Tradingpsychologie: Können Sie abwarten?
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Kontinuität und Beständigkeit in den Tagesabläufen helfen den meisten Menschen den Überblick über die Komplexität des Lebens zu behalten. Angesichts der ständigen Veränderungsprozesse beim Traden gilt es Gelassenheit zu bewahren.
Menschen mögen es, wenn alles bleibt, wie es ist: Der selbe Urlaubsort, der gleiche Parkplatz, die Fußball-Sendung zum Wochenende, das bekannte Bier, die gewohnten Mahlzeiten, Strom- und Telefonanbieter wie immer, seien sie noch so unrentabel. Wie sehr wir Menschen in den ständig gleichen Routinen leben, ist uns kaum bewusst. Wir bevorzugen Kontinuität weit mehr als Veränderung. Denn neue Situationen bergen immer auch die Gefahr eines Risikos. Große Konzerne und Markenartikler wissen von diesem menschlichen Bedürfnis und versuchen deshalb ihre Kunden so früh wie möglich dauerhaft an ihre Produkte zu binden nach dem bekannten Motto: „Persil – da weiß man, was man hat“.
Trading bedeutet permanente Unsicherheit
Struktur und Ordnung lernen wir vor allem in der Schule, behalten das Gelernte im Berufsleben bei und sehnen uns nach ewiger Wiederholung – tagein – tagaus. Sicher ist sicher. Die Wirkung dieser alltäglichen Tatsache spüren wir natürlich auch beim Traden.
Nichts ist hier so sicher wie die Veränderung. Kursschwankungen gehören an den Märkten so selbstverständlich dazu wie Wasser zum Regen. Doch nur weil wir das wissen, sind wir noch längst nicht in der Lage, damit gelassen umzugehen. Im Gegenteil. Plötzliche Kurswechsel sorgen für große Irritationen und Angstschübe beim Händler. Vor allem, wenn die Richtung schneller dreht als gedacht. Dann kommen unsichere Gedanken auf: „War das nur ein Ausrutscher, oder schon ein Richtungswechsel. Wohin gehen die Kurse jetzt. Was muss ich tun?“ Auf solche irritierenden Ereignisse verzichtet man gerne, da sie einen schnell aus der Handelsroutine bringen.
Beim Traden ist man ständig mit Veränderungsprozessen konfrontiert und immer aufgefordert, auf die Marktveränderungen gelassen zu reagieren. Das ist für den ungeübten Trader nicht gerade eine leichte Aufgabe. Liefen die Kerzen in diesem Moment noch gleichbleibend in die gewohnte Richtung, scheint im nächsten Moment alles verändert zu sein. Aus einem geschmeidigen Rollen über die Autobahn wird plötzlich ein rasantes Driften durch Haarnadelkurven. Die emotionale Achterbahnfahrt des Traders lässt da meist nicht lange auf sich warten.
Doch wenn der Markt spricht, dann gilt es ihm zu folgen. Schließlich hat er immer Recht. Das erfordert Mut, gegen seine eigene Meinung zu handeln. Denn die versucht ihren Dickkopf beim Traden bekanntlich gerne vehement durchzusetzen. Professionelle Trader können diesem Reiz widerstehen – müssen es können. Denn nicht die eigene Meinung zählt beim Handel an den Märkten, sondern die Strömung der Mehrheit.
Wer sich gedanklich zu sehr in einen Marktverlauf eingräbt, der läuft Gefahr den Kursverlauf zu prophezeien. Dann laufen die Kurse plötzlich wie auf Schienen. Vergessend, dass der Abgrund schon an der nächsten Ecke zur Entgleisung warten kann. Nur weil es in der jüngsten Vergangenheit Beständigkeit in den Kursverläufen gab, muss es nicht auch fortwährend so bleiben. Wir verstehen solche Sätze, aber verstehen bedeutet nicht auch danach handeln zu können. Aber genau das unterscheidet den Profitrader vom Laien. Wer nicht verstanden hat, wann ein Richtungswechsel eines Kurses gehandelt werden darf, und wann nicht, sollte es unbedingt erlernen. Denn sonst könnte es sein, dass der Markt Sie tradet, statt Sie den Markt. Das ist meist der Nährboden für Kontrollentzug und ausufernde Verluste.
Trendverläufe müssen unbedingt in der Tiefe verstanden werden. Sie sind das Herz- Kreislauf-System des Tradings. Allzu oft scheitern viele aber genau daran. Jede Marktdrehung wird sofort gehandelt. Immer in der Hoffnung, einen guten Trade zu erwischen. Doch Qualität ist auch beim Trading das beste Rezept! Wer unbedacht flexibel ist, wird schnell zum Trading-Falschfahrer.
