Fundamentale Nachricht
15:42 Uhr, 20.01.2021

WTI: Wie kam es zu dem beispiellosen Preissturz im April 2020?

Der 20. April 2020 ging in die Geschichte des Ölmarktes ein. Die US-Referenzsorte WTI verlor im Laufe des Handelstages fast 60 Dollar/Barrel an Wert und stürzte bis nahezu -40 Dollar/Barrel in den negativen Bereich ab. Wie konnte es soweit kommen? Erklärungen gibt es viele, keine ist so richtig überzeugend.

New York (Godmode-Trader.de) - Am 20. April vergangenen Jahres war der Preis für ein Barrel US-Leichtöl der Sorte WTI im New Yorker Handel bis auf fast minus 40 Dollar abgesackt. Erstmals in der Geschichte dieses Marktes mussten Verkäufer Geld dafür bezahlen, dass ihnen jemand den Schmierstoff abnahm. Die Turbulenzen endeten zwar bereits einen Tag später, als WTI wieder in den positiven Bereich zurückkehrte. Doch es blieben viele Fragen offen, wie es zu dem beispiellosen Absturz gekommen war.

Ende vergangenen Jahres veröffentlichte die Commodity Futures Trading Commission (CFTC) einen Bericht über das bis dato beispiellose Ereignis. Der Report identifizierte drei fundamentale und mehrere technische Faktoren, die zu dem Einbruch der Öl-Benchmark beigetragen haben. Unter den fundamentalen Faktoren identifizierte die CFTC das massive Überangebot auf den globalen Ölmärkten, das sich mit einem herben Nachfrageknick infolge der pandemiebedingten Lockdowns und der Sorge um einen Mangel an Lagerkapazitäten auf ungute Weise verknüpfte.

Zu den technischen Faktoren zählte die Kommission das überdurchschnittlich hohe Interesse an WTI in der Nähe des Verfallsdatums für den Mai-Kontrakt und einen Rückgang der Liquidität dieses Kontrakts. Die Behörde wies darauf hin, dass an dem relevanten Handelstag, dem 20. April 2020, entsprechende Kontrollmechanismen an den Börsen aktiviert worden waren, aber selbst diese hätten nicht ausgereicht, um den Abfall zu stoppen. „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine Vielzahl von Faktoren zusammenkam, die am und rund um den 20. April 2020 dazu führten, dass die Preise des WTI-Kontrakts von 17,73 Dollar je Barrel zu Beginn der Handelssitzung abfielen, um schließlich bei minus 37,63 Dollar/Barrel zu landen", schrieb die CFTC in ihrem Bericht.

Die Kritik an dem Report ließ nicht lange auf sich warten. Die Agentur Reuters vermutete, dass das Verhalten eines oder mehrerer Händler zur übermäßigen Volatilität des US-Ölkontrakts beigetragen haben könnte. Auch Mitglieder der CFTC selbst zeigten sich mit den Ergebnissen des Berichts nicht rundherum zufrieden. Zitat aus einem Kommentar des Commissioners Dan M. Berkowitz zu dem CFTC-Report: „Der Bericht ist unvollständig und unzureichend. Es wird dabei versäumt, die Ursache für den beispiellosen Preissturz des WTI-Futures-Kontrakts und die Divergenz zu den physischen Märkten am 20. April, dem vorletzten Handelstag des Mai-Kontrakts, zu ermitteln. Stattdessen enthält der Bericht eine allgemeine Darstellung der wirtschaftlichen Bedingungen in den Wochen und Tagen vor dem 20. April und bietet lediglich Statistiken zum Handel an diesem Tag. Leider liefert der Report der Öffentlichkeit keine angemessene Erklärung für den außergewöhnlichen Preiseinbruch am 20. April.“

Wird jemals konkret ermittelt werden, was genau am 20. April 2020 im Zusammenhang mit dem WTI-Ölpreis vonstatten ging? Die Frage bleibt wohl unbeantwortet, ebenso wie die Möglichkeit, dass die zuständigen Regulierungsbehörden den Ereignissen weiter auf den Grund gehen. Was die Frage betrifft, ob eine Wiederholung der Ereignisse vom 20. April möglich ist, gilt es zu beachten, dass der fundamentale Rahmen für den Ölmarkt im Frühjahr vergangenen Jahres historisch einmalig war. Eine Wiederholung dieser unguten Gemengelage und vor allem des damit verbundenen Überraschungsmoments ist ziemlich unwahrscheinlich. Obwohl eine übermäßige Volatilität an den Ölmärkten immer möglich ist, ist ein weiterer Sturz der Ölpreise weit in den Minusbereich im Grunde auf absehbare Zeit auszuschließen, selbst ohne strukturelle Änderungen an der Art und Weise des Handels mit Rohstoff-Futures.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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