Kommentar
12:18 Uhr, 26.01.2011

Staatsverschuldung der USA anhand der CBO-Projektionen verstehen: Konsolidierung über die Einnahmenseite tut Not

  • Die Staatsverschuldung in den USA ist krisenbedingt gestiegen und wird zunehmend als beunruhigend hoch empfunden. Die Schuldenstandsquote ist aktuell höher die diejenige der Eurozone. Also ist die Finanzpolitik zum Handeln aufgerufen, wobei die neue politische Pattsituation zu berücksichtigen ist. Ein Grund mehr, einen intensiven Blick auf die amerikanischen Staatsfinanzen zu werfen.
  • Morgen Abend stellt das Congressional Budget Office (CBO) seine aktualisierten Projektionen vor. Im Vorfeld hierzu stellen wir zwei verschiedene Szenarien für die weitere Entwicklung der US-Staatsverschuldung vor. Wir zeigen, dass eine Haushaltskonsolidierung in den kommenden Jahren selbst im Falle einer starken wirtschaftlichen Entwicklung nicht ohne Eingriffe in die Ausgaben- bzw. Einnahmenpolitik des Staates erreicht werden kann.
  • Im Vergleich zu anderen Industrieländern ist die Ausgabenquote des US-Staates nicht sonderlich hoch. Auffallend niedrig sind dagegen die Steuersätze. Wir erachten daher insbesondere Einkommensteuererhöhungen in den kommenden Jahren für unausweichlich.
  • Da Ende 2012 die nächste Präsidentschaftswahl ansteht, dürften die Staatsfinanzen zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen gehören. Die weitere Entwicklung der öffentlichen Haushalte stellt daher aus unserer Sicht eine sehr bedeutsame makroökonomische Herausforderung für die amerikanische Politik dar.

Die Staatsverschuldung der Vereinigten Staaten war im vergangenen Konjunkturaufschwung nur ein untergeordnetes makroökonomisches Thema. Weder der Beginn der Kriege in Afghanistan und im Irak noch der deutliche Einkommensverlust des Staates durch die Einkommensteuerreform in 2003 brachte den Staatshaushalt in ein schwerwiegendes Ungleichgewicht. Das Wirtschaftswachstum im vergangenen Aufschwung war zwar nicht üppig, aber dennoch ausreichend um das Budgetdefizit des Staates in 2007 auf weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu drücken. Doch dann kam die Finanzmarktkrise: die Bankenrettung (TARP), das Konjunkturpaket (ARRA) und der Wegfall von Steuereinnahmen aufgrund des Wirtschaftseinbruchs hinterließen tiefe Spuren im Staatshaushalt (siehe Tabelle 1). Im vergangenen Fiskaljahr 2010 stieg die Verschuldung des Staates auf knapp 94 % in Relation zum BIP an, den höchsten Wert seit 1950 (siehe Abbildung 1).

Die Banken-, Immobilien- und Konjunkturkrise haben deutliche Spuren in den Staatsfinanzen hinterlassen. Was ist konkret krisenbedingt und wird demnach in der nahen Zukunft als Belastung an Gewicht verlieren? Die Bankenrettung ist aus Sicht der Staatsfinanzen bereitsim vergangenen Jahr abgeschlossen gewesen.1 Nach Berechnungen des Congressional Budget Office (CBO) wurden sogar budgetwirksame Einnahmen von gut 100 Mrd. US-Dollar erzielt. 2 Im Frühjahr 2009 wurde zur Unterstützung der Nachfrageentwicklung ein Konjunkturprogramm in einem Umfang von 787 Mrd. USDollar beschlossen. Inzwischen sind hiervon (Stand Ende 2010) 592 Mrd. US-Dollar (gut 75 %) ausgabewirksam geworden. Die weiteren 200 Mrd. US-Dollar verteilen sich auf den Zeitraum bis 2019. Da der größte Teil dieser Mittel im laufenden Fiskaljahr 2011 ausgabenwirksam werden wird, spielt auch dieser Belastungsfaktor für den Staatshaushalt zukünftig nur noch eine geringe Rolle.

Die weitere Defizitentwicklung hängt nennenswert vom Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung, insbesondere vom Arbeitsmarkt, ab. Bei steigender Beschäftigung verringern sich nicht nur die Ausgaben im Bereich der Arbeitslosenversicherung, sondern es nimmt vor allem die Anzahl der Steuerzahler zu. Wird aber das Wirtschaftswachstum in den kommenden Jahren alleine ausreichen, um den Staatshaushalt wieder in geordnete Bahnen zu bringen? Wie sensitiv reagieren die Einkommens- und Ausgabenseiten des Staates auf eine sich bessernde wirtschaftliche Aktivität? Wir stellen im Folgenden zwei Szenarien vor, die jeweils eine stärkere wirtschaftliche Aktivität beinhalten, als von uns und dem CBO derzeit erwartet wird. Die Szenarien unterscheiden sich in den politischen Maßnahmen, die zur aktiven Haushaltskonsolidierung ergriffen werden

CBO-Projektionen als Ausgangspunkt

Wie das CBO verwenden wir als Referenzszenario die Entwicklung, die sich ab heute ergibt, falls keine Politikveränderungen in der Zukunft geschehen (siehe Tabelle 2).

