Fundamentale Nachricht
11:51 Uhr, 11.03.2021

Von „Super-Apps“, künstlicher Intelligenz und Digitalwährungen

Guy de Blonay, Fondsmanager des Jupiter Financial Innovation SICAV, und Antoine Hucher, Analyst für Aktien im Finanz- und Innovations-Team bei Jupiter Asset Management, sieht große Chancen im Fintech-Bereich.

Finanzinnovationen verändern die Welt, in der wir leben. In der Finanzdienstleistungsbranche herrscht das Bewusstsein, dass ein stärkeres Augenmerk auf Innovationen erforderlich ist, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern – besonders in einem Umfeld, das diejenigen, die sich als Gewinner erweisen, schnell belohnt und strukturell benachteiligte Akteure rasch abstraft. Wir befinden uns jedoch erst in der Frühphase der Digitalisierung, in der noch jede Menge Wachstumspotenzial besteht. Für Anleger können Disruptionen attraktive Chancen bieten.

Fintech-„Super-Apps“ auf dem Vormarsch

Traditionelle Zahlungsabwickler richten den Blick über ihr Kerngeschäft der Transaktionsverarbeitung hinaus und bieten eine zunehmend breitere Palette von Finanzdienstleistungen an. So nutzt Ant Financial in China beispielsweise die eine Milliarde starke Nutzerbasis von AliPay, um eine breite Palette von Finanzdienstleistungen zu verkaufen – von Krediten über Versicherungsverträgen bis hin zu Vermögensverwaltungsprodukten. Im Jahr 2019 machte das digitale Finanzgeschäft der Gruppe 56 Prozent ihrer Umsätze aus. Obwohl der Börsengang des Unternehmens im vergangenen Jahr aufgrund regulatorischer und wettbewerbsrechtlicher Bedenken gestoppt wurde, sind wir der Auffassung, dass Ant Financial den Weg bereiten wird, den künftig weitere Unternehmen beschreiten werden.

Wir gehen davon aus, dass die Verknüpfung von Zahlungs- und Finanzdienstleistungen auch in den Industrieländern an Boden gewinnen wird. Anders als in China sind digitale Wallets in den USA und Europa, wo die Ökosysteme von Visa und Mastercard vorherrschen, noch nicht sehr weit verbreitet. Vor diesem Hintergrund scheinen nur sehr wenige Firmen über die nötige Nutzerbasis, Markenstärke und das erforderliche Ökosystem zu verfügen, um sich zu Fintech-„Super-Apps“ zu entwickeln.

Eine der wenigen Ausnahmen, die für uns hervorsticht, ist dabei PayPal mit seinem Netzwerk aus nahezu 350 Millionen Benutzern und 30 Millionen Händlern. Das Unternehmen hat in den vergangenen Jahren viele neue Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit Online-Krediten, Digital Banking und Kryptowährungen auf den Weg gebracht. Der Erfolg dieser neuen Dienstleistungen spiegelt sich bereits in den Zahlen wider: Trotz des harten Wettbewerbs geht das Unternehmen für dieses Jahr von einem Umsatzwachstum von 19 Prozent gegenüber dem Vorjahr aus.

Künstliche Intelligenz als zentraler Wegbereiter für Finanzinnovation – und Inklusion

Mehr als drei Viertel aller Finanzinstitute sind überzeugt, dass künstliche Intelligenz (KI) in den kommenden zwei Jahren entscheidend für ihr Unternehmen sein wird. Besonders im Kreditsektor wird KI voraussichtlich für tiefgreifende Umwälzungen sorgen. In der Regel wählen Banken mit Kreditgeschäft potenzielle Kreditnehmer auf der Grundlage ihrer Kredithistorie aus. Anschließend beurteilt ein Kreditsachbearbeiter die Umstände jedes einzelnen Antragstellers manuell. Dieses Modell hat jedoch einige Haken. Eine Prüfung der Bonität eignet sich nur für Personen mit einem Bankkonto und einer Kredithistorie. Zudem bedeuten die mit dem Vergabeprozess verbundenen Kosten, dass Kleinkredite oftmals unrentabel sind. Insgesamt führt dies zu einer mangelhaften Kreditverfügbarkeit. Obwohl beispielsweise in den USA vier von fünf Personen noch niemals einen Kreditausfall verzeichnet haben, qualifizieren sich weniger als die Hälfte von ihnen für die Angebote mit den besten Zinsen.

Unserer Ansicht nach werden KI-Lösungen es ermöglichen, die Genauigkeit der Bonitätsprüfung durch komplexe Modelle zu verbessern, die Tausende von Datenpunkten wie den Bildungshintergrund und den beruflichen Werdegang des Kreditnehmers berücksichtigen. Zudem dürfte KI künftig eingesetzt werden, um den Kreditvergabeprozess zu automatisieren, wodurch sich die Rentabilität von Kleinkrediten deutlich erhöhen würde. Auch vom gesellschaftlichen und ESG-Standpunkt betrachtet haben KI-Anwendungen Vorteile. Im Endeffekt dürften sie unserer Einschätzung nach zu günstigeren Krediten und somit zu höherer finanzieller Inklusion führen. Darüber hinaus ist der potenzielle Zielmarkt für Unternehmen, die sich erfolgreich anpassen können, gewaltig. So vergaben allein in den USA Geschäftsbanken im Juni 2020 neue Kredite mit einem Gesamtvolumen von 15 Bio. US-Dollar.

