Kommentar
10:54 Uhr, 02.04.2014

Tradingpsychologie: Wir sind das System!

Die Welt ist systemisch. Und alles um uns herum ist in einem System eingegliedert. Das ist mit der Börse nicht anders

Im Beruf etwa gibt es Kollegen, Kunden, Projekte, es gibt einen obersten Chef, einen Vorgesetzten, einen Abteilungsleiter und viele gleichrangige Mitarbeiter. Die Verantwortlichkeiten sind aufgeteilt. Jeder ist mehr oder weniger für etwas zuständig.

Genauso ist es in der Familie: es gibt meist einen, der das Sagen hat, der mehr bestimmt als ein anderer. Vermutlich gibt es einen, der mehr oder weniger Geld verdient. Es gibt Kinder unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Geschlechts. Es gibt vielleicht ein Haustier, Freunde der Familie, Nachbarn.

Ein weiteres Beispiel: Im Strassenverkehr gibt es kleine Autos, große Autos, langsame, schnelle. Es gibt Autofahrerinnen und Autofahrer. Alle haben in dem System Strassenverkehr die selben Rechte und Pflichten. Rechtsfahrgebot, Standstreifen auf Autobahnen nicht befahren, links Überholen auf Autobahnen, Rechts-vor-links-Regelung, bei Rot hält man an der Ampel und so weiter.

Verändert sich ein Teil des Systems, verändert sich das gesamte System. Mal mehr - mal weniger. Würden sich zum Beispiel beim Autofahren einige Menschen dazu entscheiden das sie rückwärts fahren, würde der Verkehr schnell zum Stillstand kommen. Blieben die Rückwärtsfahrer alle sturr, würden immer mehr Verkehrsteilnehmer irgendwann rückwärts fahren. Würde sich die Mehrheit entscheiden ihr Auto rückwärts zu fahren, führen alle irgendwann rückwärts. Irgendwann wäre dann klar, dass das alte rückwärts nun das neue vorwärts ist!

Was hat das denn bitte mit Trading zu tun?

Nun, auch die Börse ist systemisch. Es gibt Aktiengesellschaften, Firmenanteile in Form von Aktien, es gibt Aktionäre, Investoren, Spekulanten, Trader. In dem Börsensystem gibt es weitere Systeme: Trader für Positionstrading, Swingtrading, Daytrading, Scalptrading. Es gibt Charts, Candlesticks, Barcharts, gleitende Durchschnitte unterschiedlichster Zahl und, und, und.

Alle Trader halten sich innerhalb dieses Systems auf und sind aktiv. Jeder in seiner Zeiteinheit. Dadurch entstehen Muster wie Bewegung und Korrektur, Ausbrüche, Unterstützungen, Widerstände, Seitwärtsphasen, Aufwärtsphasen, Abwärtsphasen, Trends.

Candlesticks bekommen eine Bedeutung. Sie lassen in ihrer Form erkennen wie Marktteilnehmer sich verhalten haben.

Verkauft ein Trader z.B. viele tausend Dax-Kontrakte auf einmal verändert sich der Markt. Das System verändert sich. Wird daraus ein Dominoeffekt kann es zu größeren Veränderungen am Markt kommen. Die Volatilität kann extrem steigen. Vielleicht so sehr, das der eine oder andere Daytrader seinen Handel einstellt. Entwickelt sich eine Panik sind Privatinvestoren oft nicht mehr bereit, ihr Geld in Aktien zu investieren. Begleitet wird die Situation von Negativnachrichten, die entsprechende Ängste schüren. Die Schärfe des Dominoeffekts wird noch dramatischer. Begonnen hatte hier alles mit dem Verkauf einer sehr großen Position.

Sie sehen, dass Veränderungen innerhalb eines Systems das ganze System gewaltig verändern können!

Worauf ich hinaus möchte, ist das System des Traders. Woraus könnte es bestehen?