Die letzte Schätzung des CBO stammt aus dem August 2010, sodass wir Anpassungen an den damaligen makroöknomischen Annahmen vorgenommen haben. Erstens sah die damalige Gesetzeslage vor, dass die Steuererleichterungen aus dem Jahr 2003 Ende 2010 nicht verlängert werden. Die parteiübergreifende Einigung Ende des vergangenen Jahres sieht nun eine Verlängerung diese befristeten Steuererleichterungen bis Ende 2012 vor. Dadurch verringern sich die Staatseinnahmen sowohl für 2011 als auch für 2012. Zweitens berücksichtigte damals das CBO auch die Auswirkungen der Steuererhöhungen auf das Wirtschaftswachstum. So erwartete das CBO im August vergangenen Jahres für 2011 nur ein Wirtschaftswachstum von 2,1 %. Zurzeit liegen die allgemeinen Erwartungen bei knapp über drei Prozent. Allerdings rechnete das CBO bereits damals schon mit einer insgesamt kräftigen Aufschwungphase bis einschließlich 2014. Der durchschnittliche Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 3,5 % bis 2014 ist aus unserer Sicht nicht zu pessimistisch. Alternativ stellte das CBO Berechnungen vor, die eine Verlängerung der befristeten Steuererleichterungen vorsahen. In unseren Berechnungen greifen wir auf die Ergebnisse dieser alternativen Projektion zurück. Unter Berücksichtigung dieser beiden Anpassungen ergibt sich eine mittlere Deka- Bank-Projektion. Diese Projektion dürfte sich von der in Kürze veröffentlichten neuen CBO-Projektion nur unwesentlich unterscheiden.

Ausgehend von dieser mittleren Projektion unterstellen wir in unseren beiden folgenden Szenarien einen grundsätzlich höheren Wachstumspfad. Die Idee hierbei ist, aufzuzeigen, ob zumindest unter optimistischen Annahmen eine Haushaltskonsolidierung relativ schmerzfrei in den kommenden 10 Jahren möglich erscheint. Der Wachstumsaufschlag beträgt pro Jahr 0,4 Prozentpunkte. Wir unterstellen somit ein durchschnittliches BIP-Wachstum von knapp 4 % bis einschließlich 2014 und darüber hinaus ein durchschnittliches BIP-Wachstum von knapp 3 %. Hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosenquote und des Zinsniveaus nehmen wir der Einfachheit halber keine Änderungen vor.

Unser Szenario "Haushaltskonsolidierung" basiert auf drei wesentliche Annahmen: Bereits ab 2011 unterstellen wir bei Ausgaben, die nicht konjunkturabhängig sind (beispielsweise Militärausgaben), um 20 % geringere Steigerungsraten als vom CBO in seinen August- Projektionen vorgesehen, die befristeten Steuererleichterungen für die privaten Haushalte in 2013 werden nicht weiter bewilligt, und es erfolgt in 2014 eine weitere Steuererhöhung, die vom Umfang her mit 1,5 Prozentpunkten ähnlich hoch ist wie im Jahr zuvor. Das Ergebnis dieses Szenarios wäre ein Budget-Defizit von weniger als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in 2020. Die Schuldenstandsquote würde zwar zwischenzeitlich auf über 100 % des BIP ansteigen, aber im weiteren Zeitablauf wieder leicht sinken (siehe Abbildungen 2 und 3).

In unserem Szenario "ohne Konsolidierungsbemühungen" unterstellen wir, dass die Verringerung des Haushaltsdefizits ausschließlich mit starkem Wirtschaftswachstum erreicht werden soll. Die Steuererleichterungen würden also über 2012 hinaus bewilligt werden. Tatsächlich findet auch hier eine Verringerung des Budget-Defizit in Relation zum BIP statt. Allerdings hätte man auch im Jahr 2020 noch eine Defizitquote von fast 6 %, und die Schuldenstandsquote würde auf über 125 % ansteigen.

Unsere Berechnungen sind sogar eher als optimistisch einzustufen, und zwar in beiden Szenarien: Im Falle von Konsolidierungsmaßnahmen haben wir etwaige konjunkturelle Bremsspuren in der wirtschaftlichen Entwicklung außen vor gelassen. Insbesondere die beiden unterstellten Steuererhöhungen in den Jahren 2013 und 2014 werden vermutlich nicht ohne Folgen für Konjunkturentwicklung sein. Bleibt im anderen Fall die Konsolidierung aus, dann kann auch dies zu einem geringeren Wachstumspfad führen: Aufgrund der hohen Schuldenaktivität des Staates wären zukünftig Risikoaufschläge für Staatsanleihen recht wahrscheinlich. Höhere Zinsen würden aber einen Belastungsfaktor für die USWirtschaft bedeuten, den wir in unseren Berechnungen nicht haben einfließen lassen. Die von uns in beiden Szenarien unterstellte höhere Wachstumsdynamik ist vor diesen Hintergrund durchaus ambitioniert.

