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10:39 Uhr, 09.11.2020

Türkei: Erdogans Schwiegersohn tritt als Finanzminister mitten in der Krise ab

Die Türkei steckt in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Die türkische Währung leidet seit Monaten unter einem rasanten Wertverfall. Nun trat der Finanzminister zurück und die Regierung tauschte den Notenbankchef aus. Der neue Gouverneur hat sich den Kampf gegen den weiteren Verfall auf die Fahnen geschrieben.

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Ankara (Godmode-Trader.de) - Wollte er nicht, oder konnte er nicht mehr? War der Druck zu hoch? Der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan ist vom Posten als Finanzminister zurückgetreten und teilte dies der Welt per Instagram mit. Er könne aus gesundheitlichen Gründen nicht weitermachen, schrieb der erst 42-jährige Berat Albayrak von der Regierungspartei AKP. „Nachdem ich fast fünf Jahre auf Ministerposten gedient habe, habe ich die Entscheidung getroffen, mein Amt wegen gesundheitlicher Probleme nicht weiter auszuüben.“ Unklar ist noch, ob Erdogan den Rücktritt auch annimmt. Im Frühjahr hatte dieser schon einmal den selbst ernannten Rücktritt des Innenministers nicht anerkannt.

Die Türkei steckt in einer tiefen Krise und der Finanzminister war/ist der Krisenmanager. Die Währung Lira leidet seit Jahren unter einem massiven Wertverfall. Am Freitag erreichte die Lira im Handel mit dem US-Dollar erneut ein Rekordtief. Für einen Dollar mussten zeitweise 8,576 Lira gezahlt werden; das sind rund 49 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Ein Euro kostete zuletzt zeitweise fast 10,18 Lira; das entspricht einem Plus von rund 60 Prozent binnen Jahresfrist.

Auf längere Sicht ist der Wertverfall noch dramatischer: In den letzten drei Jahren stiegen Dollar und Euro im Verhältnis zur türkischen Lira um 130 Prozent. 2002, als die AKP an die Regierung kam, betrug die Auslandsverschuldung der Türkei 114 Mrd. Dollar. Sie liegt heute bei 421 Mrd. Dollar.

Ein ungutes Potpourri aus wirtschaftlichen und politischen Belastungsfaktoren setzt der Lira zu. Zum einen lasten die zahlreichen militärischen Konflikte, in die die Türkei involviert ist, wie in Syrien oder Libyen, auf dem Kurs. Insbesondere stößt aber das erratische Handeln des Präsidenten Erdogan (Stichwort ‚Boykott französischer Produkte nach Aussagen des Präsidenten Macron zur Meinungsfreiheit in seinem Land‘) internationalen Investoren übel auf und lässt sie auf Abstand gehen.

Ökonomisch betrachtet ist die hohe Inflation im Lande ein Problem für die Lira. Beispiel: Der Verkauf von Nudeln, einem der günstigsten Nahrungsmittel, stieg in den vergangenen Zwölf Monaten um 25 Prozent. Einer Studie zufolge reicht in 38 Prozent der Haushalte das Geld nicht mehr für den Lebensmittelbedarf aus. Die offizielle Rate liegt derzeit bei knapp zwölf Prozent.

Die Zentralbank kämpft gegen die Teuerung an, allerdings nicht mit letzter Konsequenz. Der Realzins, der Leitzins abzüglich der Inflationsrate, ist immer noch negativ. Anleger verlieren also Geld, wenn sie in die Lira investieren. In der Nacht zu Samstag hat Erdogan nun ohne Begründung den Zentralbank-Chef Murat Uysal aus dem Amt geschmissen. Sein Nachfolger ist Naci Agbal, der von 2015 bis 2018 Finanzminister des Landes war.

Uysal war erst im Sommer 2019 installiert worden, nachdem sein Vorgänger Murat Cetinkaya den Anweisungen Erdorgans zum Leitzins nicht nachgekommen war, wie es damals zur Begründung geheißen hatte. Erdogan hatte die von Fachleuten verlangten Zinserhöhungen zur Bekämpfung der Inflation immer abgelehnt. Cetinkaya kam dem nicht ausreichend nach, eben weil er einen weiteren Währungsverfall fürchtete und auf die Unabhängigkeit der Notenbank pochte.

Auch der neue Notenbankgouverneur hat sich den Kampf gegen den weiteren Verfall der türkischen Lira auf die Fahnen geschrieben. Die Lira reagierte schon mal mit Aufschlägen auf deie Ankündigung. „Notwendige geldpolitische Entscheidungen werden unternommen", teilte Agbal in einer am frühen Montagmorgen veröffentlichten Stellungnahme mit. Die Notenbank werde alle politischen Instrumente entschlossen einsetzen, um das Ziel der Preisstabilität zu erreichen, versicherte der Währungshüter unmittelbar nachdem er das Amt übernommen hatte. Agbal machte außerdem deutlich, dass die angekündigten Maßnahmen wohl auf der kommenden Zinssitzung am 19. November beschlossen werden.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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