Tradingpsychologie: Denken stört nur!
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Trading sieht so einfach aus. Die Zeitschriften und Bücher sind voll mit Tipps und Ideen, wie man scheinbar ganz einfach sein Geld an der Börse verdienen kann. Mehr noch – seinem Leben eine ganz neue Richtung geben könnte. Kurzer Hand lernen wir eine Handelsstrategie nach der anderen kennen. Nicht selten tradet man sie auch sofort. Getrieben von der Sehnsucht, endlich ans ersehnte Ziel zu kommen. Verständlich, aber natürlich nicht hilfreich. Denn durch dieses Verhalten bleibt der Trader ständig nur an der Oberfläche seines Könnens. Was ist ein frisch lackiertes Tankschiff wert, wenn der Ozeanriese unter Wasser vom Rost völlig zerfressen ist? Damit man beim Trading nicht Schiffbruch erleidet, braucht es also beide Seiten. Das gute Handelssystem und die Fähigkeit, es zu traden. Neben den Kenntnissen über die Funktionsweisen der Märkte bedeutet das vor allem die Fähigkeit, sich selbst zu managen, und zwar dauerhaft. Um beim Tankerbild zu bleiben, das Selbstmanagement ist der gesamte Maschinenraum. Hier entscheidet sich, ob der Antrieb in Ordnung und genug Kraft vorhanden ist um dauerhaft Leistung zu bringen.
Erfahrene Händler müssen nicht lange überlegen, bevor sie handeln.
Damit ein Motor perfekt läuft, braucht er die richtige Zusammensetzung der einzelnen Teile: Kolben, Ventile, Nockenwelle, Einspritzdüsen und so weiter. Ist alles aufeinander abgestimmt, kann man sich auf ihn verlassen. Beim gut ausgebildeten Trader ist es nicht anders. Auch er setzt das Trading-Handwerk versiert in der Praxis um, weil die Zusammensetzung seines Könnens stimmt.
Bei erfahrenen Händlern zeigt sich immer wieder, dass sie die Rahmenbedingungen nicht lange analysieren müssen um zu erkennen, ob sich ein Einstieg lohnt. Der Grund dafür ist, dass sie ihre einzelnen Parameter für ein Engagement viele Male zuvor praktiziert haben. Aus einer unbekannten, risikoreichen Dschungeltour wurde ein vertrauter Alltagspfad. Um dieses nahezu automatisierte Niveau zu erreichen, braucht es Zeit und Können. Solche Fähigkeiten liebt unser Gehirn, denn es spart in diesem Zustand enorm viel Energie. Deswegen bevorzugt es solch ein Verhalten. Zudem vermeiden Routineabläufe beim Menschen eine der größten Fehlerquellen beim Traden - rationales Denken.
Denken öffnet unsere unendliche Schaltzentrale für Interpretationen.
Wie bitte? Denken soll letzt auch schon ein Nachteil beim Traden sein? In der Tat. Zwar ist logisches Denken bei der Vorbereitung und Analyse eines Engagements an der Börse sehr vorteilhaft und notwendig. Geht es aber um das zügige Erkennen von Chartmustern und deren nahezu gelassener Umsetzung, dann sind unbewusste Handlungsabläufe die präzisere Variante.
Denken öffnet unsere unendlich große Schaltzentrale für Interpretationen: „Der Kurs ist weit gelaufen, weiter kann er nicht steigen“, „Gute Einstiegschance. Das man dreimal hintereinander ausgestoppt wird, ist eher unwahrscheinlich, ich riskiere jetzt einen höheren Betrag“, „Der Kurs ist schon zum drittel Mal auf der Unterstützungslinie aufgestoßen, wenn der Kurs jetzt abprallt, hält die Linie bestimmt!“. Ich könnte jetzt noch stundenlang Beispiele aufschreiben. Und sicher erkennt man sich ständig selbst wieder. Hinter Interpretationen verbirgt sich der Wunsch dem, was wir sehen, eine Bedeutung zu geben. Letztlich geht es um die Suche nach Sicherheit. Das menschliche Gehirn ist eine Fehlersuchmaschine. Doch wenn es um das Erkennen bestimmter Chartmuster geht, dann wird man diese niemals zu hundert Prozent als ein sicheres Handelssignal erkennen können. Der Grund dafür ist, dass es keine sicheren Signale beim Börsenhandel gibt! Sicher ist ihnen schon mal aufgefallen, dass professionelle Analysten immer mehrere Alternativen eines Kursverlaufs ins Auge fassen. Das ist der Grund dafür.
Was Sie bei einer Kauf- oder Verkauf-Entscheidung so sicher macht, ist entweder die eigene Überzeugung, oder das unbewusste Erkennen eines bewährten Handelsmusters. Die Forschung hat bewiesen, dass unbewusstes Wissen zuverlässiger ist, als logisches Denken. Das gilt allerdings auch dann, wenn das vorhandene Wissen zu ihrem Nachteil ist. Was das beim Traden bedeutet ist klar – ein Missgeschick nach dem Nächsten, das Kontovolumen nimmt stetig ab.
Ist man sich seiner selbst bewusst, kann man selbstbewusst traden.
Um ins unbewusste Handeln zu kommen benötigt man zuerst die Sicherheit, dass
die eigenen Aktivitäten wirklich gewinnbringend sind. Dazu braucht man Fachwissen. Sozusagen das Kennen des kleinen und großen A-B-C des Börsenhandels. Außerdem muss man einiges über seine Persönlichkeit wissen. Etwa – welcher Typ Trader bin ich: Der Unruhige, der Geduldige, der Ängstliche, der Aggressive, Der Defensive, der Anführer, der Denker, der Mutige, der Macher... Oder gibt es Grundthemen im eigenen Leben, die sich auf das Thema Trading auswirken? Jeder hat diese Muster, es ist wichtig sie zu kennen, damit sie sich nicht zum Nachteil an den Märkten auswirken.
Ist man sich seiner selbst bewusst, kann man selbstbewusst traden. Das Unbewusste setzt diese Fähigkeiten dann auch ohne Einschränkungen um. Es bringt gar nichts, wenn man sich sagt, dass man mutig sein muss an der Börse, das Unbewusste einem aber einen Vogel zeigt und zurück spiegelt „Du bist aber nicht mutig. Deswegen schütze ich dich und veranlasse dich dazu das zu tun, was dich vor Schmerzen schützt. Nimm` mal den Stopp raus, dann ist die Chance größer, dass du jetzt nicht ausgestoppt wirst!“. Schwupps – und der Stopp ist aus dem System genommen. Fehlt nur noch eine logische Erklärung. Und da ist sie auch schon „Der Markt dreht gleich sowieso wieder – wie immer!“ Klingt absurd, aber so funktioniert nun mal unser Gehirn.
Wer dauerhaft erfolgreich an den Märkten sein will, sollte daran arbeiten, dass er Routinen in sein Verhalten einbringt, die unbewusst das Richtige tun! Das braucht Zeit und Ausdauer. Schnell kann unser Gehirn sonst nur das, was uns vor Schmerzen schützen soll. Was das für die Tradingergebnisse bedeutet, ist wohl bekannt: Gewinne beschneiden, Stopps aussetzen, pyramidisieren im Verlust, viele kleine Gewinne mitnehmen usw.
Mehr zu diesem Thema finden Sie in meinem Buch:
Norman Welz
Angewandte Tradingpsychologie
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