Kommentar
11:54 Uhr, 22.03.2013

Einlagensicherung – wie sicher ist sicher?

Ein Gerichtsurteil wirft neues Licht auf die Frage einer möglichen Staatshaftung bei der gesetzlichen Einlagensicherung. Auf europäischer Ebene schießt man weiterhin in alle Richtungen gleichzeitig.

Die jüngsten Turbulenzen rund um die zyprischen Sparer und deren potentieller Beschneidung durch die Regierung hat nicht nur im kleinen Inselstaat große Empörung ausgelöst. Das Antasten der Spareinlagen des gemeinen Bürgers galt bisher als ein absolutes Tabu. Umso kraftvoller war das Echo, das durch alle Wirtschaftsmedien dieser Welt hallte – auch in unserer Redaktion. Obgleich die Steuer in dieser Form vorerst (Gott sei Dank) wieder vom Tisch ist, so gibt alleine ihre Diskussion Grund zur Sorge. Wie sicher kann man sich denn nun als Portugiese, Italiener oder Spanier sein, dass man sein sauer erspartes Geld auch morgen noch auf seinem Konto vorfindet?

Viele Stimmen haben bei der Aufregung um die vorgeschlagene Quasi-Teilenteignung sofort an die EU-weite Einlagensicherung in Höhe von 100.000 Euro erinnert. Zunächst sei angemerkt, dass diese im konkreten Fall eigentlich nichts mit der Sache zu tun hat. Der Schutzmechanismus greift erst bei einer tatsächlichen Bankenpleite – und genau das sollte durch die Steuer ja verhindert werden. Nichtsdestotrotz ist die mindestens fehlerhafte (wenn nicht erneut katastrophale) Kommunikation der Eurogruppe und ihrer Beschlüsse Anlass genug, eben diese Einlagensicherung nochmal genau unter die Lupe zu nehmen.

Mein Kollege Daniel Kühn hat bereits im zeitlichen Umfeld der Finanzkrise 2009 einen sehr aufschlussreichen Artikel zur Werthaftigkeit der angeblich sicheren deutschen Einlagen verfasst und die Frage der schlussendlichen Haftung aus dem Dunstkreis der konsequenten medialen Fehldarstellung gezogen. Fazit damals: sicher ist nur, dass es im Ernstfall keine Sicherheit gibt!

Es scheint, als geistere auch vier Jahre später noch der gutmütige Glaube an eine uneingeschränkte Staatsgarantie deutscher Einlagen durch Medien und Bevölkerung. Nachfolgend möchte ich Ihnen im Lichte jüngster Entwicklungen und Veränderungen zeigen, warum dieser Glaube in die Irre führt.

In oben erwähntem Artikel können Sie den Aufbau und Umfang des Einlagensicherungssystems in Deutschland detaillierter nachvollziehen, an dieser Stelle soll eine kurze Zusammenfassung auf aktuellem Stand reichen. Eine in den 1990er Jahren verfasste EU-Richtlinie schrieb den Mitgliedsstaaten vor, eigenständig ein System zur Sicherung von Bankeinlagen auf Gesetzesebene zu entwickeln. Hierzulande „sichert“ die Entschädigungseinrichtung Deutscher Banken (EdB) Einlagen bis zu einer Höhe von mittlerweile 100.000 Euro. Vor einer Änderung der Richtlinie 2009 war diese Summe noch deutlich geringer. Das Volumen des Entschädigungsfonds speist sich ausschließlich aus Beiträgen der angeschlossenen Banken. Guthaben über 100.000 Euro hinaus werden über den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) abgedeckt, der allerdings auf einer freiwilligen Mitgliedschaft der Geldhäuser basiert. Genanntes gilt für den Privatkundenbereich, auf den wir uns hier beschränken wollen. Für öffentliche Banken/Sparkassen gibt es ein ähnliches System. Das entsprechende deutsche Gesetz sowie die ursprüngliche [Link "EU-Richtlinie" auf eur-lex.europa.eu/... nicht mehr verfügbar] und deren [Link "Änderungen" auf eur-lex.europa.eu/... nicht mehr verfügbar] sind frei zugänglich und können nachgelesen werden. Spaßeshalber wollen wir die dritte Stufe der Sicherung, die „Merkel-Sicherung“, nicht vergessen. In einem beinahe heroischen Akt garantierte sie nach der Lehman-Pleite 2008 im Namen der Bundesregierung sämtliche Spareinlagen der Deutschen. Um zu erkennen, dass es bei diesem Alleingang an einer rechtlichen Basis wohl mangelt, muss man kein Experte sein. Ein wenig komplizierter liegt die Sache allerdings bei den „echten“ Einlagensicherungssystemen. Die entscheidende Frage lautet: Haftet der Staat für den Fall, dass die EdB bei einer großen Bankenpleite nicht alle Entschädigungsforderungen bedienen kann? Da es bisher an einer deutlichen Rechtsprechung fehlt, ist man sich sowohl in der Öffentlichkeit, als auch unter Experten nicht immer ganz eins. Licht ins Dunkel könnte ein ganz neues Urteil von Ende Januar 2013 bringen. Der Gerichtshof der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) urteilte hier in einem Verfahren bezüglich der Haftungsfrage Islands für die isländische Einlagensicherung. Zwar gehört Island nicht der EU an, zusammen mit Lichtenstein, der Schweiz, Norwegen und allen EU-Mitgliedern ist es aber Mitglied in eben erwähnter EFTA, einer Organisation zur Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder. Das Urteil des EFTA-Gerichts hat natürlich keine bindende Wirkung für EU-Recht, ist aber sicher richtungsweisend und dient mindestens als sehr starke Orientierung.

