Kommentar
15:34 Uhr, 02.03.2012

Effiziente Märkte – ein Random Walk durch die Technische Analyse

Angebot und Nachfrage, Marktgleichgewicht, Gleichgewichtspreis und Gleichgewichtsanpassungen – all dies sind wohlbekannte Standardbegriffe aus den großen Lehrbüchern der Mikro- und Makroökonomie und begegnen vielen Leuten spätestens im Studiu

Angebot und Nachfrage, Marktgleichgewicht, Gleichgewichtspreis und Gleichgewichtsanpassungen – all dies sind wohlbekannte Standardbegriffe aus den großen Lehrbüchern der Mikro- und Makroökonomie und begegnen vielen Leuten spätestens im Studium. Auch haben die meisten eine vage bis gute Vorstellung davon, was hinter diesen Konzepten steckt: Markteffizienz.

Was einst Adam Smith mit der „unsichtbaren Hand des Marktes“ umschrieb, ist in der Finanzwelt als Effizienzmarkthypothese – kurz EMH – bekannt.

Die EMH geht bereits mehrere Jahrzehnte zurück und wurde maßgeblich vom US-amerikanischen Ökonomen Eugene Fama geprägt. Im Allgemeinen proklamiert das Konzept, dass der Preis eines Wertpapiers alle verfügbaren Informationen desselbigen reflektiert; folglich entspricht dessen Bewertung immer dem fundamental fairen Wert. Die EMH ist Basis vieler Berechnungs- und Bewertungsmodelle, beispielsweise dem Black-Scholes-Modell – dem weltweit meist angewandten System zur Bewertung von Optionen.

Dennoch gleich vorneweg: Die Gültigkeit der Effizienzmarkthypothese ist unter Ökonomen höchst umstritten. Gerade im Zuge aktueller Finanz- und Wirtschaftskrisen fand sie sich immer wieder als Gegenstand intensiver Diskussionen unter Experten und muss heute kritischer denn je hinterfragt werden.

Effiziente Märkte – was zunächst elegant und für manchen scheinbar selbsterklärend klingen mag, hat doch wichtige und nicht für alle sofort ersichtliche Implikationen für den Finanzmarkt im Allgemeinen und die Technische Analyse im Speziellen. Um diesen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen, muss zwischen den verschiedenen Ausprägungsformen der EMH unterschieden werden:

In ihrer schwachen Form besagt sie, dass alle historischen Informationen bereits eingepreist sind; es ist also nicht möglich z.B. mit Chartanalyse systematische Überrenditen zu erzielen. Die mittelstarke Form geht davon aus, dass auch alle aktuell frei verfügbaren Informationen im Kurs verarbeitet sind und somit auch mit Fundamentalanalyse keine Überrenditen zu erwirtschaften sind. Die starke Form postuliert gar, dass selbst Insiderinformationen nicht verwertbar sind, sondern unmittelbar eingepreist werden.

Für eine hintergründige Betrachtung der Technischen Analyse soll es definitionsgemäß zunächst ausreichen, die schwache Form zu verwenden und den Fokus auf Aktienmärkte zu legen.

Auf Aktienmärkten manifestiert sich die Hypothese effizienter Märkte in der sogenannten Random-Walk-Theorie. Diese Bezeichnung wird jedoch oftmals missverstanden im Sinne einer kompletten Unberechenbarkeit bzw. Zufälligkeit von Aktienkursverläufen. Sie gesteht einer Aktie allerdings durchaus eine grundlegende Tendenz zu, entsprechend ihrem Risiko gegenüber dem Gesamtmarkt – die Fluktuationen um diese Tendenz herum folgen aber keinem vorhersehbaren Muster, sondern einem Random Walk; sie haben also einen zufälligen Verlauf. Die Technische Analyse (TA) hingegen widmet sich genau diesen Mustern und versucht, historische Daten in die Zukunft zu extrapolieren und so einen zukünftigen Trend vorauszusehen. Die Grundidee folgt der Annahme, dass vergangene Muster dazu neigen, sich zu wiederholen. Mit dem richtigen Timing sollen Hoch- und Tiefpunkte erkannt und dazu genutzt werden, nachfolgende Bewegungen zu antizipieren und daraus Profit zu schlagen.

Ein möglicher Erfolg der Technischen Analyse steht im starken Widerspruch zum Konzept (informations-) effizienter Märkte. Denn laut Theorie darf es nicht sein, dass für alle frei verfügbare und relativ günstig zu beschaffende Daten und Informationen zu systematischen Überrenditen verhelfen. Dies könnte ja dann theoretisch jeder ausnutzen – und niemand könnte dann mehr davon profitieren…theoretisch! Die Technische Analyse ist trotz aller theoretischen Widerstände ein weit verbreitetes Instrument in der Finanzwelt. Sehr viele Analysten lassen sich bei ihren Entscheidungen von Signalen der TA helfen, viele Trader setzen sogar ausschließlich darauf und können beachtliche Erfolge aufweisen. Ist das also ein Beweis der Falschheit der Random-Walk-Hypothese und in letzter Konsequenz auch der Effizienzmarkthypothese? Die Verbreitung und der Erfolg der Technischen Analyse ist zumindest ein gutes Argument aller Kritiker der Theorie.

Wie oben bereits vorweg genommen, gibt es in der Wissenschaft keinen breiten Konsens über die Gültigkeit der EMH und Random-Walk-Theorie. Der Wahrheit liegt wohl wie so oft in der Mitte. Und der Schlüssel zur Wahrheit heißt vielleicht Behavioral Finance. Dieses relativ junge Forschungsfeld der Ökonomie kommt immer mehr in „Mode“ und gehört mittlerweile schon zum Standardlehrinhalt eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums. Sie beschäftigt sich u.a. mit Irrationalitäten menschlichen Handelns auf Finanzmärkten und liefert einige gute Ideen zur Erklärung von Imperfektionen, die auch den Erfolg der Technischen Analyse begründen können. Psychologische Faktoren wie Gier, Angst und Verlustaversion oder Herdenverhalten als Teil von Gruppendynamik werden immer mehr in die Erforschung von Volkswirtschaften und Finanzmärkten miteinbezogen. Besonders Gruppenverhalten spielt vermutlich eine signifikante Rolle für die Wirkung von Technischer Analyse im Speziellen.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph E. Stieglitz bringt mit folgendem Paradoxon die innewohnende Problematik der Effizienzmarkthypothese auf den Punkt:

Falls ein Markt effizient ist in seiner stärksten Form und alle Informationen (einschließlich Insiderinformationen) bereits eingepreist sind, dann hat doch niemand mehr einen Anreiz die Anstrengung zu unternehmen, Informationen zu sammeln und daraufhin zu handeln. Wie können dann alle Informationen bereits vom Preis reflektiert werden?

Die Diskussion um das Vorhandensein effizienter Märkte und deren Implikationen wird also wohl weder in Expertenrunden noch in Hörsälen so schnell zu Ende gehen. Anhänger der Charttechnik wird das allerdings eher kalt lassen. Für viele funktioniert ihr System – das ist alles was zählt.

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