Pferdefuß Wall Street
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Sehr selten ist das, was in den Marktberichten als Grund für irgendeine Kursbewegung zu lesen ist, der tatsächliche Grund für diese. Häufig sind viel mehr technische Gründe für die Tendenz entscheidend. Wobei hiermit nicht die Charttechnik gemeint ist, sondern die unterschiedliche Positionierung der verschiedenen Anleger. Oft steigen Kurse nur deshalb, weil viele short positionierte Anleger ihre Engagements eindecken müssen, oder weil Fondmanager unterinvestiert sind und zukaufen müssen, um den Vergleichsindizes nicht zu stark hinterherzuhinken. Fallen die Kurse, kann dies durchaus auch darauf zurück zu führen sein, dass es woanders kracht, und einfach Liquidität gebraucht wird.
Doch wer würde diese Erklärungen schon verstehen, aber was noch viel schwieriger wäre: Wer kennt diese Erklärungen wirklich. Und so nimmt sich der Börsenkommentator den bunten Strauß von Nachrichten vor, der sich ihm täglich bietet und sucht die für ihn passenden Nachrichten heraus. So wie André Kostolany es einst sagte: „An der Börse machen nicht die Nachrichten die Kurse, sondern die Kurse machen die Nachrichten!“
Momentan ist es stets die Eurozone die für jeglichen Kurssturz verantwortlich gemacht wird. Die Schwäche am heutigen Dienstag wird auf die Problem der spanischen Sparkasse Cajasur zurückgeführt, die von der spanischen Notenbank übernommen werden musste, um sie vor der Insolvenz zu bewahren. An keiner Stelle wird so deutlich, wie asymmetrisch die Marktteilnehmer derzeit die Nachrichten wahrnehmen. Denn während bereits wieder über 70 Bankpleiten bzw. Notübernahmen in den USA im laufenden Jahr zu verzeichnen sind, und keinerlei Reaktion hervorrufen, löst eine spanische Sparkasse in Schwierigkeiten Kursstürze aus. Doch wie angedeutet glaube ich nicht, dass diese Nachricht der tatsächliche Grund für die fallenden Aktienkurse sind. Der Grund dürfte vielmehr in einem wochenlang unverhältnismäßig hohen Optimismus an der Wall Street liegen, der nun sukzessive abgebaut wird. Die US-Börsenbriefe drückten eine Zuversicht aus, als ob es eine Finanzkrise nie gegeben hätte und keine Gefahren für die US-Konjunktur bestünden. In Deutschland war die Situation die ganze Zeit über anders. Kein Stimmungsindikator zeigte überbordenden Optimismus. Eher das Gegenteil war in den Kommentaren von Analysten zu vernehmen. Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die deutsche Börse vom Hoch Ende April nur elf Prozent verloren hat während beim breiten amerikanischen Index S&P500 14 Prozent zu Buche schlagen. Das ist äußerst ungewöhnlich, weil der DAX fast immer dynamischer ist, als die großen US-Indizes und in der Regel schneller steigt, aber auch schneller fällt als die Leitbörse. Die deutsche Börse dürfte durch die jüngsten Kursstürze technisch noch besser da stehen als schon zuvor. Die Frage ist nur, ob die Wall Street bereits genügend bereinigt ist, oder ob die Konsolidierung hier noch anhalten wird. Dann wird auch an der deutschen Börse nichts zu gewinnen sein. Die Stimmungsindikatoren müssen diesbezüglich weiter aufmerksam verfolgt werden.
Ein generelles Ende der im vergangenen März begonnen Erholung sehe ich jedoch nicht. Was die Märkte vor allem getrieben hat, ist die Liquidität. Diese wird durch die erneuten Rettungsmaßnahmen der Notenbanken und zuletzt insbesondere seitens der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter reichlich fließen. Die von vielen bereits für dieses Frühjahr vorausgesagten Zinserhöhungen werden bis auf unbestimmte Zeit verschoben. Die fallenden Zinsen der Staatsanleihen solvent eingeschätzter Länder passen sich hier an die Realität an. Zu Aktien fehlt damit mehr denn je die Anlagealternative. Der DAX wirft beispielsweise eine Dividendenrendite von 3,4 Prozent ab, während es für kurzfristig angelegtes Geld nur noch Zinsen von knapp über Null gibt.
Wenn an der Wall Street die zu großen Long-Engagements hochspekulativer Anleger erst einmal abgebaut worden sind, könnte diese Relation wieder ins Blickfeld der Anleger rücken und die Kurse erneut auf Jahreshöchststände befördern. Insbesondere deutsche Aktien sollten profitieren. Wie an den Anleihemärkten zu beobachten ist, flüchten die Anleger wenn sie den Euro derzeit nicht verlassen wollen, in deutsche Anleihen. Das könnte auch für Aktien demnächst gelten. Denn bräche der Euro tatsächlich auseinander, will jeder seine Euros natürlich in D-Mark und nicht in Drachme, Peseta oder Lire umgetauscht bekommen. Und das geht nur, wenn das Geld in Deutschland investiert ist.
Stefan Riße, ist Deutschlandchef und Chefstratege von CMC Markets. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, liegt aktuell auf Platz 2 der Manager-Magazin Bestsellerliste
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