2017
    1 Antwort anzeigen
  • einfach
    einfach

    ist es vielleicht nicht eher so, dass die zentralbanken die marktsituation sehr gut unter kontrolle haben und jeden funken, den bestimmte marktakteure starten möchten im keim ersticken.

    20:46 Uhr, 08.11.2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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