Kommentar
16:51 Uhr, 14.10.2022

Berenberg-Studie: China wird zum Risiko für die Weltwirtschaft

China hat sich einer Studie zufolge vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor für die Weltwirtschaft und die politische Stabilität gewandelt. Die Analyse wurde mit Blick auf den am Sonntag beginnenden 20. Parteitag der Kommunistischen Partei veröffentlicht.

Wenige Tage vor dem Parteitag der Kommunistischen Partei ist es zu einer seltenen Protestaktion in Peking gekommen. Regimekritiker brachten zwei Transparente an einer Brücke an, darauf stand: „Wir wollen Essen, keine PCR-Tests. Wir wollen Reformen, keine Kulturrevolution. Wir wollen Freiheit, keine Lockdowns. Wir wollen wählen, keinen Führer.“

Für das Regime in Peking kommt die Protestaktion zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Vor dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei, der am Sonntag beginnt, sind die Behörden wachsam. Der mächtige Präsident Xi Jinping soll eine dritte Amtszeit antreten. Der Parteitag findet nur alle fünf Jahre statt.

Hat Chinas dominantester Führer seit Mao Zedong nach 10 Jahren Herrschaft an Macht gewonnen oder verloren? Sicherlich waren die Zeiten für Xi schon einmal besser. Die Null-Covid-Politik seiner Regierung kam im Volk nicht gut an und schleudert nicht zuletzt die Weltwirtschaft an den Rand einer Rezession. Ursprünglich sollten Massentests, Abriegelungen und strenge Quarantäne die Bürger vor der Infektionskrankheit schützen, doch trotz der Bemühungen der chinesischen Propagandamaschinerie, Xis Covid-Null-Politik zu verteidigen, findet sie immer weniger Anhänger. In der Zwischenzeit tauchen immer wieder Virusfälle auf, und es drohen neue Lockdowns.

Und dann ist da noch die wachsende Kluft zu den USA, die in den nächsten fünf Jahren zu einer weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen und militärischen Spannungen zwischen den beiden führenden Mächten der Welt führen dürfte, auch in Bezug auf Taiwan. Xis Charakterisierung der Position Chinas in der Welt und seiner sicherheitspolitischen Herausforderungen, wird während seiner Rede am Sonntag genau beobachtet werden. Die Finanzmarktteilnehmer werden unterdessen auf Signale aus Peking zur Stützung der Wirtschaft achten, denn es wird wohl noch eine Weile dauern, bis China die USA überholt, wenn überhaupt.

Denn ökonomisch hat das Reich der Mitte zuletzt an Boden verloren. Zu dem Schluss kommt eine Studie des Institute of East Asian Studies an der Universität Duisburg-Essen mit der Berenberg Bank. China hat sich danach vom Wachstumsmotor zum Risikofaktor für die Weltwirtschaft und die politische Stabilität gewandelt. „China hat seinen wirtschaftlichen Aufstieg einem eigentümlichen Wirtschaftsmodell zu verdanken, das marktwirtschaftliche Prozesse mit starken Elementen einer Zentralverwaltungswirtschaft kombiniert. Dieses Modell war lange Zeit sehr erfolgreich und galt vielen als Alternative zum Kapitalismus amerikanischer Prägung mit bis weit in die Zukunft reichendem hohen Wachstum. Diese Ansicht teilen wir nicht. In Zukunft werden abnehmende und geringere Wachstumsraten die neue Normalität sein,“ heißt es in dem Papier, das mit Blick auf den 20. Parteitag veröffentlicht wurde.

So sei der Wachstumsboom Chinas unausgewogen verlaufen, Übertreibungen und Verzerrungen müssten nun korrigiert werden. Dazu gehörten vor allem Exzesse am Immobilienmarkt. Berenberg-Ökonom Jörn Quitzau: „Eine harte wirtschaftliche Landung ist zwar unwahrscheinlich, dennoch steht das Land vor schwierigen Herausforderungen. Die Folgen der Corona-Lockdowns, ein durch sinkende Immobilienwerte zusätzlich geschwächter Konsum und der globale Konjunktureinbruch sollten das Wachstum in den Jahren 2022 und 2023 schwächen. Als zuverlässiger Motor der Weltkonjunktur fällt China aus.“

Auch habe die Sorge über unfaire chinesische Geschäfts- und Handelspraktiken weltweit zugenommen, weshalb die Rolle Chinas in den globalen Lieferketten abnehmen werde, hieß es weiter. „Unternehmen haben damit begonnen, sich neu zu orientieren und ihr China-Engagement zurückzufahren", schrieb Mitautor Mahmoud Abu Ghzalah. „Auf diese Weise wird China zumindest zum Teil isoliert."

Auf wirtschaftspolitischer und internationaler Ebene würden die Probleme insgesamt ebenfalls zunehmen, führt Markus Taube vom Institute of East Asian Studies aus. Die seit 2013 von Xi Jingping propagierte chinesische Vision einer mächtigen, gesunden, von der Weltgemeinschaft geachteten und respektierten Nation mit globalem Anspruch bringt China in Konkurrenz zu den USA, die das Land letztlich aus ihrer hegemonialen Führungsposition verdrängen will. Beide Staaten sehen sich inzwischen gegenseitig als potenzielle Bedrohung. (…) Im Verhältnis zu Europa herrsche hingegen eher eine Stimmung gegenseitig enttäuschter Zuneigung. Europas Idee eines „Wandels durch Handel“ sei in China ad absurdum geführt worden. Auch der sich zuspitzende Konflikt mit Taiwan im Sinne der Ein-China-Doktrin und Chinas Haltung im Russland-Ukraine-Krieg belaste den politischen Auftritt des Landes.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

Mehr Experten