Sinnvolles Abwarten gehört zum Trading
Als Trader muss man ständig gefasst sein auf eine komplette Veränderung des Marktes. Aber nicht jeder Richtungswechsel muss uns beunruhigen und zum Handeln auffordern. Hier muss Nützliches von Unnützem unterschieden werden. Sinnvolles Abwarten ist auch eine Tradingaktivität. Viele haben aber genau damit die meisten Probleme. Unruhige Geschehnisse an den Märkten erfordern einen ruhigen Geist.
Üben Sie deshalb Flexibilität. Lernen Sie Dinge passieren zu lassen, wie sie passieren – ohne darauf zu reagieren. Das gibt Ihnen die Kraft, in dringlichen Fällen bedachter zu agieren. So, wie Sie es wirklich wollen und es zu Ihrem Vorteil ist. Und nicht, wie es Ihnen Ihr strapazierter Geist diktiert.
Wie lässt sich Ruhe bewahren erlernen?
Eine einfache und wirkungsvolle Hilfe beim Traden ist die Chartbeobachtung auf dem Computer. Decken Sie dazu Ihren PC-Bildschirm komplett mit einem undurchsichtigen Blatt Papier ab. Öffnen sie dann den gewünschten Chart und ziehen Sie das Blatt Papier oder Pappe Millimeter für Millimeter nach rechts und stellen sich die Frage „Wäre ich jetzt eine Position eingegangen, um in die entgegengesetzte Richtung zu traden? Und was genau hätte mir die Berechtigung dazu gegeben?“ Manche Chartsofware bietet für diese Übung eine Recording-Funktion an. Damit kann man die alten Kursverläufe Tick für Tick wie einen Film ablaufen lassen. Damit schulen Sie Ihr Gehirn darin einen Blick für spontane Kursveränderungen zu entwickeln.
Anfängern empfehle ich zu Beginn des Tradings nur in eine Richtung zu handeln – in die Haupttrend-Richtung. Das generiert zwar nicht so viele Trades, spart aber enorm viel Aufmerksamkeit und schützt vor unbedachten Minustrades. Dabei kann sich der Trader an markanten Kurspunkten immer wieder die Frage stellen: „Würde ich jetzt in die Gegenrichtung investieren?“
Für das menschliche Gehirn sind flexible Arbeitsabläufe eine große Belastung, weil wir es im Alltag nicht gewohnt sind, existenzielle Strukturen in diesem Ausmaß spontan zu verändern.
Der Mensch agiert eher linear. Am liebsten erwarten wir immer dasselbe. Das erspart unserem Gehirn enorm viel Energie. Deshalb sind solche wechselhaften Momente auch so eine große Gefahrenquelle für Minustrades. Auch das flexible Agieren gehört zur Ausbildung eines erfolgreichen Tradinggehirns. Ob Sie es beim Trading lernen, oder im Alltag, ist völlig egal. Aber lernen sollten Sie es!
Mehr über irrationales Verhalten und Veränderungsprozesse beim Traden können Sie auch in meinem Buch lesen:
Aktive Hilfe bei Veränderungsprozessen finden Sie hier:
Norman Welz
Angewandte Tradingpsychologie
Norman Welzarbeitete 20 Jahre lang als Redakteur und Moderator für Rundfunk und Fernsehen, vorrangig beim NDR in Hamburg. Sein Interesse für den Menschen und die Börse entwickelte sich zu einer großen Leidenschaft. Welz bildete sich zum Fachtherapeuten mit dem Schwerpunkt Ängste weiter und arbeitete in einem Fachinstitut für Angstüberwindung und Leistungsoptimierung. Hier wurden Angstpatienten ebenso betreut wie Leistungssportler auf dem Weg zur Weltmeisterschaft oder zum Olympiasieg.
Darüber hinaus ließ sich Welz bei einem professionellen Futuretrader zum Börsenhändler ausbilden. Heute handelt Welz nach Markttechnik mit Hilfe von Technischer Analyse im Kurzfristbereich (1 Min. und 5 Min.). Seine Basiswerte sind Dax, EUR/USD, Dow, Öl, Bund, EuroStoxx sowie diverse Einzelwerte aus dem Aktienbereich.
Norman Welz arbeitet heute neben seiner Privatpraxis für Psychotherapie als Tradingpsychologe, Coach, Trainer und Vortragsredner. 2007 gründete er das bettermind-Institut für mentalen Erfolg (bettermind.de).
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