Aus seinem Handelssystem, die Größe seines Handelskontos, die Verpflichtungen des Kontos. Muss er zum Beispiel davon leben? Seine Handelszeiten - wann kann er handeln. Seiner Persönlichkeit - ist er Scalptrader oder eher Positionstrader. Welche Ziele verfolgt der Trader mit seinem Handel an der Börse? Will er schnell reich werden, oder nur Spaß haben? Oder kompensiert er unbewusst mit dem Trading?

Verändert sich ein Teil des Systems, verändert sich auch hier alles. Nehmen wir als Beispiel einen Scalptrader. Scalptrading ist schnell und mit häufigen ausgestoppt werden verbunden. Ausserdem erfordert scalpen in der Regel direkte Präsenz am Computer und kurzfristige Flexibilität.

Kann das ein Trader nicht - oder nicht mehr - leisten und muss er sein System ändern, verändert er zum einen sein Handelssystem und damit verbunden Teile seines Verhaltenssystems. Das wiederum kann sein ganzes Tradingverhalten ändern und sogar seine Persönlichkeit.

Verändert sich seine Persönlichkeit, verhält er sich eventuell auch in manchen Situationen anders in der Familie, im Beruf, gegenüber seinen Freunden, im Strassenverkehr usw.

Wenn er sein Scalptrading-System verlässt und etwa ein Swingtrader wird, dann ist er mit neuen Aufgaben konfrontiert. Vielleicht hat er nun mehr Zeit zur Auswahl seiner Trades, was ihn ruhiger und weniger gestresst sein läßt.

Vielleicht verändert sich seine Rendite, vielleicht braucht er ein größeres Handelskonto um seine neue Stopptechnik einhalten zu können. Vielleicht sind die neuen langsamen Bewegungen auf Stunden- oder Tagebasis ungewohnt und eine Herausforderung.

Letztlich kann für das System "Trader" alles eine Veränderung bedeuten. Und diese Veränderung kann eine Veränderung im gesamten System zur Folge haben: verändert sich eins - verändert sich alles!

Die kleinste Veränderung kann dann sogar zu einem großen Dominoeffekt führen. Man sollte sich als Trader - und Mensch - darüber im Klaren sein, das wir nicht nur Systeme handeln, bzw in einem System handeln, sondern, dass wir das System sind!

Norman Welz

Experte für angewandte Tradingpsychologie

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Über den Experten

Norman Welz
Norman Welz
Experte für angewandte Tradingpsychologie

Norman Welz arbeitete 20 Jahre lang als Redakteur und Moderator für Rundfunk und Fernsehen. Die meiste Zeit war er beim NDR in Hamburg tätig. Hier moderierte er ca. 3000 Livesendungen im Bereich Unterhaltung und Talk.

Seine große Leidenschaft war immer der Mensch und die Börse. Zahlreiche Studien zum Thema „Sinn des Lebens“, „Neurowissenschaft“, „Erfolgs- und Motivationspsychologie“, „NLP“, „Hypnotherapie“ und zahlreiche Coachingverfahren mündeten in eine Privatpraxis für Psychotherapie in Hamburg.

Schwerpunkt seiner Arbeit sind Ängste. Er arbeitete diesbezüglich als Fachtherapeut in einem Fachinstitut für Angstüberwindung und Leistungsoptimierung. Hier wurden Angstpatienten ebenso betreut wie Leistungssportler auf dem Weg zur Weltmeisterschaft oder zum Olympiasieg.

Norman Welz beschäftigt sich seit 30 Jahren mit dem Thema Börse. Was einst mit dem Kauf von VW-Aktien begann, mündete in eine Ausbildung zum Börsenhändler bei einem professionellen Futuretrader. Heute handelt er täglich selbst nach Markttechnik mit Hilfe von Technischer Analyse im Kurzfristbereich (1 Min. und 5 Min.). Seine Basiswerte sind Dax, EUR/USD, Dow, Öl, Bund, EuroStoxx sowie diverse Einzelwerte aus dem Aktienbereich.

Norman Welz arbeitet heute neben seiner Privatpraxis für Psychotherapie als Tradingpsychologe, Coach, Trainer und Vortragsredner. 2007 gründete er das bettermind-Institut für mentalen Erfolg (bettermind.de).

Sein Trading-Motto lautet: „Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht!“

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