Tradingpsychologie: Geduld
- Lesezeichen für Artikel anlegen
- Artikel Url in die Zwischenablage kopieren
- Artikel per Mail weiterleiten
- Artikel auf X teilen
- Artikel auf WhatsApp teilen
- Ausdrucken oder als PDF speichern
Wir Menschen in der modernen, kapitalistischen Welt leben in einer schnellen Zeit. Wobei die Zeit selber natürlich gar keine Geschwindigkeit hat. Sondern unsere Wahrnehmung diese in unserem Empfinden beeinflusst, meist ausgelöst durch Geschehnisse und der Endlichkeit des Seins. Zeit ist begrenzt, Sein ist zeitlos. Sie merken, ich werde philosophisch. Das hat seinen guten Grund. Denn auch beim Thema Trading bemerken wir oft nicht, welchen tiefen Zusammenhang die Dinge hier haben. Nur mal eben ein paar Charts handeln, darum geht es wahrlich nicht. Auch wenn viele es so wahrnehmen. Nein, die Dinge liegen tiefer, sonst würde die Mehrheit der Akteure in diesem Geschäft nicht scheitern. Es geht um den Menschen und seine Fähigkeit loslassen zu können, aber dazu später mehr.
Zeit scheint durch das rasche Tempo zur Mangelware zu werden. Wird sie aber nicht. Zeit hat keine Bedeutung, außer wir geben ihr eine, die nennen wir dann Termine. Es ist vielmehr so, dass mehr Dinge innerhalb eines bestimmten Zeitraums erledigt werden sollen. Dadurch wird die Dichte der Zeit komprimiert und lässt sie scheinbar schneller vergehen. Je mehr wir also tun, desto weniger Zeit scheinen wir zu haben. Man kann sich Zeit auch selber verknappen. Etwa indem man sagt „Das muss in einer Stunde fertig sein“. Wobei man schon vorher weiß, dass man für die Aufgabe zwei Stunden benötigt. Schon hat man ein Zeitproblem. Kurzum, der moderne Mensch hat nicht zu wenig Zeit, sondern zu viele Aufgaben und Verpflichtungen. Auch daran gewöhnt sich ein Körper. Mit der Folge, dass einem die Dinge beim Traden manchmal auch nicht schnell genug gehen: „Wann ist denn der Kurs nun endlich an meinem Ziel“. „Ich will endlich traden, wann bekomme ich denn endlich mal eine Einstiegschance“. „Der Kurs steigt jetzt sowieso nicht mehr – ich realisiere den kleinen Gewinn lieber jetzt“. Auch dieses Verhalten kann erlernt werden. Man muss es nur oft genug wiederholen! Es führt zu dem Gefühl von Zeitmangel, verursacht ein Empfinden von Ungeduld und dem Druck sich gehetzt zu fühlen, mit der inneren Aufforderung aktiv zu werden, obgleich es unklug und zum Nachteil des Ziels ist.
Die Zeit wird in unserer Gesellschaft also über Maß strapaziert, das hat Folgen. Auch realwirtschaftlich. Zu keinem Zeitpunkt waren die Menschen so sehr in der Lage, ihr Leben durch Technik zu vereinfachen, zu erleichtern und zu beschleunigen. Mit der Folge, dass es noch nie so viele psychisch belastete Menschen gab und der Krankmacher Nr. 1 Stress ist. Sie kann fast jede Krankheit auslösen, und tut es auch! Krank!
