Schwarzseher sorgen für Potenzial
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Immer wieder ist zu beobachten, dass der DAX innerhalb weniger Minuten um manchmal ein Prozent oder mehr ansteigt. Es sind Aufwärtsbewegungen, die sich in gleicher Geschwindigkeit vollziehen, wie sich normalerweise nur Abwärtsbewegungen vollziehen, die von Panik begleitet werden. Die übliche Anatomie einer Aufwärtsbewegung sieht anders aus. Denn eine alte Börsenweisheit besagt, dass die Kurse an einer Mauer der Ängste empor klettern, um irgendwann steil abzustürzen. Es liegt deshalb auch auf der Hand, dass es nicht Anleger sind, die in Aktien investiert sein wollen, die diese gewaltigen Sprünge verursachen, wie beispielsweise Fonds, Pensionskassen oder klassische Privatanleger. Diese Kaufpanik wird vielmehr vom gegenteiligen Lager ausgelöst, also den Anlegern, die glauben, dass die Kurse weiter fallen und deshalb leer verkaufen. Mit CFDs ist diese Form der Spekulation auch für jeden Privatanleger möglich. Das bedeutet, man verkauft Aktien, die man sich vorher leiht oder im Falle eines CFDs schließt man einfach ein Kursdifferenzgeschäft auf fallende Kurse ab. Diese Möglichkeit in Bärenmärkten zu haben, ist hoch interessant, doch in Phasen, in denen die Kurse nach oben wollen, ein extremer Verstärker der Aufwärtsbewegung. Denn steigen die Kurse, anstatt zu fallen, müssen sich die Short-Spekulanten irgendwann eindecken, um ihre Verlust zu begrenzen. Diese Stop-Loss-Kauf Orders treiben den DAX dann zeitweise in dieser atemberaubenden Geschwindigkeit nach oben. Je mehr solcher Pessimisten es gibt, desto größer ist das Aufwärtspotenzial. Immer wenn es innerhalb der Aufwärtsbewegung, die im März 2009 begann, zu Korrekturen kam, schmissen sich viele auf die Seite der Bären, was dann irgendwann zu starken Erholungsrallyes führte, die auf neue Jahreshöchstkurse führten.
Gerade in der jüngsten Korrektur könnte sich hier ebenfalls wieder ein großes Kaufpotenzial im Falle steigender Kurse aufgebaut haben. Die Griechenlandkrise erinnerte in vielerlei Hinsicht an das was nach der Lehman-Pleite passierte. Es ist nur zu verständlich, dass Anleger nicht ein zweites Mal in diesen Strudel gerissen werden wollten, schließlich soll man ja aus Erfahrung lernen. Viele dürften die Reißleine gezogen und verkauft oder spekulative Anleger die Gegenseite eingenommen haben. Dafür spricht ein nun auch nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA stark verbessertes Put/Call Ratio, das deutlich mehr Pessimismus anzeigt.
Noch extremer lässt sich der Pessimismus jedoch bei den Preisen, die derzeit für Puts und für Calls bezahlt werden müssen, ablesen. Heute, am Donnerstagmorgen, als der DAX bei 6.100 Punkten stand, musste für einen 5.700 Put, der sich somit 400 Punkte aus dem Geld befand, 23 Euro gezahlt werden, während zur gleichen Zeit für einen 6.400 Call, der sich ebenfalls 400 Punkte aus dem Geld befand, nur sechs Euro zu bezahlen waren. Das bedeutet, dass für die statistisch gleiche Chance, nämlich eine Kursbewegung von fünf Prozent in die eine oder andere Richtung, für die Variante auf fallende Kurse der fast vierfache Preis gezahlt werden musste. Das deutet auf einen massiven Überhang des Pessimismus hin. Steigen die Kurse weiter, könnten diese offensichtlich großen Lager der Bären gezwungen sein, ihre Short-Positionen einzudecken.
Nun hängt derzeit vieles, oder im Grunde fast alles vom Euro ab. Dass der Aktienmarkt in den vergangenen Tagen relative Stärke gezeigt hat und gestiegen ist, obwohl der Euro sich nicht nennenswert von seinen Tiefs befreit hat, ist ein Zeichen von einer guten technischen Verfassung. Eine Erholung des Euros, an die kaum jemand glaubt, könnte daher eine wahre Kursrally in Gang setzen. Auch wenn ich sicher zu früh eine Erholung des Euros prognostiziert habe, bleibe ich bei meiner Einschätzung, dass die Mehrheit sich hier bald im Irrtum befinden wird. Der Pessimismus ist so extrem wie noch nie, und auch der Chart mit dieser für eine große Währung völlig unüblich schnellen Abwärtsbewegung, deutet auf eine Erholung hin. Die Euro-Pessimisten bleiben sich treu und wetten weiter darauf, dass das Griechenlandpaket immer noch nicht reicht und am Ende doch eine Umschuldung und damit ein teilweiser Schuldenerlas notwendig ist. Damit könnten sie auf lange Sicht auch durchaus recht haben, nur in den kommenden Monaten rechne ich nicht damit, weil das geschnürte Paket den Griechen zunächst die Möglichkeit gibt, ihre Schulden zu einem erträglichen Zins zu refinanzieren. Wird dies erst einmal deutlich, können unter den Euro-Short-Spekulanten Gewinnmitnahmen und dann ebenfalls Short-Eindeckungen einsetzen, die eine Erholung in Richtung 1,30 auslösen.
Vergessen werden darf als Treiber auch nicht die Tatsache, dass die EZB die zumindest vor der Griechenlandkrise sanfte Verschärfung der Geldpolitik wieder völlig zurückgedreht hat. Mit den Aufkäufen von europäischen Staatsanleihen pumpt sie zudem momentan im Schnitt zwei Milliarden Euro Liquidität in den Markt. Diese sucht nach wie vor händeringend Anlagealternativen. Die zehnjährige Bundeanleihe rentiert noch mit 2,65 Prozent, der DAX bringt im Durchschnitt über drei Prozent. Da ist - bei aller wirtschaftlichen Unsicherheit - die Aktie zumindest als Beimischung eine interessante Alternative. Und bei den Summen, die angelegt werden müssen, reicht Beimischung mehr als aus, um die Kurse weiter nach oben zu befördern.
Stefan Riße, ist Deutschlandchef und Chefstratege von CMC Markets. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, steht seit Wochen oben auf den Bestsellerlisten.
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