Erholung in der Eurozone, Politik als große Unbekannte
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Die Abkürzung «PIIGS» - seit dem Ausbruch der europäischen Schuldenkrise in Marktkreisen häufig als Synonym für die bedrohten Länder Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien verwendet - ist heute definitiv nicht mehr angebracht. Dank einer soliden Fiskal- und Wirtschaftspolitik sowie der helfenden Hand der europäischen Währungshüter haben sich die meisten Mitglieder dieser Ländergruppe (außer Griechenland) erholt. Doch was auch immer «Frankfurt» unternimmt, am Ende gibt die Politik den Ausschlag.
Vor nahezu drei Jahren versprach Mario Draghi, «alles Notwendige» zu tun, um die bedrängte europäische Währung zu stützen. Die Aussage des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) beruhigte die Finanzmärkte und leitete den Beginn eines unaufhaltsamen Trends hin zu niedrigeren Renditen von Staatsanleihen ein. In der Folge bildeten sich die Zinsdifferenzen zwischen Anleihen der sogenannten «Peripherieländer» der Eurozone und den «Kernländern» wie Deutschland beträchtlich zurück. Die jüngsten Maßnahmen zur Unterstützung der europäischen Wirtschaft durch die EZB hatten dieselbe Wirkung. Durch das Anleihenkaufprogramm von monatlich 60 Milliarden Euro, das von März 2015 bis mindestens September 2016 laufen soll, gerieten einige Anleihenrenditen sogar in den negativen Bereich (siehe Grafik 1).
Extrem niedrige Refinanzierungskosten tragen offensichtlich viel zu einer Konjunkturerholung in der Eurozone bei. Zumindest erhalten die Länder mehr Zeit, um zwei andere wichtige Variablen anzugehen, die die öffentlichen Finanzen beeinflussen: Einen Primärüberschuss und ein höheres Trendwachstum beim Bruttoinlandprodukt (BIP). Der Primärüberschuss – ein Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen zur Schuldenbedienung eines Landes – ist ein wichtiger Faktor, um die Verschuldungsquote auf das 60-Prozent-Niveau zu reduzieren. Diesen Grenzwert haben die EU-Länder im Vertrag von Maastricht 1992 vereinbart. 2012 wurde im Fiskalpakt konkretisiert, dass dieses Ziel in 20 Jahren erreicht werden muss. Allerdings sind nur Deutschland und Irland unter den Ländern mit einem Verschuldungsgrad von mehr als 70 Prozent auf Kurs, dieses Ziel zu erreichen.
Spanien: Dort erfolgreich, wo Frankreich gescheitert ist
Einen Primärüberschuss zu erzielen, kann jedoch aus politischer Sicht schwierig sein, da hierzu Sparanstrengungen und/oder höhere Steuern erforderlich sind. Als bevorzugte Variable in der Gleichung dürfte sich indes ein stärkeres Trendwachstum erweisen. Um in diesem Bereich erfolgreich zu sein, müssen die Politiker beherzt strukturelle Reformen durchführen und Partikularinteressen hintenan stellen, was allerdings ihre Wiederwahl gefährden könnte. Aus diesem Grund sind die Regierungen kaum geneigt, weiter als zu den nächsten Wahlen zu denken und die anstehenden Probleme zu lösen. Frankreich entzieht sich diesem Dilemma auf leichte Art: Um sein Haushaltsdefizit einzudämmen, setzt die Regierung eher auf massive Steuererhöhungen als auf drängende Reformen der Arbeits- oder Produktmärkte. Infolgedessen bleiben die strukturellen Probleme des Landes ungelöst, obwohl die Kombination eines schwachen Euro, rekordtiefer Zinsen und eines niedrigen Ölpreises das BIP kurzfristig ankurbeln wird.
In Irland, Portugal und Spanien ist die Lage eine ganz andere. Die Regierungen dieser Länder hatten keine andere Wahl, als Spar- und Reformprogramme durchzuführen, um ihre Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite auszugleichen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Bislang hat sich dies als positiv erwiesen. Die spanische Wirtschaft etwa dürfte in diesem Jahr um nahezu 3 Prozent wachsen. Zudem wurde dort in den vergangenen 18 Monaten eine halbe Million neuer Stellen geschaffen. Italien, lange Zeit durch eine Überregulierung und eine politische Lähmung gehemmt, hat bei der Liberalisierung des Arbeitsmarkts einige Fortschritte erzielt. Außerdem hat das Parlament eine wichtige Anpassung des Wahlgesetzes verabschiedet, was in Zukunft stabile Regierungsmehrheiten ermöglichen dürfte.
Griechenland: Paradebeispiel für politische Risiken
Griechenland befindet sich offensichtlich an einem Scheideweg und hat aller Voraussicht nach kein Geld mehr übrig, um im Juni Rückzahlungen an den Internationalen Währungsfonds zu leisten. Die Doktrin der regierenden Syriza-Partei hinsichtlich der öffentlichen Ausgaben und Arbeits- und Rentenreformen scheint der mittelfristigen Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zuwiderzulaufen – zumindest aus Sicht der Gläubiger. Die Unsicherheit über das Schicksal des Landes in der Eurozone zeigt, dass die Politik weiter das größte Risiko für die Europäische Währungsunion darstellt. Draghis Versprechen, «alles Notwendige» zur Rettung der europäischen Währung zu unternehmen, ist nur solange wirksam, wie das entsprechende Land in der Eurozone bleiben möchte. In dieser Hinsicht werden die allgemeinen spanischen Wahlen im November 2015 einen Wendepunkt markieren: Es ist weiterhin offen, ob die Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy, die über einen eindrucksvollen wirtschaftlichen Leistungsausweis verfügt, als Siegerin hervorgehen wird. Angesichts der breiten Unterstützung für Podemos und Ciudadanos bei den jüngsten Regionalund Kommunalwahlen, zwei neuen Protestparteien, wird die politische Landschaft Spaniens viel fragmentierter. Folglich könnten die Tage der Zwei-Parteien-Herrschaft in Spanien, die in den vergangenen 35 Jahren ein Garant für politische Stabilität war, gezählt sein (siehe Grafik 2).
Erhöhtes Engagement in Aktien
Insgesamt kommt das Umfeld weiterhin den globalen Finanzmärkten zugute: Die USWirtschaft hat wegen des starken US-Dollar und des Einbruchs energiespezifischer Anlagen etwas an Zugkraft verloren, weshalb sich die Schwäche des ersten Quartals im zweiten fortsetzen könnte. Dies würde es der US-Notenbank Fed ermöglichen, weiterhin von einer restriktiveren Geldpolitik abzusehen. Gleichzeitig verfolgen die Bank of Japan, die EZB und die People’s Bank of China eine lockere Geldpolitik, die die globale Liquidität ankurbelt. Wir haben die jüngste Konsolidierung dazu verwendet, unser Engagement an den Aktienmärkten - vorab in Amerika - zu erhöhen. US-Aktien liegen seit Jahresbeginn, trotz guter Unternehmensgewinne, hinter ihren Pendants zurück. Demgegenüber bleiben wir bei «sicheren» Staatspapieren deutlich «untergewichtet». Wir machen bei Staatsanleihen nach wie vor ein sehr geringes Wertpotenzial aus, obwohl sich die Renditen kürzlich erholt haben.
Autor: Christophe Bernard, Vontobel-Chefstratege
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