Für Fintech-Unternehmen bietet KI unseres Erachtens zweierlei Chancen. Erstens können sich Fintech-Unternehmen direkt bei geschäftlichen Aktivitäten wie die Vergabe von Privat- und Mikrokrediten engagieren, häufig unterstützt durch traditionelle Finanzinstitute, die die Finanzierung der Darlehen übernehmen. In den USA beispielsweise kontrollierten Fintech-Unternehmen im 2018 fast 39 Prozent des Marktes für unbesicherte Privatdarlehen – gegenüber lediglich 7 Prozent im Jahr 2013. Zweitens können Fintech-Unternehmen in anderen Untersegmenten des Kreditmarkts, in denen sie selbst eine geringere direkte Präsenz aufweisen, etwa bei der Vergabe von Autokrediten oder Hypotheken, für einen Innovationsschub sorgen, indem sie moderne KI-Lösungen für traditionelle Finanzinstitute wie Banken und Kreditgenossenschaften anbieten.

Digitale Währungen sind nicht mehr wegzudenken

Krypto- und Digitalwährungen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, wie der enorme Anstieg des Bitcoin-Preises 2020 und im bisherigen Jahresverlauf belegt. Die Gesamt-Marktkapitalisierung von Kryptowährungen erreichte im Februar nahezu 1,5 Billionen US-Dollar. Crypto Fund Research schätzt zudem, dass das kumulative verwaltete Vermögen von Kryptowährungsfonds von 5,6 Mrd. US-Dollar im ersten Quartal 2018 auf 25,1 Mrd. US-Dollar im dritten Quartal 2020 gewachsen ist. Kryptowährungen sind hoch volatil und die Identifizierung der zugrunde liegenden Preistreiber kann sich schwierig gestalten. Wir räumen jedoch ein, dass sie Vorteile für Unternehmen und Verbraucher mit sich bringen – etwa geringere Handelsgebühren, sichere und in Echtzeit durchgeführte Transaktionen sowie einen länderübergreifenden universellen Zugang. Auch für die Anleger sind sie aufgrund der geringen Korrelation mit allen anderen Anlageklassen attraktiv. In gewissem Maße können Kryptowährungen mittlerweile als aufstrebende Alternative f��r Diversifizierungszwecke betrachtet werden.

Der Ratschlag, während eines Goldrauschs Schaufeln zu verkaufen, lässt sich auch auf Digitalwährungen anwenden. Um den Handel mit diesen Währungen zu ermöglichen, sie zu versichern und zu speichern, ist ein komplettes Ökosystem von Finanzdienstleistungs- und Finanztechnologieanbietern erforderlich. Derzeit werden bereits Ökosysteme dieser Art entwickelt, und eine Reihe qualitativ hochwertiger Unternehmen ermöglichen bereits ein indirektes Engagement – darunter Square und PayPal, die ihren Nutzern die Zahlung mit Bitcoins anbieten. Auch Mastercard hat in diesem Jahr bekannt gegeben, mit der Unterstützung von Kryptowährungen in seinem Netzwerk zu beginnen. Auf der Ebene der Institute hat JP Morgan im vergangenen Jahr seine eigene Digitalwährungs- und Blockchain-Gesellschaft Onyx gestartet. Auch die InterContinental Exchange verfügt mit Bakkt über eine eigene Börse für Digitalwährungen, deren Börsengang in den kommenden Monaten erwartet wird.

Anhaltende Beschleunigung von Finanzinnovationen bietet langfristig attraktive Chancen

Ein kräftiger Mix von Anreizmaßnahmen dürfte unserer Einschätzung nach für eine äußerst solide Wirtschaftserholung sorgen. Diese wird voraussichtlich von einem Anstieg der Inflation und höheren Anleihenrenditen begleitet, was wir jedoch für einen angemessenen Preis halten, da die Vollbeschäftigung weiterhin höchste Priorität für die US-Notenbank hat. Das Tauziehen zwischen stärkerem Wirtschaftswachstum und höheren Anleiherenditen wird 2021 den wichtigsten Kampfschauplatz darstellen. Dabei wird entscheidend sein, anpassungsfähig, flexibel und proaktiv zu bleiben.

Seit November vergangenen Jahres haben wir die Allokation unserer Strategien in traditionellen Finanzwerten in Bereichen wie z. B. europäische Banken schrittweise ausgeweitet. Kapitalrenditen über dem Konsens, steigende Gewinne pro Aktie und eine Verbesserung der Ertragsprognosen ab 2022 sind allesamt potenzielle Katalysatoren für einen Sektor, der trotz jüngster Kursgewinne noch im Mittelfeld seiner historischen Spanne gehandelt wird. Die Kapitalrenditepläne von UBS und Nordea, die beide in den Strategien gehalten werden, gehören zu den bemerkenswertesten in Europa.

Wir gehen zudem davon aus, dass die durch die Pandemie ausgelöste Verhaltensänderung und die Beschleunigung von Finanzinnovationen anhalten werden. Es bestehen weiterhin erhebliche langfristige Chancen, wobei nicht übersehen werden sollte, dass langfristige Technologieaktien möglicherweise neu eingepreist werden müssen, wenn es zu einer anhaltenden Zinssteigerung kommt.

Elektronische und Online-Zahlungssysteme waren die ersten Themen, die wir im Anlageuniversum der Finanzinnovationen identifiziert haben, und sie verfügen nach wie vor über großes Wachstumspotenzial. So werden beispielweise in Italien noch fast 70 Prozent aller Zahlungen in bar abgewickelt. Für die Zukunft beabsichtigen wir zudem, neu entstehende Subsegmente wie Fintech-Plattformen, KI, Online-Kreditvergabe, Krypto- und Digitalwährungen stärker ins Auge zu fassen. Unsere Strategien investieren in Unternehmen, die unserer Einschätzung nach stark von diesen Trends profitieren dürften.

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