Schreckgespenst Stagflation
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Anleiheinvestoren haben sich in diesem Jahr bereits mit unzähligen Herausforderungen konfrontiert gesehen – von niedrigen Zinsen über eine steigende Inflation bis hin zu sehr engen Spreads. Jetzt droht das nachlassende globale Wachstum in eine Stagflation überzugehen. Zu einer Stagflation kommt es, wenn sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, die Arbeitslosigkeit steigt und die Inflation hoch bleibt. Für Anleger ist das ein bedrohliches Szenario, da es zu einem Teufelskreis führt, in dem der durch die Inflation gedämpfte Konsum zu rückläufigen Unternehmensgewinnen und damit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führt. Ich halte die Stagflation für ein kurzfristiges Risiko, aber nicht für einen langfristigen Sorgenfaktor für Anleger. Ich gehe weiterhin davon aus, dass die Inflation nur vorübergehend erhöht ist und wieder sinken wird, wenn die Lieferkettenunterbrechungen weitgehend behoben sind und das Angebot wieder mit der Nachfrage gleichziehen kann.
Die globalen Lieferketten basieren auf dem „Just-in-Time“-Konzept, das durch die Pandemie nicht mehr funktioniert hat. Das war auch eine der Hauptursachen des zunehmenden Inflationsdrucks in diesem Jahr. Die Welt ist vernetzter denn je. Dadurch hat ein Produktionsstillstand in einer Fabrik in China sofortige und weitreichende Auswirkungen auf die globalen Lieferketten. Ich gehe davon aus, dass es eine Weile dauern wird, bis diese wieder störungsfrei funktionieren. Wie lange das sein wird, hängt vor allem davon ab, wie erfolgreich die Länder bei der Bekämpfung des Coronavirus sind. Wenn weiter neue Varianten aufkommen und die Volkswirtschaften erneut in den Lockdown zwingen, wird der Heilungsprozess der globalen Lieferketten entsprechend länger dauern.
Fundamentale Kräfte halten die Inflation im Zaum
Darüber hinaus sehe ich starke strukturelle Faktoren, die die Inflation im Zaum halten werden. Dazu gehören die rekordhohe globale Verschuldung, die alternde Weltbevölkerung und die Globalisierung. Die COVID-19-Pandemie hat die globale Verschuldung auf ein seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehenes Niveau ansteigen lassen. Allein im zurückliegenden Jahr ist der globale Schuldenberg um 40 Billionen US-Dollar auf 280 Billionen US-Dollar angewachsen. Das ist mehr als das Dreifache der weltweiten Wirtschaftsleistung (BIP). Und die Erfahrung der Vergangenheit zeigt: Wenn die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP 50-60 Prozent erreicht, wirkt sich dies nachteilig auf das Wachstum aus und sorgt für Gegenwind für den Inflationsdruck.
Die Auswirkungen der Globalisierung tragen ebenfalls zur Verringerung der Inflation bei, da das Lohnwachstum durch die Verlagerung der Produktion in ärmere Länder gedeckelt wird. Gleichzeitig hat der technologische Fortschritt die Warenherstellung billiger gemacht und damit die Preise niedrig gehalten. Die Pandemie mag einige dieser Trends unterbrochen haben. Ich halte dies aber für eine vorübergehende Entwicklung und glaube, dass diese Entwicklungen weiter deflationär wirken werden, wenn sich die Welt von der Pandemie erholt. So gibt es auch keine Belege für die von einigen weiterhin vertretene These der Deglobalisierung – die harten Zahlen deuten eher auf das Gegenteil hin.
Im Rückblick hat sich der diesjährige Inflationsschub als hartnäckiger erwiesen, als viele antizipiert hatten. Insbesondere Rohstoffe und Konsumgüter haben sich im Vergleich zum Vorjahr stärker verteuert als erwartet. Inzwischen geben diese Preise aber bereits wieder etwas nach. Die Holzpreise haben sich gegenüber ihrem Höchststand mehr als halbiert, die Kupfer- und Agrarrohstoffnotierungen scheinen zu drehen und auch der Eisenerzpreis hat sich gegenüber seinen am Jahresanfang erreichten Höchstständen halbiert. Ich führe den Preisverfall bei Rohstoffen wie Kupfer und Eisenerz vor allem auf die drastische Wachstumsverlangsamung in China zurück. Die jüngsten Zahlen zur Verbraucherpreisinflation (CPI) in den USA scheinen den Rückgang der Teuerung zu bestätigen. Bei den Preisen für Gebrauchtfahrzeuge und Flugtickets ist bereits eine Normalisierung zu beobachten.
Chinas Wachstumsschwäche dämpft das globale Wachstum
Natürlich ist die Inflation nur ein Faktor in der Stagflationsgleichung – der andere ist das globale Wachstum. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass das weltweite Wachstum seinen Höhepunkt erreicht hat. Wie bereits erwähnt, scheint die chinesische Wirtschaft zuletzt an Dynamik verloren zu haben: Die Einzelhandelsumsätze sind hier im August im Jahresvergleich nur noch um 2,5 Prozent gestiegen, während die Ökonomen von 7 Prozent ausgegangen waren. Durch die wiederholten COVID-19-Ausbrüche und die Auswirkungen der Evergrande-Krise ist auch die chinesische Industrieproduktion hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Die Ökonomen von Goldman Sachs gehen bereits davon aus, dass Chinas Wirtschaft im dritten Quartal überhaupt nicht mehr wachsen wird.
Der Blick auf die Märkte zeigt, dass der Anleihemarkt die Inflation ebenfalls für ein vorübergehendes Phänomen hält: Am kurzen Ende (5-jährige TIPS) liegen die Breakeven-Raten bei gerade einmal 2,3 Prozent. Dieser Wert könnte sinken, wenn der Inflationsdruck weiter nachlässt, und für einen weiteren Rückgang der Renditen in den USA sorgt. Daher sieht das künftige wirtschaftliche Umfeld für Anleiheinvestoren günstig aus. Auf der Suche nach regelmäßigen Erträgen fließt aktuell viel Geld in Unternehmensanleihen, und die Unternehmen sind dank großzügiger staatlicher Unterstützung in den westlichen Staaten im Vergleich zu ihren Konkurrenten in den Schwellenmärkten ziemlich gut aufgestellt. Das stimmt mich zuversichtlich, dass die Ausfallraten noch einige Zeit sehr niedrig bleiben werden. Dadurch könnten sich im High-Yield-Segment ausgewählte Einstiegsmöglichkeiten eröffnen. Mit der beginnenden Rückführung der extrem expansiven Geldpolitik der Zentralbanken dürfte die Volatilität an den Märkten zunehmen. Die längerfristigen strukturellen Kräfte sollten jedoch dazu führen, dass der Inflationsdruck nachlässt, wenn sich die wirtschaftliche Lage wieder normalisiert.
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