Kommentar
08:20 Uhr, 22.11.2016

Stagflation droht: So reagieren die Aktienmärkte

Die Börse feiert die neue Welt, in der die Reflationierung funktioniert. Die Börse feiert aber wahrscheinlich das falsche Thema.

Mehr oder minder urplötzlich hat sich das Thema an der Börse geändert. Bis Juli 2016 war das große Thema Deflation und fallende Zinsen. Jetzt ist das anders. Nun wird von steigender Inflation und steigenden Zinsen gesprochen. Der Markt preist das seit einigen Wochen ein.

Die Zinsen sind rund um den Globus gestiegen. Ebenso sind die Inflationserwartungen in die Höhe geschnellt. Anleger fassen das als etwas Positives auf, weil sie eine Rückkehr zur Normalität vermuten. Normalität heißt: die Zeit vor 2008.

Lesetipp: Die Inflationserwartungen steigen rasant!

Vor 2008 wuchs die US-Wirtschaft mit ca. 3 % pro Jahr. Auch in Europa war das Wachstum deutlich höher. Dafür gab es Inflationsraten von 2 % und mehr. In der Mischung war das jedoch nicht nur in Ordnung, sondern für Aktien ein exzellentes Klima. Weder Wachstum noch Inflation waren zu hoch. Sie waren genau richtig.

Jetzt kommt die Inflation zurück. In den USA dürfte sie bereits Anfang 2017 die Zielmarke von 2 %, die die Notenbank herausgegeben hat, erreichen. Was zur Normalität dann noch fehlt ist das Wirtschaftswachstum. Es deutet sich in den USA zu Jahresende eine Beschleunigung an. Ob sie 2017 Bestand haben wird, ist fraglich. Woher soll das Wachstum auch kommen?

Lesetipp: Zinsen: Ist das die langfristige Wende?

Ich habe schon mehrfach ausgeführt, dass sich das Wirtschaftswachstum zu praktisch 100 % durch zwei Faktoren erklären lässt: Beschäftigungswachstum und Produktivitätssteigerung.

Ob in den USA oder in Europa, das Beschäftigungswachstum ist begrenzt. In den USA sind maximal 1,5 % möglich. In Europa liegt der Wert je nach Land etwas höher oder tiefer. Dort, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist, kann das Beschäftigungswachstum auch 3 % betragen. Dort, wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist, liegt es eher bei 0,5 %.

Dem Wirtschaftswachstum sind durch das Beschäftigungswachstum enge Grenzen gesetzt. Um die Wachstumsraten der Zeit vor 2008 zu erreichen, muss die Produktivität steigen. Das geschieht jedoch nicht. Unternehmen investieren viel zu wenig. Selbst wenn sie jetzt sofort wieder investieren, dann braucht es Jahre, bis das Produktivitätswachstum wieder deutlich steigt. Mit anderen Worten: aus strukturellen Gründen können Länder wie die USA derzeit nicht nachhaltig schneller als 2 % wachsen.

In einem einzelnen Quartal kann das Wachstum höher liegen. Langfristig dürfte es sich bei 2 % einpendeln. Wenn das Wachstum stagniert, die Inflation aber steigt, dann grenzt das an Stagflation. Dazu braucht es keine Inflationsraten wie in den 70er Jahren. In den 70er Jahren lag die Inflation teilweise bei 10 %. Das Wachstum erreichte dafür zeitweise mehr als 5 %.

Den Teil Stagnation aus dem Wort Stagflation darf man nicht ganz wörtlich nehmen. Stagflation bedeutet nicht, dass die Wirtschaft gar nicht mehr wächst. Sie wächst im Verhältnis zur Inflation lediglich besonders langsam. Da nun das Wachstum in vielen Ländern kaum noch anziehen kann, die Inflation aber steigt, stehen wir vor einer Phase der Stagflation.

Lesetipp: Lockere Geldpolitik - Die Entwöhnung der Märkte beginnt

Dieser Zustand ist das schlechteste, was sich Anleger wünschen können. An der Börse ist in einer solchen Phase nämlich nichts zu verdienen. Die Grafik zeigt dazu den S&P 500 auf nominaler und realer Basis. Bis November 2016 handelt es sich um tatsächliche Werte. Für die Zeit bis 2036 handelt es sich um eine Prognose.


Die Prognose basiert auf den 70er Jahren. Die Kurse leiten sich aus dem Gewinnwachstum der Unternehmen und des Kurs-Gewinn-Verhältnisses her. Das Gewinnwachstum wird als niedriger eingestuft als in den 70er Jahren. Dafür gehe ich davon aus, dass das KGV nicht unter 10 fällt. Insgesamt ergibt sich dadurch ein besserer Verlauf als in den 70er Jahren.

Bei einem ähnlichen makroökonomischen Umfeld wie damals dürfte der aktuelle Bullenmarkt noch bis 2019 laufen, bevor es zu einer Korrektur Richtung der Hochs aus den Jahren 2000 und 2007 kommt. Nominal steigt der S&P bis 2019 auf 2.700 bis 3.000 Punkte.

Unter größeren Schwankungen als wir sie in den vergangenen Jahren gewöhnt waren verdreifacht sich der S&P 500 innerhalb der nächsten 20 Jahre im Vergleich zum aktuellen Level. Real, nach Inflation, sieht das anders aus. Man gewinnt in den nächsten 20 Jahren kaum etwas. Es geht sogar einige Jahre lang nach unten.

Anleger feiern die Zeitenwende. Wieso, das ist nicht ganz durchschaubar. Der Markt freut sich auf neues und höheres Wachstum. Tatsächlich dürfte das Wachstum jedoch kaum vom Fleck kommen, dafür aber die Inflation steigen. Der Markt hat noch nicht realisiert, dass Stagflation droht – und das ist kein Grund zur Freude. Aktien performen real in einer solchen Phase besonders schlecht.

Die hier dargestellte Prognose ist ein möglicher Verlauf. Vermutlich kommt es ganz anders. Persönlich kann ich mir gut vorstellen, dass der nächste Bärenmarkt nicht erst 2020 beginnt, sondern bereits 2017. Dazu an anderer Stelle mehr.

Clemens Schmale

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7 Kommentare

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  • GeBa96
    GeBa96

    Ich gehe auch davon aus das der Bärenmakt 2017 beginnt. Aber bitte erst in der 2ten Jahreshälfte. Vielleicht kann man dann aber günstig kaufen. Wir werden sehen.

    13:36 Uhr, 22.11. 2016
  • 1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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