Kommentar
16:27 Uhr, 28.11.2022

China-Proteste: Gefahr für die Wirtschaft, aber auch für Präsident Xi?

In China hat die strenge Corona-Politik zu den größten Protesten seit Jahrzehnten geführt. In der Hauptstadt Peking und anderen Millionenstädten gingen Demonstranten zu Hunderten auf die Straßen. Können die anschwellenden Proteste dem Präsidenten Xi Jinping schaden?

Die angekündigte Aufweichung der strikten Corona-Strategie der chinesischen Führung Anfang November hatte die Hoffnung auf die alte Normalität in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft genährt. In den letzten Tagen wurden jedoch als Reaktion auf den jüngsten Anstieg der Infektionen wieder lokale Lockdowns verhängt, was an den Finanzmärkten zu erneuten Befürchtungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Erholung im Land und der globalen Lieferketten führte.

Die fast drei Jahre andauernden Lockdown-Maßnahmen haben der chinesischen Wirtschaft schwer zugesetzt und die Jugendarbeitslosigkeit in dem alternden Land auf fast 20 Prozent ansteigen lassen. Die Gewinne der chinesischen Industrieunternehmen sind von Januar bis Oktober um drei Prozent gesunken, da die Covid-Beschränkungen das Geschäft beeinträchtigten. Analysen der Citigroup sind wenig hoffnungsfroh. „Die wirtschaftliche Erholung wird schwierig bleiben, da das Risiko besteht, dass die lokalen Infektionen in den Wintermonaten hoch bleiben, bis die Impfraten deutlicher ansteigen“, hieß es laut CNBC in einem Newsletter von Montag.

Obwohl die Proteste in den letzten Tagen zugenommen haben, wurde in China nur wenig darüber berichtet. Rory Green, Leiter des China- und Asien-Research bei TS Lombard sagte CNBC: „Wir glauben, dass China bis mindestens zum zweiten Quartal 2023 in diesem Covid-Koma verbleiben wird und dass das reale Wachstum - nicht das von den Behörden angegebene - in den nächsten fünf Monaten kaum über ein Prozent liegen wird", sagte er am Montag gegenüber CNBC.

Die Regierung hat ihre Bemühungen zur Unterstützung der Wirtschaft, einschließlich des angeschlagenen Immobiliensektors, intensiviert. Die People's Bank of China, die Zentralbank in Peking, kündigte letzte Woche an, den Mindestreservesatz für Banken ab dem 5. Dezember um 25 Basispunkte zu senken, wodurch rund 70 Mrd. US-Dollar zur Unterstützung der sich verlangsamenden Wirtschaft des Landes frei werden.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht große wirtschaftliche Risiken durch die Null-Covid-Politik Chinas. DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier sagte am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: „Die jetzt wieder einsetzenden Lockdowns, aber auch die zunehmend protektionistische Wirtschaftspolitik sind für die deutschen Unternehmen in China eine große Belastung." Viele deutsche Unternehmen richteten gerade ihre Lieferketten neu aus. „Mehr als ein Drittel der deutschen Unternehmen in China plant den Ausbau und die Diversifizierung seiner Lieferantennetzwerke außerhalb des Landes", so Treier. Besonders im Blick seien dabei andere asiatische Märkte. „Ganz auf den Markt China zu verzichten, ist für viele Unternehmen aber keine Option“.

In China hat die strenge Corona-Politik zu den größten Protesten seit Jahrzehnten geführt. In der Hauptstadt Peking und anderen Millionenstädten gingen Demonstranten zu Hunderten auf die Straßen. Können die anschwellenden Proteste dem Präsidenten Xi Jinping schaden?

Die Protest-Gruppen sind (noch) relativ klein, wenn auch lautstark. Es handelt sich größtenteils um Studenten und Angehörige der Mittelschicht. Aber bezeichnenderweise richten sie ihre Wut direkt gegen Xi, und einige fordern sogar seinen Rücktritt. Möglicherweise lässt Xi die Proteste noch ein wenig laufen, damit die Menschen sich Luft machen können.

Die Aufhebung der Beschränkungen oder einen vollständigen Ausstieg aus der Null-Covid-Politik werden die Demonstrationen aller Voraussicht nach aber nicht herbeiführen. Xi hat sich seinen Platz an der Macht gesichert. Das Risiko einer direkten Anfechtung ist im Moment gering. Aber angesichts der ständigen Behauptung, er sei der Kern der Kommunistischen Partei, macht ihn das auch zu einem Blitzableiter für Unruhen. Und das könnte sich von jetzt an noch verschärfen.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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