Zoll-Hickhack erwischt Bullen und Bären auf dem falschen Fuß
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Zuvor war es zu Telefonaten mit der mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum sowie Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau gekommen. Da kann man sich natürlich die Frage stellen, ob man diese Telefonate nicht einfach zwei Tage früher hätte führen können, um panikartige Reaktionen der Märkte und unnötige Unsicherheiten zu vermeiden.
Welche Auswirkungen haben welche Zölle?
Und man kann sich auch die Frage stellen, ob man sich als Anleger die Mühe sparen kann, die Auswirkungen solcher Zölle auf Unternehmen, Branchen oder ganze Volkswirtschaften zu ermitteln. Denn wie sich zeigt, können dabei getroffene Annahmen schon nach kürzester Zeit hinfällig werden. Das ist nicht nur extrem ärgerlich für die Arbeit, die man sich dabei macht, es ist für das Trading und Investieren auch extrem hinderlich. Denn die Risiken für Anleger und Investoren, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, sind natürlich extrem hoch.
Auf dem falschen Fuß erwischt
Noch am Freitag hatte ich geschrieben, dass ich sehr gespannt war, was am anstehenden Wochenende passieren würde, ob tatsächlich Zölle beschlossen werden, und wie die Börsen dann in die neue Woche starten werden. „Wahrscheinlich werden einige Anleger auf dem falschen Fuß erwischt“, hieß es dazu (siehe „Erneut nur kurze Rücksetzer durch bekräftigte Zolldrohungen“). Und nun galt dies leider sowohl für die Bullen als auch für die Bären.
Denn nach den Zollbeschlüssen starteten die Aktienmärkte zunächst sehr schwach in die neue Woche. Das dürfte einigen Bullen den Schweiß auf die Stirn getrieben haben. Doch nach der Meldung über die Aussetzung der Strafzölle auf Importe aus Mexiko und Kanada für einen Monat kam es zu sehr dynamischen Kurserholungen, mit denen die Kursverluste in vielen Fällen vollständig aufgeholt und somit nun die Bären gegrillt wurden.
Übertreibung auch bei der Sorglosigkeit der Anleger
Dass die Kursverluste egalisiert wurden, ist übrigens eine bemerkenswerte Entwicklung. Schließlich ist das Thema "Zölle" nicht vom Tisch. Stattdessen sind die neuen Strafzölle gegen China seit gestern in Kraft und es droht ein zusätzlicher Handelskonflikt zwischen den USA und der EU. Die Unsicherheit im Markt ist daher sehr hoch. Dass die Aktienkurse dennoch so hoch stehen, als gäbe es diese Probleme nicht, die zweifelsfrei den Welthandel und somit die Gewinne der Unternehmen belasten, ist in meinen Augen ein weiterer Auswuchs der Übertreibung, in der sich die Aktienmärkte nach wie vor befinden.
Strafzölle gegen die EU scheinen beschlossene Sache
Dazu zählt auch die Sorglosigkeit der Anleger. Kaum jemand scheint Angst zu haben, erneut auf dem falschen Fuß erwischt zu werden. Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie die Kurse reagieren, wenn Trump Zölle auf Importe aus der EU beschließt. Zu möglichen Zöllen gegen Großbritannien befragt, sagte Trump: "Wir werden sehen, wie sich die Dinge entwickeln." Aber bei der Europäischen Union "wird es definitiv passieren, das kann ich Ihnen sagen". Die Europäische Union benehme sich wirklich daneben, so Trump. Und weiter: "Was die Europäische Union getan hat, ist ein Gräuel."
Erneuter Kurseinbruch wegen Chinas Gegenmaßnahmen
Als China kurz nach Inkrafttreten der neuen US-Zölle konkrete Gegenmaßnahmen verkündete, brachen die Kurse an den Aktienmärkten heute Nacht (MEZ) erneut ein – allerdings wieder nur kurzzeitig, gefolgt von erneuten schnellen Kurserholungen.
Hat bereits ein Gewöhnungseffekt eingesetzt? Oder glauben die Anleger auch in diesem Fall an eine baldige Aufhebung der Zölle? Oder werden die Auswirkungen der Zölle auf die Wirtschaft und die Unternehmen schlicht als gering eingeschätzt?
Chinas Außenhandel nur geringfügig belastet?
