Kommentar
11:37 Uhr, 03.02.2015

Angst vor Deflation: EZB bringt ihre Geldpresse in Stellung

Innerhalb einer einzigen Woche im Januar haben zwei große Zentralbanken außergewöhnliche Schritte unternommen, die die Finanzmärkte erschütterten: Die Schweizerische Nationalbank hob den Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken auf und die Europäische Zentralbank kündigte ein umfangreiches Anleihenkaufprogramm an, durch das sie die Märkte mit Liquidität fluten wird. Allein der Umfang dieses Programms hat weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft der Eurozone und die Anleger. Die Aussichten für Aktien im Euroraum dürften sich verbessern, da der schwächere Euro die Unternehmensgewinne stützen wird. Die Rally an den US-Aktienmärkten könnte dagegen an Fahrt verlieren.

Obwohl die Europäische Zentralbank (EZB) erst verhältnismäßig spät zum so genannten «Quantitative Easing» (QE) – der Terminus steht mittlerweile für umfangreiche Staatsanleihenkäufe durch Notenbanken – gegriffen hat, übertraf ihr Debüt vom 22. Januar die Markterwartungen. Im Rahmen dieses erweiterten Programms werden monatlich Wertpapiere des öffentlichen und privaten Sektors in Höhe von insgesamt 60 Milliarden Euro angekauft. Die Ankäufe sollen bis Ende September 2016 und in jedem Fall so lange erfolgen, «bis wir eine nachhaltige Korrektur der Inflationsentwicklung erkennen, die im Einklang steht mit unserem Ziel, mittelfristig Inflationsraten von unter, aber nahe 2 Prozent zu erreichen.» Dies erklärte EZB-Präsident Mario Draghi in seinen einleitenden Bemerkungen anlässlich der gleichentags stattfindenden Pressekonferenz in Frankfurt.

Wirtschaft der Eurozone dürfte indirekt profitieren

Wird diese außergewöhnliche Maßnahme die Räder der Wirtschaft in der Eurozone schmieren? Die Anleger mögen sich an eine Witzelei des ehemaligen USNotenbankchefs Ben Bernanke erinnern, der einmal sagte, dass QE in der Praxis funktioniere, in der Theorie jedoch nicht. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es Mario Draghi (einmal mehr) gelungen ist, sich gegenüber dem internen Widerstand (vor allem Deutschlands) gegen außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen durchzusetzen. Des Weiteren gibt es zwar nur wenige Hinweise darauf, dass QE das Wirtschaftswachstum unmittelbar ankurbelt; doch es sind bedeutende indirekte Auswirkungen über Wechselkurse und Zinsen zu erwarten. Ein sinkender Euro wird die Aussichten für die europäischen Exporteure verbessern und der Ölpreisverfall wird für erheblichen Rückenwind sorgen. Dies wird zu Aufwärtskorrekturen bei den Konsenserwartungen für das Wirtschaftswachstum der Eurozone im Jahr 2015 führen, die in unseren Augen derzeit noch zu pessimistisch sind.

Die historische Entscheidung der EZB, eine umfangreiche quantitative Lockerung vorzunehmen, hat bedeutende Folgen für die Anleger:

1. Sie ist ein weiterer Beweis für die globalen geldpolitischen Divergenzen. Auf der einen Seite wird davon ausgegangen, dass die Fed in diesem Jahr mit einer Erhöhung der Zinsen beginnt. Auf der anderen Seite bekämpfen EZB und Bank of Japan durch eine rasche Ausweitung ihrer Bilanzen aktiv die Deflationsrisiken (siehe Grafik 1). Zwar erlauben die Aufwertung des US-Dollar und niedrige Inflationsraten der Fed Flexibilität bei der Geschwindigkeit der geldpolitischen Straffung. Wir rechnen jedoch weiterhin damit, dass die mächtigste Zentralbank der Welt angesichts der Belebung am US-Arbeitsmarkt bei ihrer Sitzung im Juni erstmals die Zinsen anheben wird. Diese Divergenz nährt kräftige Wechselkurstrends. So gehen wir davon aus, dass der langfristige Aufwärtstrend bei der US-Währung, insbesondere gegenüber dem Euro, anhalten wird.

