Schmerzhafte Zeiten für bärische Marktteilnehmer
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Wie selten sonst, ist quasi täglich zu greifen, was sich derzeit an den Börsen abspielt. Ohne irgendeinen größeren Rückschlag klettert der DAX nach und nach immer weiter nach oben. Viele Anleger, egal ob Profis oder Private, stehen ratlos daneben und überlegen was nun zu tun ist. Sie sind entweder schon im vergangen Jahr zu früh ausgestiegen, oder haben in der Korrektur am Jahresanfang Positionen abgebaut. Wer will es ihnen verdenken, schließlich hatten die technischen Analysten nach den Kursverlusten im Januar das Ende der Aufwärtsbewegung verkündet. Mit der rasanten Erholung auf neue Jahreshöchststände hat kaum jemand gerechnet und nun herrscht die Angst, dass es noch weiter aufwärts gehen könnte. Einsteigen mögen sie auf diesem hohen Niveau jedoch auch nicht, weil man sich wahnsinnig ärgert, wenn man dann derjenige war, der zuletzt und damit zu spät auf den fahrenden Zug aufgesprungen ist. Man ist doch schließlich erfahrener Börsianer und kein blutiger Anfänger. Und diese Pein, und hat man sie auch nur mit sich selbst abzumachen, will man sich unbedingt ersparen.
Wenn Sie sich hier, lieber Leser, wiedererkennen, kann ich das gut verstehen. Mir würde es in dieser Situation ganz ähnlich gehen. Börsenerfolg hat eben auch sehr viel mit Psychologie zu tun und zwar nicht nur mit der der Masse, sondern vor allem mit der eigenen. Das macht die Spekulation aber auch so interessant, weil man durch die falschen und richtigen Entscheidungen, die man trifft, seine eigene Psyche immer genauer kennenlern kann. Man muss allerdings bereit sein, diese offen zu reflektieren. Rechthaber, die am Ende den Markt und andere für die eigenen Fehlentscheidungen verantwortlich machen, werden keinen dauerhaften Erfolg an der Börse haben. Dennoch, Irrtümer einzugestehen fällt zunächst schwer und so erklärt sich auch, dass die aktuelle Aufwärtsbewegung nicht von Jubel begleitet wird. Im Gegenteil, alles wird negativ gedreht, obwohl es kaum zu den Kursen passt. Heute beispielsweise meldet China ein Wirtschaftswachstum im ersten Quartal von 11,9 Prozent bei einer auf 2,4 Prozent geschrumpften Inflationsrate. Gleichzeitig wies die chinesische Handelsbilanz zuletzt sogar ein Defizit aus, nach noch milliardenhohen Überschüssen zuvor. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Binnenkonjunktur in China deutlich anzieht, und damit die Abhängigkeit von der fragilen US-Wirtschaft reduziert wurde – also ein wachsender Markt vor allem für exportorientierte Länder wie Deutschland. Alles in allem eigentlich die beste aller Welten. Doch wie lauten die Kommentare? Experten warnen vor Überhitzung und haben Angst vor Zinsanhebungen. Diese mögen wohlmöglich kommen, doch ist die Liquiditätsausstattung in der Welt so reichlich, dass sie zunächst, wie in Australien zu beobachten, keinen negativen Effekt haben dürften. Ansonsten wird der Anstieg von DAX und DOW durchweg als zäh und beschwerlich bezeichnet und sehr wenig fundiert. Zu gering seien die Umsätze zu sorglos die Anleger, absehbar an der geringen Volatilität.
Das alles spiegelt nur wieder, wie groß die Gruppe derer ist, die hier auf dem falschen Fuß erwischt wurden. Sie beten nun immer wieder die Argumente herunter, die eigentlich für einen Rückschlag sprechen, um ihre Zurückhaltung zu rechtfertigen. Derweil werden mit jedem Punkt, den der DAX weitersteigt, die Schmerzen immer größer.
Mag sein, dass an den Argumenten auch viel Wahres dran ist. Auch ich glaube persönlich nicht, dass wir wirtschaftlich wieder auf rosige Zeiten wie vor 2007 zugehen. Im Gegenteil, ich sehe die Wirtschaft in den Industrieländern noch auf schwierige Zeiten und weitere Rückschläge zusteuern. Doch zunächst erholt sie sich im Zuge der Konjunkturprogramme und der ultralockeren Geldpolitik und liefert denjenigen, die zuletzt auf der Käuferseite standen, nicht wirklich die Argumente für einen Verkauf. Auch wenn ich persönlich den Rückschlag am Jahresanfang nicht voraus gesehen habe, so fühle ich mich nun weiter bestätigt in meiner Meinung, dass vor dem Hintergrund der quasi Null-Zins-Politik die Aktienmärkte neu zu bewerten sind. Alle Argumentationen die das Kurs/Gewinn-Verhältnis heranziehen, um aufzuzeigen, dass Aktien keineswegs billig sind, greifen zu kurz. Es ist doch ein entscheidender Unterschied für die Bewertung des DAX mit einer aktuellen Dividendenrendite von 3,2 Prozent, ob die Leitzinsen sich bei fünf Prozent oder bei fast Null Prozent befinden. Festverzinsliche konkurrieren mit Aktien, je geringer ihre Rendite, desto attraktiver sind Aktien. Und die Billionenbeträge, die derzeit quasi zinslos auf den Konten oder in Geldmarktfonds herum liegen, suchen händeringend rentierlichere Anlagen. Das ist es, was derzeit die Tendenz an den Aktienmärkten bestimmt und die Zinsen dürften noch lange sehr tief bleiben. Aus diesem Grund ist es auch nicht ausgeschlossen, dass wir noch viel höhere Kurse bei den Aktien sehen. Und erst wenn die zuvor dargelegten Argumente aus dem Munde derer zu hören sind, die momentan den fallenden Kursen das Wort reden, wird es wieder gefährlich. Also wenn die Bären unter Artenschutz gestellt werden müssen.
Ob ein größerer Rückschlag von rund 300 Punkten im DAX nochmals die Möglichkeit bietet, günstiger einzukaufen, ist längst nicht sicher. Dafür spricht, dass die Chartisten gerade auf Bulle umschalten und ebenfalls einige überhitzte Stimmungsindikatoren in den USA. Auch die geringe Cash-Quote der US-Aktienfonds ist ein Warnsignal. Demgegenüber stehen auf der anderen Seite aber rekordhohe Barbeträge bei den Firmen, die nun wieder, laut einer Studie, sehr stark für Aktienrückkäufe eingesetzt werden sollen.
Fazit: Was also tun? Ich kann nachvollziehen, dass es schmerzt, jetzt erst einzusteigen und womöglich in einen Rückschlag zu geraten. Doch halte ich das Risiko für deutlich größer, dass Anleger, die verzweifelt auf einen Rücksetzer warten, weitere Kursgewinne verpassen. Und selbst wenn jetzt der Rückschlag kommt, dann wäre das ärgerlich, gerade der deutsche Aktienmarkt erscheint mir durch die hohe Durchschnittsrendite aber gut nach unten abgesichert. Wer mit CFDs handelt, sollte jedoch die Hebel aktuell nicht zu hoch wählen, um nicht bei einem Rückschlag zu früh ausgestoppt zu werden. Hebel fünf sollte zunächst einmal reichen.
Stefan Riße, ist Deutschlandchef und Chefstratege von CMC Markets. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, ist bereits jetzt ein Bestseller.
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