Laut Prognosen des Münchner Ifo-Instituts kann China einen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten zumindest besser verkraften als die US-Nachbarn Kanada und Mexiko. Der chinesische Export dürfte demnach lediglich um 3,8 % zurückgehen, teilten die ifo-Forscher heute mit.
Kanada hätte dagegen mit einem Minus seiner Gesamtausfuhren von 28 % rechnen müssen, Mexiko sogar von 35 %. Der Grund: Während China den Handel leichter von den USA umlenken kann, sind Kanada und Mexiko aufgrund ihrer geografischen Lage deutlich stärker an die USA gebunden, so die Einschätzung des ifo-Instituts.
Fed zum Abwarten gezwungen
Anleger müssen sich allerdings auch die Frage stellen, wie Notenbanken in der aktuellen Gemengelage von getroffenen und zurückgenommenen Entscheidungen binnen kurzer Zeit eigentlich eine fundierte Geldpolitik betreiben sollen.
Der US-Notenbank (Fed) zufolge bergen Zölle auf Einfuhren aus Kanada, Mexiko und China Inflationsrisiken. "Man kann davon ausgehen, dass die Art von breit angelegten Zöllen, die am Wochenende angekündigt wurden, Auswirkungen auf die Preise haben", sagte gestern die Präsidentin der regionalen Notenbank von Boston, Susan Collins. Genau beziffern ließen sich die Auswirkungen allerdings nicht, da es kaum Erfahrungen aus der jüngeren Vergangenheit zu den Folgen neuer Zölle für die Wirtschaft gebe. Womöglich könnte die Fed einen einmaligen, mit den Zöllen verbundenen Anstieg der Inflation sogar ignorieren.
Doch gerade diese mangelnde Klarheit erfordere ein langsameres Vorgehen bei Zinssenkungen, sagte der Präsident der Chicago Fed, Austan Goolsbee. "Jetzt müssen wir etwas vorsichtiger und umsichtiger sein, was die Geschwindigkeit angeht, mit der die Zinsen gesenkt werden", so Goolsbee. "Denn es besteht das Risiko, dass die Inflation bald wieder ansteigt."
Anleger ignorieren die Auswirkungen auf Notenbanken und Unternehmen
Damit scheint klar: Die Zinsen werden in den USA länger hoch bleiben. Das bremst die Wirtschaft und somit das Gewinnwachstum der Unternehmen. Eigentlich ist das ein Grund für fallende Kurse und eine niedrigere Bewertung am Aktienmarkt. Doch auch das ignorieren die Anleger weiterhin.
Sie ignorieren auch, dass sich die Unternehmen fragen, auf welcher Basis sie nun langfristige Investitionsentscheidungen treffen sollen? Durch eine Politik von "heute hü und morgen hott" entsteht eine enorme Unsicherheit, durch die Investitionsentscheidungen zurückgestellt werden. Das schadet der gesamten Weltwirtschaft. Und auch das wäre eigentlich ein Grund für Gewinnmitnahmen am Aktienmarkt.
Dow Jones: Von einer überkauften Situation in die nächste
Ich bin daher etwas verwundert und auch ein wenig frustriert über das Verhalten der Anleger. Denn ich wünsche mir schon seit Längerem größere Rücksetzer am Aktienmarkt, mit denen die charttechnisch überkaufte Lage etwas abgebaut wird und sich zugleich wieder gute Einstiegschancen bieten.
Einen solchen hatten wir zum Jahreswechsel beim Dow Jones gesehen. Immerhin ging es damit in sechs Wochen um fast 8 % abwärts (ich berichtete). Dabei kam es auch zu einem klaren Abwärtstrend, was ein sehr wichtiges Element ist, um eine charttechnisch überkaufte Situation abzubauen.
Doch die Kursverluste wurden mit einem Anstieg um fast 8 % binnen nur zwölf Handelstagen (siehe dazu auch "Darum stehen die Kurserholungen auf wackeligen Beinen") bzw. inzwischen mehr als 8 % nach nur 15 Handelstagen viel zu schnell wieder aufgeholt, so dass schon wieder eine überkaufte Marktlage vorliegt.
Und der Zollschock hat den Dow Jones lediglich auf das Tief vom Montag vergangener Woche zurückgeführt, womit er wieder nur das 61,8%-Fibonacci-Retracement seiner mehr als sechswöchigen Abwärtsbewegung von oben angelaufen und es zum zweiten Mal als Unterstützung genutzt hat. Ein bärisches Signal wurde dadurch verhindert.
