Kommentar
12:50 Uhr, 12.07.2022

Wie dringend ist eine EZB-Intervention?

Die Eurozone befindet sich wieder einmal am Rand einer großen Krise. Die Zeit läuft davon, die Krise noch abzuwenden.

Erwähnte Instrumente

  • EUR/USD
    ISIN: EU0009652759Kopiert
    Kursstand: 1,00140 $ (FOREX) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • EUR/USD - WKN: 965275 - ISIN: EU0009652759 - Kurs: 1,00140 $ (FOREX)

Die Sorge der EZB vor einem Auseinanderdriften der Eurozone ist groß und die Sorge ist berechtigt. Höhere Renditen bei Staatsanleihen in hochverschuldeten Ländern sind zwar angemessen, doch wenn die Zinsen zu hoch sind, kann es schnell zu einer Wiederholung der Schuldenkrise kommen. Die EZB hat daher ein Interesse daran, dass sich die Renditen der einzelnen Länder nicht zu stark unterscheiden. Bis zur Einführung des Euro näherten sich die Renditen der Euroländer immer weiter an und waren bis Anfang 2008 kaum voneinander zu unterscheiden. Der Aufschlag für italienische Anleihen zu deutschen war minimal (Grafik 1). Seit der Finanzkrise besteht eine merkliche Differenz.


Die EZB bezweifelt nicht, dass eine solche Differenz angemessen ist. Italien ist höher verschuldet als Deutschland. Das darf vom Finanzmarkt abgebildet werden. Gerät der Markt jedoch in Panik, geschieht genau das, was in der Euroschuldenkrise geschah. Die Zinsen steigen immer weiter an und erreichen ein Niveau, welches mittelfristig zum Bankrott führt. Je höher der Schuldendienst ist, desto geringer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Schulden bedient werden können.

Um das und damit einen wirtschaftlichen Zusammenbruch der Eurozone zu verhindern, will die EZB intervenieren, wenn Renditen vom fundamental gerechtfertigten Niveau abweichen. So gut gemeint das ist, es ist in der Praxis nicht leicht umzusetzen. Die Geldpolitik soll gestrafft werden. Werden gleichzeitig Anleihen gekauft, wirkt das gegensätzlich. Man kann die Geldpolitik nicht straffen, indem man den Markt mit Geld durch Anleihekäufe überflutet.

Da kommt es gelegen, dass die EZB unter den beiden Kaufprogrammen (Pandemieprogramm PEPP und Quantitative Easing PSPP – Public Sector Purchase Programme) vom Kapitalschlüssel abgewichen ist. Unter den Kaufprogrammen wurden z.B. von Deutschland mehr Anleihen erworben, als dies unter dem Kapitalschlüsse notwendig gewesen wäre.

In einer Krise kann die EZB die überschüssigen deutschen Anleihen auslaufen lassen oder verkaufen und mit dem frei werdenden Geld z.B. italienische Anleihen kaufen, ohne den Kapitalschlüssen zu Lasten von Deutschland zu unterwandern. Der EZB stehen so theoretisch knapp 100 Mrd. zur Verfügung, um am Anleihemarkt zu intervenieren.


100 Mrd. ist zwar viel Geld, aber im Ernstfall wird es nicht ausreichen. Damit eine Zentralbank glaubwürdig ist und einen Markt verteidigen kann, muss ihr Instrument unbegrenzt sein. Ist im Vorfeld klar, dass ihr das Geld ausgehen wird, ist der Anreiz groß, gegen die Notenbank zu wetten.

Politisch besteht über unbegrenzte Käufe keine Einigkeit. Zum einen muss das neu geschaffene Geld an anderer Stelle wieder aus dem Markt abgezogen werden ("Sterilisation"). Ansonsten wird die Geldpolitik gleichzeitig gestrafft und gelockert. Zum anderen ist nicht klar, ob die EZB mit unbegrenzten Käufen, um Renditen zu begrenzen, nicht in die Staatsfinanzierung einsteigt.

Wissen Regierungen zudem, dass die EZB im Notfall sämtliche Anleihen aufkauft, ist die Verlockung groß, die Haushaltsdisziplin aufzugeben. Es braucht daher klare Regeln. Klare Regeln, die von Regierungen Reformen und Haushaltsdisziplin im Gegenzug zu Anleihekäufen verlangen, dürften von Politikern abgelehnt werden. Sie würden wie beim letzten Mal lieber auf Hilfe verzichten. In diesem Fall steigen die Renditen so lange, bis die EZB gezwungen ist, zu intervenieren.

Das Dilemma ist groß. Politisch regt sich viel Widerstand. Die Sache eilt jedoch. Der Stress auf dem Anleihemarkt ist groß (Grafik 3). Ohne eine glaubwürdige Lösung ist die Eurokrise schneller zurück als man denkt.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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