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12:09 Uhr, 28.07.2022

Yale-Studie: Dem Energiezar Putin geht das Gas aus

Westliche Medienkommentare legen nahe, dass Russland seine Energieressourcen nutzt, um den Rest der Welt in Geiselhaft zu nehmen. In einer Studie von Autoren der Uni Yale wird mit diesem Narrativ aufgeräumt. Moskaus Aktionen sägen vielmehr die eigene Wirtschaftskraft ab und untergraben den Status als Energieexporteur.

Jeffrey Sonnenfeld und Steven Tian von der amerikanischen Eliteuniversität Yale üben in ihrer Studie „Business Retreats and Sanctions are Crippling the Russian Economy“ Kritik an der Art und Weise, wie im Westen mit selektiv gestreuten Daten aus Russland umgegangen wird. Die Berichterstattung und Medienkommentare seien voll von Fakten freien Spekulationen und ahnungsvollen Bildern eines gewieften, grinsenden, triumphierenden Wladimir Putin, der den Westen zersplittere, heißt es darin. Viele dieser Stimmen implizierten, dass Putin in Energiefragen die Position des großen Puppenspielers innehabe, der über einen enormen wirtschaftlichen Einfluss auf den Rest der Welt verfüge. Schwache westliche Regierungen würden dabei angeblich vor sich hindämmern, seien sich untereinander uneins oder stürzten die westlichen Nationen in eine von Russland verursachte Rezession.

„Es ist nicht erstaunlich, dass sich diese Missinterpretationen halten“, schreiben die Yale-Autoren. Seit der Invasion in die Ukraine sei die Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten und Statistiken durch den Kreml gesteuert, ungünstige würden zurückgehalten und nur solche veröffentlicht, die vorteilhaft aussähen. Diese würden dann durch die Medien verbreitet und von oberflächlich vorgehenden Experten verwendet, die den Kreml gut dastehen ließen. „Echte Energieexperten haben darauf hingewiesen, dass hinter Putins energiepolitischen Machenschaften keine kohärente, oder brillante Wirtschaftsstrategie steckt, zumal die russische Wirtschaft gerade implodiert und sich Russlands Status als Energieexporteur deutlich verschlechtert“, betont das Sonnenfeld-Team.

Eine harsche Kritik der Forscher aus Yale. Sie haben für ihre These Daten zum russischen Konsum, von russischen Handelspartnern und aus dem Schiffsverkehr ausgewertet und analysiert.

Der Yale-Autor und sein Team zitieren in ihrer Studie auch andere Fachleute, die ihre These stützen: „Wie der Energiewissenschaftler Dan Yergin schrieb, ‚hat Putin in nur wenigen Wochen die internationalisierte Wirtschaft, die er seit mehr als zwanzig Jahren aufgebaut hat, ebenso zerstört wie den Ruf, den Russland als zuverlässiger Lieferant kultiviert hat...., was er getan hat, ist, Russlands wichtigste Quelle wirtschaftlicher Macht zu untergraben und zu entwerten‘. Kurz gesagt, Putin hat sich „gewaltig verkalkuliert", oder wie die Experten Jason Bordoff und Megan O'Sullivan es ausdrücken, die ganze Übung war ‚Für Putin wirtschaftlich selbstschädigend‘“.

Aus rein wirtschaftlicher Sicht braucht Putin laut Sonnenfeld die europäischen Märkte weit mehr als die Welt die russischen Energielieferungen. „Im vergangenen Jahr importierte Europa 46 Prozent seiner Energie aus Russland, aber Russland exportierte 83 Prozent seiner Energie nach Europa“.

Trotz Putins viel gepriesener „Hinwendung zum Osten", um den verlorenen, einstigen Hauptmarkt Europa zu ersetzen, erzielten die asiatischen Länder mit überschüssigem russischen Öl einen Preisnachlass von 35 Dollar, heißt es in der Studie weiter. Gleichzeitig könne Russland kaum Erdgas aus Europa umleiten, da 90 Prozent seiner bestehenden Pipeline-Infrastruktur nach Europa und nicht nach Asien flössen. Es gebe nur eine einzige in Betrieb befindliche Gaspipeline von Russland nach China oder Indien.

„Putin scheint darauf zu setzen, dass die Entschlossenheit der westlichen Demokratien geschwächt wird und schließlich zerbricht, wenn er den besorgten Wählern schwierige wirtschaftliche Kompromisse, Preisdruck und vorübergehende Versorgungsunterbrechungen aufzwingt und die Länder gegeneinander ausspielt. Es scheint auf der zynischen und durchsichtigen Annahme zu beruhen, dass das autoritäre Regime in Russland besser in der Lage ist, lähmenden wirtschaftlichen Schmerz zu ertragen, der bereits um ein Vielfaches schlimmer ist als alles, was der Westen erlebt hat“.

Aus Sicht des Sonnenfeld-Teams stellt diese Strategie einen Trugschluss ohne Gleichen dar - mit unabwendbar negativen Folgen für Russland: Putins schwindende Energiemacht sei nur eine Dimension eines systematischen Zusammenbruchs der russischen Wirtschaft, schreiben die Autoren weiter. So seien die russischen Importe in ihrer Breite weggebrochen. Sogar die Einfuhren von „Freund“ China seien deutlich zurückgegangen. Das Land stehe vor massiven Herausforderungen in der Beschaffung von Gütern und Technologin, was die heimische Wirtschaft austrockne.

Unterschätzt würden zudem die Folgen des Rückzugs von rund 1.000 westlichen Unternehmen. Damit würden die ausländischen Investitionen der vergangenen drei Jahrzehnte rückgängig gemacht, begleitet von einer noch nie dagewesenen Flucht von Kapital und Arbeitskräften.

Diesen Schwierigkeiten begegnet das Regime im Kreml aus Sicht der Autoren wenig angemessen. Putin wolle die ökonomischen Auswirkungen seiner verheerenden Politik mit einer massiven Expansion Fiskal- und Geldpolitik abfedern. Dies habe bereits zu einem hohen Staatsdefizit geführt und die Devisenreserven um 75 Mrd. Dollar geschmälert. Zudem habe das Land keinen Zugang mehr zum ausländischen Kapitalmarkt.


Das deutliche Resümee der Autoren: Die einzige Möglichkeit, einem autoritären Tyrannen wie Putin die Stirn zu bieten, besteht darin, in kollektiver Opposition geeint zu bleiben“.