Nasdaq 100: Längere Abwärtstrends sind schon lange her
Bei Technologieaktien wartet man auf einen längeren Abwärtstrend derweil seit einem rekordverdächtigen Zeitraum vergebens. Die letzte große Korrektur endete am 5. August nach Kursverlusten von 15,7 %. Seitdem gab es in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten stets nur kurze Rücksetzer, da immer wieder die derzeitige "buy the dip"-Mentalität zum Tragen kam. Dadurch wurden in allen Fällen Kursverluste sehr schnell aufgeholt.
Aktuell bildet sich bei dem US-Technologieindex eine volatile Seitwärtskonsolidierung (gelbes Rechteck). Diese gilt als trendbestätigend, so dass bald wieder mit steigenden Kursen, inklusiver neuer Hochs, zu rechnen ist. Damit scheint eine größere Korrektur weiterhin nicht in Sicht.
Man muss aber zunächst abwarten, ob sich die Kurse weiter aus- bzw. einpendeln – wovon ich aktuell ausgehe – und in welche Richtung sie dann in eine neue Trendbewegung gehen. Ein deutlicher Kursrutsch unter das Hoch vom 10. Juli bei 20.690,97 Punkten könnte den Index doch in eine größere Korrektur führen, die längst überfällig ist.
Panik ist ein schlechter Ratgeber
Jedenfalls hilft mit Blick auf das aktuelle Geschehen und das wilde Auf und Ab am Aktienmarkt (siehe auch folgender Chart) kein Jammern.
Stattdessen muss man sich mit den Gegebenheiten abfinden. Und da kann ein Rat, nicht in Panik zu verfallen, wie ihn Torsten Ewert gestern gegeben hat, Gold wert sein (siehe "Warum Du jetzt nicht in Panik verfallen darfst!"). Denn sonst hätte man angesichts der starken Kursverluste womöglich einige Aktien zu deutlich tieferen Kursen verkauft, nur um wenig später zusehen zu müssen, wie sie wieder steigen.
Von den Stockstreet-Börsenbriefen wurde gestern übrigens keine einzige Eilmeldungen verschickt. Es wurden also keine übereilten Änderungen an den Depots vorgenommen. Denn man musste erst einmal mit kühlem Kopf möglichst genau abschätzen, wie groß der Schaden durch Zölle eigentlich hätte werden können.
Annahmen zu den Auswirkungen von Zöllen
Die Einschätzungen des ifo-Instituts hatte ich oben bereits erwähnt. Reuters berichtete gestern aber auch schon über ein Modell des EY-Chefvolkswirts Greg Daco, wonach das US-Wachstum in diesem Jahr durch die Zölle und Gegenzölle um 1,5 Prozentpunkte hätte geringer ausfallen können. Das wäre durchaus ein relativ großer Schaden. Und Kanada und Mexiko wären nach dem Modell sogar in eine Rezession gerutscht.
Reuters nannte aber auch weit weniger dramatische Zahlen: Aus Sicht der Strategen von Barclays hätten die Zölle und Gegenzölle die Gewinne der S&P-500-Unternehmen womöglich um 2,8 % belastet. Und 2,8 % weniger Gewinn klingt in meinen Ohren nicht sonderlich dramatisch.
Komplexe und dynamische Systeme sind kaum einzuschätzen
Da die Weltwirtschaft aber ein sehr komplexes und dynamisches System ist, sind solche Annahmen nie in Stein gemeißelt. Fakt ist lediglich: Die Unsicherheit ist nun sehr hoch, auch wenn sich dies im Verhalten der Anleger aktuell kaum widerspiegelt. Doch jederzeit kann eine neue Meldung die Kurse wieder in die eine oder andere Richtung stark ausschlagen lassen. Daher könnte es Sinn machen, zumindest einige Schäfchen ins Trockene zu bringen bzw. einige Chips vom Tisch zu nehmen, das Risiko im Depot also zu reduzieren und durch Gewinnmitnahmen eine höhere Cashquote zu generieren.
Beispiel: Beim Stockstreet-Börsenbrief "HighTech-Trader" wurden gestern Aktien von Zalando verkauft, weil sie seit dem Kauf in nur drei Wochen um +26 % gestiegen sind. Solche Werte sind auch ohne Zollrisiken anfällig für eine Korrekturbewegung.
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