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2. Am 15. Januar 2015, eine Woche vor der Grundsatzerklärung der EZB, hob die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Wechselkursbindung zwischen Franken und Euro auf, die sie nahezu dreieinhalb Jahre lang standhaft verteidigt hatte. Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses von 1,20 Franken durch die SNB – eine Folge von Befürchtungen der Notenbank, dass die Kosten für Devisenmarktinterventionen ins Unermessliche steigen könnten – sorgte für Turbulenzen an den Finanzmärkten weltweit und führte zu einem beispiellosen Anstieg des Frankens und einer deutlichen Korrektur bei den lokalen Aktienkursen. Würde sich der Schweizer Franken auf dem derzeitigen Niveau gegenüber dem Euro, der Währung der wichtigsten Handelspartner der Schweiz, einpendeln, würde das schweizerische Bruttoinlandsprodukt unseren Prognosen zufolge um 0,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr sinken und die Deflation 2 Prozent betragen. Was die Kaufkraftparität betrifft, ist der Schweizer Franken gegenüber dem Euro und dem US-Dollar deutlich überbewertet und es ist über kurz oder lang mit einem Rückgang zu rechnen. Die kurzfristigen Aussichten der Schweizer Währung werden also in hohem Maße von der Nachfrage der Anleger nach «sicheren Häfen» abhängen. Auf jeden Fall sind solche Anlagen mit einem Preis in Form von hohen Negativzinsen (-0,75 Prozent) auf Einlagen in Schweizer Franken verbunden.

3. Der Rückgriff der EZB auf QE und die Kehrtwende der SNB haben zu einer negativen Schweizer Renditekurve geführt, die bislang ohne Beispiel ist (siehe Grafik 2). Der Portfolioaufbau für Mandate in Schweizer Franken ist sogar noch schwieriger geworden.

4. Die allgemeine Stärke des US-Dollar dürfte in den kommenden Quartalen bei vielen multinationalen US-Konzernen zu einer Senkung der Gewinnprognosen führen. Angesichts der aktuellen, bereits ausgereizten, Bewertung gehen wir davon aus, dass der US-Markt seine weltweite Führungsposition nach sechs Jahren verlieren und von Japan und der Eurozone (in lokaler Währung) abgelöst werden wird. Diese Erwartung spiegelt sich in unserem Aktienmix wider.

5. Wir sind uns bewusst, dass die Einführung von Negativzinsen auf Einlagen in Schweizer Franken (und Euro) bei sonst gleichen Bedingungen zu einer kurzfristigen Stützung von Gold führen wird. Gleichwohl bleiben wir untergewichtet und werden die Situation weiterhin aufmerksam beobachten.

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Unabhängig von den Maßnahmen der Zentralbanken hält der deflationäre Trend bei den wichtigsten Rohstoffen wie Erdöl, Eisenerz, Kupfer und Kohle angesichts des weit verbreiteten Überangebots und stark sinkender Produktionskosten unvermindert an. Der Erdölpreis muss wohl noch einige Quartale so niedrig bleiben, bis sich geringere Investitionsausgaben in kostenintensiven Fördergebieten bei der Ölproduktion bemerkbar machen. Anlegern sollte klar sein, dass ein bedeutender Teil der weltweiten Produktion bei den derzeitigen Spotmarktpreisen nicht rentabel ist. Aus diesem Grund dürfte – vermutlich in der zweiten Jahreshälfte – ein Wendepunkt erreicht werden. Bei einer Erholung des Ölpreises bis zu diesem Zeitpunkt auf ein Niveau von etwa 65 bis 70 US-Dollar dürften sich die Inflationsaussichten für 2016 definitiv ändern.

Steht eine politische Odyssee in Griechenland bevor?

Zwar ist das geldpolitische Umfeld für «Risikoanlagen» generell weiterhin günstig. Es bestehen jedoch erhebliche Extremrisiken, wie die verfahrene Situation im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Die Wirtschaftsaussichten für Russland dürften weiterhin düster bleiben: Standard & Poor's hat die Bonitätsnote des Landes gerade erst auf Ramschniveau (BB+) herabgestuft. Auch der «geplante» Kollisionskurs der griechischen Regierung unter Führung des radikalen Linksbündnisses Syriza gegen die so genannte «Troika» aus Europäischer Kommission, EZB und Internationalem Währungsfonds (IWF) könnte zu stärkeren Schwankungen führen. Der Plan des Bündnisses, die Staatsausgaben zu erhöhen und mit der Sparpolitik zu brechen, ist mit den Grundsätzen der Troika nicht vereinbar. Gleichzeitig haben die Gläubigerländer jede Erleichterung in Form eines Schuldenschnitts ausgeschlossen (EZB und IWF dürfen nach ihren Statuten nicht auf Forderungen verzichten). Sie befürchten, dass ein solches Öffnen der Büchse der Pandora die Aussichten für andere gegen die strenge fiskalische Disziplin ausgerichteten Parteien in Europa verbessern könnte. Die Einlagenabflüsse griechischer Banken sollten aufmerksam beobachtet werden. Jede Beschleunigung würde die Verhandlungsparteien hellhörig machen, da sie eine Reihe von Ereignissen auslösen könnte, die letztendlich zu einem ungewollten Austritt Griechenlands aus der Eurozone führen könnten.

Das aktuelle Umfeld ist geprägt von einer Divergenz in der Geldpolitik, verbesserten Aussichten der Verbraucher gegenüber Produzenten, der langfristigen Outperformance der US-Wirtschaft und anhaltenden disinflationären Kräften. In unseren Portfoliopositionen sind diese grundlegenden Tendenzen weitestgehend berücksichtigt.

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