Kommentar
15:40 Uhr, 25.11.2011

Neubewertung am Aktienmarkt

Als ich Anfang Oktober am Aktienmarkt auf Optimismus umschaltete mit einem Kursziel von 6.300 Punkten im DAX, da hielten mir einige meiner Leser mit Blick auf die von mir immer wieder zitierten Stimmungsindikatoren entgegen, dass die Anlegerstimmung noch nicht die Tiefs der Lehman-Krise erreicht hätten, und insofern noch Abwärtspotenzial bestehe. Die Beobachtung war fraglos richtig, doch müssen für die Wende eines Marktes nicht immer Extremwerte erreicht werden. So einfach macht es uns der Markt und die Sentimentanalyse leider nicht, dass es einen Wert gibt, den der Anleger nur abzuwarten braucht, und es dann wieder automatisch nach oben geht. Wie extrem negativ die Stimmung sein muss, damit es wieder nach oben geht, hängt am Ende auch von der fundamentalen Situation ab. Gibt es keinen Anlass zur Sorge in Bezug auf die wirtschaftliche Zukunft oder irgendwelche politischen Entwicklungen, dann müssen keine Extremwerte erreicht werden, damit der Markt dreht. Es fehlt ganz einfach die Bedrohungslage, die eine derart depressive Stimmung rechtfertigen würde. Ist es aber umgekehrt, und fürchten die Anleger den totalen Zusammenbruch des Systems oder der Konjunktur, was im Anschluss an den Lehman-Crash zweifelsfrei der Fall war, dann muss die schiere Hoffnungslosigkeit eintreten, bevor sich sagen lässt: Die schlechten Nachrichten sind von den Kursen bereits eskomptiert.

Auf die aktuelle Situation angewendet, muss ich heute einsehen, dass die Bedrohungslage in der Eurozone dramatischer ist, als ich dies so schnell erwartet habe. Dass die Währungsunion zu einem Riesenproblem wird, habe ich bereits 2009 in meinem Buch „Die Inflation kommt!“ genau analysiert. Vor allem die immer wieder erwähnte Disparität in der Wettbewerbsfähigkeit machte und macht mir die größten Sorgen. Nur mein grundsätzlich - am Aktienmarkt leider oft zu frühes positives Denken -hatte mich hoffen lassen, dass mit dem Schuldenschnitt für Griechenland zunächst einmal Ruhe einkehren, und die Börse sich weiter erholen würde. Diese Einschätzung war vollkommen falsch. In der Tat hat sich die Situation in der Eurozone dramatisch zugespitzt. Als Riesenfehler erweisen sich vor allem die jetzt in Kraft tretenden höheren Eigenkapitalanforderungen für die Banken. Diese werden so quasi gezwungen, die Staatsanleihen aus der Eurozone auf den Markt zu werfen. Und die EZB hat kein unbegrenztes Mandat, diese aufzukaufen, weil Deutschland sich gegen die vollkommene Aufgabe der Stabilitätskultur stemmt. Zwar müssten die Anleihekäufe der EZB eigentlich positive Wirkung auf die Aktienmärkte haben, doch im Gegensatz zum Quantitative Easing der Federal Reserve werden diese durch Geldmarktoperationen neutralisiert. Diese Tatsache zusammen mit der Bilanzverkürzung der Banken macht es auch schwer einzuschätzen, ob der Faktor Liquidität tatsächlich so positiv zu bewerten ist, wie erhofft.

Das Fazit ist simpel: Vor dem Hintergrund der Nachrichtenlage und der nicht klar einzuschätzenden Liquiditätssituation, ist es durchaus möglich, dass eine Marktwende erst eintritt, wenn die Stimmungsindikatoren extrem negative Werte erreichen, die sie derzeit zweifelsfrei nicht aufweisen. Offenbar hatten doch viele Anleger auf eine Jahresendrallye gesetzt. Diese müssen jetzt raus und der Prozess ist wohl noch nicht abgeschlossen, wie auch eine mögliche Neubewertung der Situation durch langfristigere Investoren, die ebenfalls Bestände abbauen.

Ich wechsle damit nicht gleich ins Lager der Short-Spekulanten, habe meine Long-Positionen im DAX aber heute zur Eröffnung aufgelöst. Da ich damals bei 5.305 im DAX eingestiegen und Teile der pyramidisierten Position bei 6.250 glattgestellt habe, verbuche ich wenigstens noch ein Plus, wenn auch deutlich kleineres als erhofft.

Womöglich werde ich jetzt mit dieser Kolumne zu meinem besten eigenen Kontraindikator, und der Markt setzt noch heute oder in der kommenden Woche zu einer Erholungsrallye an. Doch das Risiko muss ich eingehen. André Kostolany riet, ein Börsenengagement sofort aufzulösen, wenn es einem eine schlaflose Nacht bereitet habe. Dem Ratschlag folge ich hiermit.

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