Schuld daran sind vielmals die zahlreichen Aufgaben und Verpflichtungen, die uns meist von anderen aufgezwungen werden. Aber auch unsere eigenen Ansprüche, die nicht selten aus einem Mangelgefühl entstehen: Schnell mit Trading reich werden zu wollen zum Beispiel. Aber schnell ist heute schon zu langsam. Vor 25 Jahren waren wir froh, wenn der Computer es schaffte, im Wackelmodus eine Website aufzubauen. Heute holen wir uns noch schnell einen Kaffee, um die Zeit bis zum Starten unseres PCs zu überbrücken. Aktien orderte ich noch über das Telefon. Heute drehen wir fast durch, wenn die „Scheiß Tradingplattform“ unsere Order nicht rasch genug angenommen hat. „Das kostet mich auch noch zwei Punkte Spread!“. Zeit ist schließlich Geld. Multitasking wo immer es geht. Nur leider kann man sich mit Geld keine Zeit kaufen – das Leben ist nun mal begrenzt. Kein Wunder also, dass unsagbar viele Reize unsere Aufmerksamkeit über Maß beanspruchen: Jobverpflichtungen, Freizeitstress, Familie, Partnerschaft, Karriere, Träume, Wünsche Hoffnungen... Up do date mit Internet, SMS, whats app, e-Mails, Facebook, Twitter, Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften. Wir sind online und haben Stress auf allen Ebenen, oft unbemerkt! Kein Wunder, das die Menschen heute etwa eindrittel schneller zu Fuß unterwegs sind als noch vor einhundert Jahren. Von der Präsenz in der Gegenwart ganz zu schweigen. Dafür haben wir leider keine Zeit. Denn unsere to-do-Liste ist immer randvoll mit Aufgaben, die eigentlich schon gestern hätten fertig sein müssen!
Fast hätte ich es ganz vergessen – zwischen all den Zwangsverpflichtungen will ich ja auch noch ein erfolgreicher Trader sein. Und dann sitzt man vor seinen Charts und möchte am liebsten auf eine Beschleunigungstaste drücken, weil es einem einfach zu lange dauert, bis sich endlich die nächste gute Tradingchance ergibt. Schließlich will man Traden und nicht auf Trades warten! Aber genau das ist die Hauptaufgabe in diesem Beruf – warten. Warten auf sein Setup! Nicht selten traden viele in kleinen Zeiteinheiten, weil sie ungeduldig sind und traden wollen. Obgleich sie viel mehr Erfolg in höheren Zeiteinheiten hätten, weil diese mehr zu ihrer Persönlichkeit passt. Andere lassen sich immer wieder von ihrer Ungeduld in wechselhaftes Verhalten ziehen. Sie traden mal in dieser, mal in jener Zeiteinheit. Mal in dem einen, mal im anderen Markt. Oder sie steigen schon mal in den Markt ein, obwohl die Kerze noch gar nicht am Ende ihrer Zeit ist „Ja, aber jetzt sieht es wie mein Setup aus. Das wird schon so bleiben. Fünf Minuten später: „Mist, das sieht ja jetzt ganz anders aus, was ist das denn – oje, hoffentlich geht das gut.“ Hauptsache sie können den unsagbaren Durst stillen ein Trader zu sein. Und ein Trader ist man ja nicht, wenn man vor den offenen Charts sitzt und Zeitung liest, während man auf eine sehr gute Chance wartet, sondern wenn man arbeitet; also aktiv ist.