Der wichtigste Teil des Urteils befreit Island als Staat generell von einer grundlegenden Haftungspflicht gegenüber den Gläubigern des nationalen Einlagensicherungsfonds. Das Urteil hat trotz seiner möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wenig mediale Beachtung erhalten. Bisher scheint sich kaum jemand die Mühe gemacht zu haben, das Schriftstück im Einzelnen durchzugehen und die wichtigen Punkte herauszuarbeiten. Nachfolgend fasse ich Ihnen die wichtigsten Argumentationsbestandteile des Gerichts zusammen, welche Sie im englischen [Link "Originaldokument" auf www.eftacourt.int/... nicht mehr verfügbar]selbst nachvollziehen können.

Die zentrale Schlussfolgerung des Gerichts lautet, dass der Staat lediglich die Aufgabe hat, für eine nationalgesetzliche Umsetzung der Richtlinie in Form eines adäquat ausgestalteten und handlungsfähigen Entschädigungsfonds zu sorgen und diesen anzuerkennen und zu beaufsichtigen. Die generelle Verpflichtung, eine dauerhafte und uneingeschränkte Zahlungsfähigkeit zu garantieren, sieht das Gericht hingegen nicht.

Dabei baut es seine Einschätzung auf eine eigene Interpretation der – zugegeben nicht immer ganz eindeutig interpretierbaren – Einzelartikel der EU-Richtlinie. So folgert es klar, dass die einem Sicherungssystem angehörenden Banken dessen Kosten vollumfänglich tragen müssen und der Staat hier auch aus Gründen möglicher Wettbewerbsverzerrungen innerhalb des EU-Gebiets nicht eingreifen dürfe.

Des Weiteren versuche die Direktive eine Risikoverschiebung in Richtung des Staates bei einer möglichen Bankenpleite zu vermeiden. Dies wäre aber bei einer Staatshaftung der Fall.

Als weiterer Argumentationspunkt dient der in den letzten Jahren vielzitierte Moral Hazard, also der Anreiz, ein Risiko nicht mit allen Mitteln vermeiden zu wollen, wenn man gegen genau dieses Risiko versichert ist. Moral Hazard sei in den Erklärungen zur EU-Richtlinie als unerwünscht dargestellt, resultiere aber im Endeffekt aus einer Haftung des Staates.

Interessant und aufschlussreich ist darüber hinaus die Anmerkung, dass die Richtlinie auf einzelne Bankinsolvenzen abziele und nicht auf ganze Systemkrisen. Hierzu wird auch aus einem 2010 erschienenen Bericht der EU-Kommissionzu den Auswirkungen der Direktive zitiert. So solle das Volumen der nationalen Einlagensicherung groß genug sein, um mit einer „mittelgroßen“ Bankenpleite umgehen zu können. Sinngemäß könne daraus gefolgert werden, dass das Einschreiten des Staates nicht vorgesehen sei, da es nur bei zahlreichen, systematischen oder größeren Bankenpleiten notwendig wäre – welche das Sicherungssystem wohl eben gar nicht abdecken solle.