Einnahmenseite in den Blick nehmen

Politisch wird intensiv diskutiert, wie die enorme Verschuldungsdynamik des Staates gebremst werden kann. Soll der Staat eher sparen oder die Steuersätze anheben? Anhand der Struktur des Staatshaushaltes lassen sich durchaus Handlungsempfehlungen ableiten: Im OECD-Vergleich ist die Ausgabenquote des US-Staates, also die Ausgaben des Staates in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, leicht unterdurchschnittlich (siehe Abbildung 4). Auffallend groß ist der Unterschied bei der Einkommensquote, die in den Vereinigten Staaten über fünf Prozentpunkte niedriger liegt als im OECDDurchschnitt. Dies bedeutet, dass auch über die Ausgabenseite des Staates eine Verringerung des Defizits möglich ist. Der Blick auf die Einnahmenquote zeigt aber, dass hier eindeutig die größeren Konsolidierungspotenziale liegen.

Die durchschnittlichen Einnahmen je Steuerart (in Relation zum BIP) sind in fast allen Bereichen niedriger als im Durchschnitt der OECD-Länder (siehe Abbildung 5). Die einzige Ausnahme bildet die Vermögensteuer. Augenfällig ist der im internationalen Vergleich sehr geringe Verbrauchsteuersatz. Hier ist allerdings zu beachten, dass in mehreren Bundesstaaten eine zusätzliche Verbrauchsteuer gilt, sodass sich für den durchschnittlichen Endverbraucher eine höhere Belastung ergibt. Eine Handlungsempfehlung, die Verbrauchsteuer des Bundes auf ein international vergleichbares Niveau anzuheben, wäre somit vorschnell getroffen.

Unabhängig davon, welcher Steuersatz erhöht wird, ist mit einer Belastung der wirtschaftlichen Entwicklung zu rechnen. Grundsätzlich gilt, dass Einsparungen auf der Ausgabenseite geringere negative Auswirkungen auf die Konjunktur haben als Steuererhöhungen. Dies ist aber offenkundig nicht die Problemseite der Staatsfinanzen. Wir sehen in einer schwächeren Ausgabenentwicklung des US-Staates nur begrenztes Potential für dessen Budgetsanierung. Also gilt es, die Einnahmenseite intensiv in den Blick zu nehmen und dabei die Steuersätze anzuheben, die sich am wenigsten belastend auswirken. Hier ist an erster Stelle die Verbrauchsteuer zu nennen, da diese "nur" zu einer schwächeren Nachfrage der privaten Haushalte führt. Gut 40 % der Staatseinnahmen resultieren aus der Einkommensteuer. Aufgrund ihrer großen Bedeutung wird man auch hier Erhöhungen kaum vermeiden können. Eine Anhebung der Einkommensteuersätze wird sich ebenfalls in erster Linie beim privaten Konsum negativ niederschlagen. Allerdings gelten Einkommensteuersätze auch für Personengesellschaften. Entweder man klammert diese aus der Erhöhung aus oder man belastet deren Investitionstätigkeit mit entsprechenden Folgen für den Arbeitsmarkt. Erhöht man die Steuersätze für die Unternehmen zu stark, dann kann der Einkommensverlust aufgrund einer höheren Arbeitslosigkeit sogar den Einkommensgewinn des Staates übersteigen. Dies ist auch der Grund, weshalb man auf höhere Unternehmensteuersätze eher verzichten sollte.

Die aktuelle politische Situation ist zurzeit sicherlich schwierig: Kurz vor dem Jahreswechsel 2010/11 mündete die politische Pattsituation der beiden Parteien in einer Verlängerung der Steuervergünstigungen bis Ende 2012. Weitgehende politische Einigkeit besteht zwischen den Republikaner und den Demokraten noch insoweit, als dass der Handlungsbedarf des Staates grundsätzlich nicht in Abrede gestellt wird. Gleichwohl sehen die Rezepte grundverschieden aus. Von einer Verringerung der Steuern und einer in den sozialen Bereichen geringeren Ausgabenentwicklung bis hin zu höheren Ausgaben und höheren Steuern reichen die Vorstellungen. Aus unserer Sicht haben beide politische Lager sowohl Recht als auch Unrecht. Ernsthafte Konsolidierungsanstrengungen sind aufgrund der politischen Pattsituation weder in diesem noch im kommenden Jahr wahrscheinlich. Da Ende 2012 die nächste Präsidentschaftswahl ansteht, dürften die Staatsfinanzen zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen gehören. Die weitere Entwicklung der Staatsfinanzen stellt daher aus unserer Sicht eine sehr bedeutsame makroökonomische Herausforderung für die amerikanische Politik dar. Die letztlich überraschend schnelle Bewältigung der USBankenkrise hat einmal mehr die Anpassungsfähigkeit der US-Wirtschaft bewiesen. Diese Anpassungsfähigkeit an neue finanzpolitische Rahmenbedingungen ist nun auch auf der politischen Bühne gefragt.

Rudolf Besch

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