Türkei: Ein Opfer der Marktvolatilität
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Zürich (GodmodeTrader.de) - Für die Türkei war 2018 ein katastrophales Jahr. Durch das enorme Außenhandelsdefizit befand sich die türkische Lira im freien Fall. Die Folge war ein starker Anstieg der Kosten für Auslandsschulden von Unternehmen und Banken. Das Kreditwachstum brach daraufhin ein, während der Bauboom jäh endete und das Land in eine schwere Rezession rutschte, wie Paul McNamara, Investment Director für Schwellenländeranleihen bei GAM Investments, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.
„Viele Marktteilnehmer – auch wir – erwarteten, dass dieser Wachstumseinbruch die Grundlage für eine nachhaltige Erholung schafft. Die sehr deutliche Abschwächung der Binnennachfrage führte zu einem massiven Importrückgang, wohingegen die Währungsabwertung der Wettbewerbsfähigkeit enorm zugutekam und das hohe Leistungsbilanzdefizit der Türkei – das höchste aller Schwellenländer – in einen Überschuss verwandelte“, so McNamara.
Dies decke sich mit einem Muster, das immer wieder auch in anderen Schwellenländern festzustellen sei: Rezessionen seien ein probates Mittel, um ein hohes Defizit in der externen Zahlungsbilanz zu beseitigen. Zu Beginn dieses Jahres habe es geschienen, als würden sich die Devisenreserven erholen und als hätte die Inflation den Zenit erreicht. Zugleich sei die Wirtschaft zweifellos auf ein neues Gleichgewicht zugesteuert. Die Entscheidung der Zentralbank vom März, die Zinssätze nicht zu senken, sei als Bestätigung für die Fortführung einer orthodoxen Wirtschaftspolitik angesehen worden. Für Beruhigung habe auch gesorgt, dass der Bankensektor den sehr hohen Bestand an Konsortialkrediten durchgängig prolongieren konnte. So habe die Akbank – ein führendes privates Kreditinstitut – noch am Ende des Monats mit Erfolg 700 Millionen US-Dollar aufnehmen können, heißt es weiter.
„Dem Bekenntnis der Regierung zu einem orthodoxen politischen Kurs mit einer restriktiven Geldpolitik, um die Inflation unter Kontrolle zu bringen, mangelte es etwas an Stringenz. Während der steile Anstieg des Haushaltsdefizits in Anbetracht der niedrigen Staatsverschuldung und der Stärke des Abschwungs noch vertretbar erscheint, sind andere Aspekte der Wirtschaftspolitik beunruhigender“, so McNamara.
Während die Kreditvergabe durch private Banken stark abgenommen habe, habe der staatliche Bankensektor einen weitaus geringeren Rückgang verzeichnet. Staatliche Banken hätten zwar mehr Kredite vergeben, noch dazu in späteren Phasen des Booms, wiesen aber ein sehr viel geringeres Volumen an notleidenden Krediten aus als die privaten Banken. Zusammenfassend hätten diese beiden Fakten gezeigt, dass die staatlichen Banken dazu genutzt würden, von der Politik begünstigte Sektoren gegen eine Rezession abzuschirmen und zudem mehr Liquidität zu schaffen, als für ein Land mit derart niedrigen Währungsreserven wie der Türkei empfehlenswert sei. Die stark gesunkenen Währungsreserven deuteten unterdessen auf eine staatliche Intervention hin, die verhindern solle, dass die Währung ein Gleichgewichtsniveau finde, heißt es weiter.
„Als die Investoren Angst bekamen, versäumten es die Behörden, die Geldpolitik zum Beispiel durch Zinserhöhungen zu straffen. Stattdessen scheint die Regierung die türkischen Banken inoffiziell angewiesen zu haben, keine Kredite an Ausländer zu vergeben. Dadurch mussten Ausländer, die Lira benötigten um Transaktionen abzuwickeln, Kredite aus dem winzigen Lira-Bestand im Ausland aufnehmen. Die Folge war ein enormer Anstieg der Lira-Zinssätze im Ausland, die am 27. März bis auf 1300 % stiegen. Aber auch eine kurzzeitige Stabilisierung der Lira, da für Ausländer der Verkauf ausländischer Währungen die einzige noch verbliebene Möglichkeit war, Lira zu beziehen“, so McNamara.
In der Türkei selbst sei eine solch heftige Bewegung ausgeblieben. Selbst als die Lira-Sätze im Ausland und die Sätze für Währungsswaps weiter gestiegen seien, seien die Zinsen im Inland unverändert geblieben. Diese Turbulenzen drohten jedoch den Offshore-Markt für die türkische Lira zu beschädigen, die Liquidität an den Lira-Märkten zu verringern und türkische Institute von einer möglichen Finanzierungsquelle abzuschneiden. Das könnte wiederum die Regierung dazu bewogen haben einzulenken, woraufhin der Offshore-Tagesgeldsatz am 28. März auf relativ moderate 50 Prozent gesunken sei. Leider habe dies zu einem weiteren Rückgang der Lira geführt, sodass die Währung mehr als vier Prozent gegenüber dem US-Dollar verloren habe, heißt es weiter.
„Mit einer weiteren Normalisierung ist nun nach den Kommunalwahlen zu rechnen. Die unmittelbare Reaktion des Marktes auf die Wahlniederlage der regierenden AKP, insbesondere in Istanbul bzw. Ankara, fiel erwartungsgemäß negativ aus. Die Ereignisse von Ende März – darunter die Rückkehr von Präsident Erdogan zu seinem Steckenpferd, dass hohe Zinssätze Inflation verursachen – sind ein harter Schlag für jene von uns, die dachten, die Türkei würde den schmerzvollen Weg zur konventionellen Stabilisierung beschreiten“, so McNamara.
Man sei davon überzeugt, dass die Türkei in naher Zukunft dringend eine Rückkehr zu einer orthodoxen Politik signalisieren müsse, um das Finanzsystem des Landes zu stabilisieren. Die Lira dürfte – jedenfalls vorübergehend – weiter abwerten, doch die Veränderung der Zahlungsbilanz sollte vorteilhaft wirken. Falls die Regierung stattdessen eher ein Wachstum durch die Hintertür, also über die staatlichen Banken anstrebe, die Zentralbank zu Zinssenkungen überrede oder die bereits erzielten Fortschritte auf andere Weise gefährde, könnte dies ernste Konsequenzen haben. Man gehe zwar davon aus, dass die Türkei kein größeres staatliches Ausfallrisiko berge und auch kein erneuter Rückgang der Lira in der Größenordnung wie im Jahr 2018 zu befürchten sei, jedoch ließen die niedrigen Devisenreserven nur sehr wenig Spielraum für Fehler. Es sei nach wie vor nicht auszuschließen, dass es zur Katastrophe komme, heißt es weiter.
„Die wesentlichen Aspekte, die wir überwachen werden, sind das Gebaren der Politik, die Höhe der Währungsreserven und die Kreditvergabe der staatlichen Banken. Was den externen Sektor betrifft, würde die Türkei auf einen höheren Ölpreis sehr empfindlich reagieren. Zwar sind türkische Kapitalanlagen auf Basis sämtlicher Kennzahlen günstig bewertet und die Zahlungsbilanz ist – anders als im Vorjahr – in einer guten Verfassung, doch das Land wird wahrscheinlich nicht sehr lange ohne massive negative Folgen von einer orthodoxen Politik abweichen können“, so McNamara.
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