Oben genannter Bericht ist besonders interessant, enthält er doch vielleicht schlussendlich das bisher fehlende Puzzleteil bei der Frage nach einer verpflichtenden Staatshaftung. Dort liest sich sinngemäß, dass die nationalen Systeme zur Einlagensicherung durch Banken finanziert werden müssen, was auch so beibehalten werden solle. Der Staatshaushalt sei deshalb nicht durch die Direktive berührt – selbst wenn der Staat in irgendeiner Form einspringen würde; er täte dies nicht aus einer Verpflichtung durch die Richtlinie heraus (vgl. Punkt 3.2, S.8-9 des Berichts). Das scheint dann doch schon sehr eindeutig und klar!

Alles in allem wirft das Urteil des EFTA-Gerichts deutlich mehr Licht auf die Haftungsfrage und enttäuscht all diejenigen, die den Begriff der Einlagensicherung allzu wörtlich nahmen. Man stelle sich nun vor, die Deutsche Bank ginge hops. Das Volumen der gesetzlichen Einlagensicherung, also der EdB, würde hierfür sicherlich nicht ausreichen – muss es aber auch nicht; als „mittelgroß“ geht die Deutsche Bank bei weitem nicht mehr durch. Obiger Argumentation folgend muss auch Vater Staat nicht einspringen (könnte er auch gar nicht!) und die schöne „Einlagensicherung“ entpuppte sich als Trugschluss. Auf der anderen Seite kann man sich aber auch schwerlich vorstellen, dass Deutschland seine Mutter aller „systemrelevanten“ Institute in die Pleite schicken würde – diese Diskussion wird an anderer Stelle aber schon zu Genüge geführt und soll an dieser Stelle nicht unnötig ablenken.

Bei all der rationalen Aufarbeitung der komplexen Materie sei abschließend noch folgende eher emotionale Anmerkung erlaubt. Hat man auf europäischer Ebene eigentlich annähernd eine einheitliche Meinung oder schießt man einfach so, wie es gerade passt? Im Speziellen meine ich die EU-Kommission, die ein mir zutiefst suspektes und unverständliches Bäumchen-Wechsel-Dich-spiel betreibt, frei nach dem beliebten Politikermotto „was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ In einem Vorschlagzur Umsetzung einer Richtlinie zur Einlagensicherung 1992 erwähnt die Kommission zunächst, dass eine staatliche Beteiligung unerwünscht sei. So folgert auch das EFTA-Gericht aus der 1994 erschienen Fassung der Direktive. Gleichzeitig verweist es aber darauf, dass bestimmte Änderungen an den Formulierungen einzelner Artikel im Rahmen der 2009 erfolgten Bearbeitung der Richtlinie durchaus das Bestreben einer staatlichen Haftung erkennen lassen. Der bereits zitierte Kommissionsbericht aus 2010 behält aber eindeutig die Ablehnung einer solchen bei. Soweit noch keine großen Unregelmäßigkeiten, wäre da nicht noch ein kleines Detail, welches bisher aus Spannungsgründen noch keinen Eingang in diesen Kommentar gefunden hat:

Bei der Verhandlung vor dem EFTA-Gericht stand die EU-Kommission unterstützend auf Seiten der Kläger und argumentierte in mehreren Punkten ausdrücklich in die Richtung einer verpflichtenden staatlichen Haftung für die Einlagensicherung!Entweder haben die dortigen Vertreter ihren Auftrag falsch verstanden oder man war sich nicht ganz klar darüber, was man vor wenigen Jahren noch anderes zu dem Thema zu sagen hatte. So trägt der Auftritt der europäischen Politelite einmal mehr weder zu mehr Orientierung, noch zu stärkerer Klarheit oder gar Rechtssicherheit bei.

Verlassen sollten wir uns vorerst mal wieder lieber nur auf unseren gesunden Menschenverstand und der sollte uns sagen:

Vorsicht, sicher ist nicht gleich sicher! Also lieber auf Nummer sicher gehen und sich nicht in Sicherheit der Einlagensicherung wiegen – sie könnte durchbrennen!

Ihr Philipp Hagspiel

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