Beim Traden kostet dieser Aktionismus meist sehr viel Geld. Man nennt es in der Branche auch overtrading. In meinen Coachings höre ich dann immer „Herr Welz, ich schaue mir am Abend immer meine Trades an, und dann denke ich, was habe ich da nur wieder für ein Blödsinn getradet. Ich kann einfach nicht abwarten!“. „Gut“, antworte ich dann: „Dann warten sie doch draufzu!“
Warten ist nicht gerade unsere Stärke. Nicht im Trading und nicht im Leben. Einige Gründe dafür haben Sie eingangs schon gelesen. Es gibt natürlich viele mehr. Sie benötigen eine Antwort auf eine Frage? WIKIPEDIA. Sie wollen wissen was overtrading bedeutet? GOOGLE. Sie haben Hunger? PIZZASERVICE. Sie brauchen ein neues Auto oder einen neuen Partner? WWW... abwarten und teetrinken war gestern. Das dabei die Fähigkeit der Selbstkontrolle verloren geht ist den meisten gar nicht bewusst. Der Selbstbedienungsladen LEBEN hat seinen Preis. Auch beim Trading. Vor einigen Jahrzehnten hielt man eine Aktie durchschnittlich einige Jahre. Sie kennen sicher den Spruch vom Altmeister der Börse Andre Kostolany „Kaufen sie Aktien und ein Päckchen Schlaftabletten. Nehmen sie die Schlaftabletten und wachen nach 10 Jahren wieder auf, und Sie sind reich“. Wenn sie Aktien gekauft haben von RWE, Deutsche Telekom, EON, Conergy, Solarworld und anderen Sturzfliegern der Kapitalmärkte, dann könnte es sein, dass sie nach dem Aufwachen noch mal in die Apotheke gehen müssen. Vielleicht wachen sie auch gerade zu dem Zeitpunkt auf, wenn die Finanzmärkte sich gerade wieder in der Kernschmelze befinden. Dann wären ein Mentalcoaching nicht schlecht. Mut und Wissen können reich machen - schauen Sie sich die Charts an. Wenn das Finanzkrise ist, dann mehr davon!
Heute werden die meisten Trades nicht über Jahre gehalten, sondern über Sekunden. Die Mehrzahl der Trades dauern längstens 40 Millisekunden. Kein Wunder, dass man da schon im Minutenchart zu Gähnen anfängt!
Soll das bedeuten, dass man bessere Ergebnisse im Tickchart erzielt? Besser gibt es beim Traden nicht, sondern nur geeigneter. Und wenn Sie auf dem Tageschart nicht erfolgreich sind, dann werden Sie es erst recht nicht im Tickchart sein. Nein, worum es geht ist, dass die Antwort auf die Frage das Erfolgreichseinwollen in der Natur liegt. Wie alle wichtigen Antworten des Lebens, wie ich finde. Gras wächst nicht schneller, wenn man dran zieht! Für die meisten Trader ist das Nicht-Verhaftet-Sein mit einer Position das schwerste überhaupt. Wenn Sie nicht mit einer Position gedanklich und emotional verhaftet sind, dann ist Disziplin ein Kinderspiel. Wenn Sie nicht mit einer Position verhaftet sind, dann steigen Sie ohne Angst in ein gutes Signal ein. Wenn Sie nicht mit einer Position verhaftet sind, dann nehmen sie den Verlust, wie er nun mal kommt. Wenn Sie nicht mit einer Position verhaftet sind, dann lassen Sie die Gewinne sinnvoll laufen. Wenn Sie nicht mit einer Position verhaftet sind, traden sie nicht des Tradens wegen. Wenn Sie nicht mit einer Position verhaftet sind, dann sind die Dinge, wie sie nun mal sind!
Warum das dem Menschen so schwer fällt, das haben Sie nun in einigen Beispielen erfahren. Wie man sich diese Fähigkeiten aneignen kann, das erfahren Sie, unter anderem, in meiner fünfteiligen Webinarreihe, die in Kürze beginnt. Ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass Sie einige sehr wichtige Aspekte des Tradings und des Lebens in diesen Webinaren mitnehmen werden.
http://www.godmode-training.de/event/id/10914
[Link "Hier geht´s zu meinem Buch" auf books.godmode-trader.de/... nicht mehr verfügbar]
Norman Welz
Experte für angewandte Tradingpsychologie
Man muss den ganzen Artikel nicht lesen. Dauert zu lang, bis dahin hab ich schon drei Einstiege verpasst... *555
Wer tradet weiß:
Wir werden für's warten bezahlt.
Und der Rest bezahlt uns für's warten.
Alles andere ist nur blablabla, sorry. :)
Recht hat er..
Sehr guter Artikel Herr Welz wie ich finde -:)