Kommentar
08:38 Uhr, 09.04.2015

Liquiditätsillusionen

Investmentfonds gehen massiv in Unternehmensanleihen, während sich die Banken aus diesem Markt verabschieden. Aus dieser Entwicklung erwächst ein hohes Liquiditätsrisiko, welches momentan noch von den Zentralbankinterventionen maskiert wird.

Mindestens drei strukturelle Trends mit gegenseitiger Wechselwirkung dominieren derzeit die Finanzmärkte:

Zum einen verknappt sich der Pool an zur Verfügung stehenden Sicherheiten bester Bonität immer weiter, und treibt damit die Renditen über das gesamte Spektrum auf historische Tiefstände.

Zum anderen wäre da die rasant wachsende globale Asset Management-Industrie, deren verwaltetes Vermögen wahrscheinlich noch in dieser Dekade die Grenze von 100 Billionen Dollar übersteigen wird.

Drittens werden die Banken unter dem weiterhin präsenten Eindruck der Finanzkrise von den Regulierern stark unter Druck gesetzt, ihre immanenten Risiken zu vermindern.

Jedes dieser drei Phänomene für sich gebiert unmittelbare Konsequenzen, aber auch das gemeinsame Produkt birgt mittelfristige Risiken, die betrachtenswert scheinen.

Seit den 80er Jahren kennen die Zinsen nur noch eine Richtung – nämlich nach unten. Ausgehend von 15% im Jahr 1981 liegt die Rendite für Staatsanleihen der USA mit einer Laufzeit von 10 Jahren mittlerweile bei unter 2% (siehe Chart 1 lhs). Dass die amerikanische Notenbank seit der Finanzkrise damit begonnen hat den Markt an Staatsanleihen zusätzlich zu beschneiden, war diesem Trend sicherlich nicht abträglich.


Die komprimierten Spreads wiederum boten günstige Konditionen zur Platzierung von Unternehmensanleihen, und so hat die Größe des entsprechenden Marktes mit mittlerweile fast 8 Billionen Dollar einen neuen Rekordwert erreicht (siehe Chart 1 rhs).

Dieses Umfeld, trifft – bzw. wird begünstigt - durch ausgeprägte Ersparnisüberschüsse, die mit voller Wucht in die Märkte drängen.

Ausdruck dieser Entwicklung ist das rasante Wachstum der Vermögensverwaltungsindustrie zum Beispiel von amerikanischen Mutual Funds, deren Assets Under Management sich seit der Finanzkrise mehr als verdoppelt haben und derzeit nördlich von 15 Billionen Dollar liegen (siehe Chart 2 lhs). Am Kreditmarkt haben diese Investmentfonds ihr Engagement im entsprechenden Zeitraum von 2,2 Billionen auf 4,8 Billionen Dollar gesteigert (siehe Chart 2 rhs).


Die meisten Gelder der Fonds flossen dabei in Unternehmensanleihen und hier insbesondere in das High Yield-Segment, welches seinen Portfolio-Anteil bei Mutual Funds seit der Finanzkrise vervierfachen konnte.

Ganz anders ist die Situation auf der Seite der Finanzinstitute. Während Banken vor 2008 noch mit über 100 Milliarden Dollar in Anleihen investiert waren, haben sie ihr entsprechendes Engagement in den letzten Jahren drastisch eingeschränkt und halten mittlerweile nur noch Papiere im Wert von rund 60 Milliarden (siehe Chart 3 rhs).


Bei den im Wertpapierhandel tätigen Brokern und auf eigene Faust handelnden Dealern stellt sich der Rückzug noch dramatischer dar. Die Differenz aus den Unternehmensanleihen auf der Aktivseite (eigene Wertpapiere) und der Passivseite (Kundenmittel) hat sich innerhalb der letzten Jahre von über 700 Milliarden auf unter 300 Milliarden Dollar verringert (siehe Chart 3 lhs).

Über die Bestände der Primary Dealer wird sichtbar, dass diese Schwindsucht hauptsächlich der Reduzierung von Unternehmensanleihen geschuldet ist.

Mit entscheidend für das nachlassende Eigeninteresse von Banken und Broker-Dealern ist die sogenannte „Volcker Rule“, welche in diesem Sommer (zumindest für Banken) verbindlich in Kraft treten wird.

Obwohl der Eigenhandel von Finanzinstituten weder Ursprung der Finanzkrise war, noch im entsprechenden Zeitraum übermäßige Verluste erzeugt hatte, wird dieses sogenannte „Proprietary Trading“ für Banken und Broker-Dealer ab Juli 2015 – mit einigen Ausnahmen – in Bezug auf bestimmte Papiere prinzipiell untersagt sein.

Neben Hedging ist das wichtige Market-Making zwar weiterhin gestattet, allerdings gelten für diese Aktivitäten nun strengere Regeln. Um dem Anreiz vorzubeugen, Eigenhandel als Market-Making zu tarnen, dürfen die Trading Desks der Finanzfirmen beispielsweise keine Positionen mehr eingehen, welche die zu erwartende Nachfrage von Kunden signifikant übersteigen.

So verständlich es vielleicht war, eine politische Antwort auf die Finanzkrise zu formulieren, so zweifelhaft sind jedoch die unfreiwilligen Konsequenzen dieses regulatorischen Ungetüms.

Anstatt nämlich die durch Eigenhandel anfallende Risiken für den Bankensektor zu eliminieren, werden diese durch die neuen Regelungen nur ermuntert in andere, weniger regulierte Marktsegmente abzuwandern. Clemens Schmale fasst im Artikel „Nie wieder Bankenkrise?“ die hauptsächliche Problematik in einem Absatz zusammen:

Das mit Anleihen verbundene Risiko ist nicht weg. Es ist nur nicht mehr bei den Banken. Das Risiko ist zu institutionellen und privaten Investoren gewandert. Viele von den privaten Investoren sind Kleinanleger, die eigentlich geschützt werden sollten.

Diese Gefahren, auf welche der Kollege verweist, bestehen vor allem aus potentiellen Liquiditätsrisiken, die sich tief in der Struktur des Marktes für Unternehmensanleihen verbergen, aber jederzeit zu Tage treten können.

Marktliquidität ist ein flüchtiges wenig greifbares Gut und kann aus den unterschiedlichsten Gründen kommen und gehen. Messbar ist sie auf verschiedene Weise, wie zum Beispiel über den Bid/Ask-Spread, die Markttiefe, die sogenannte „Market Resiliency“ oder das Handelsvolumen relativ zur Marktgröße.

Die Definition ist vielschichtig und komplex, aber vereinfacht gilt, dass Liquidität ein Maß dafür ist, inwiefern ein Papier, ohne den Marktpreis signifikant zu bewegen, verkauft oder gekauft werden kann.

Grundsätzlich ist der Markt für Unternehmensanleihen von Natur aus weit weniger liquide als zum Beispiel der Markt für Staatsanleihen. Da sich aber seit der Finanzkrise immer mehr Investoren auf ihrer Jagd nach Rendite in diesem Segment tummeln, und der steigende Bedarf von den Unternehmen gerne bedient wird, ist ein trügerischer Eindruck entstanden, der auf Dauer nicht zu rechtfertigen ist.

Während sich die „ruhigen Hände“, sprich die Banken und Dealer, die im Falle einer Krise mit ihren eigenen Assets die Rolle als Liquiditätsgeber ausfüllen können, zunehmend aus dem Markt verabschieden, drängen immer stärker Mutual Funds und ETFs (siehe Chart 4) in den Markt.


Beide Investmentvehikel gelten als hochliquide, da die investierten Gelder jederzeit abgezogen werden können, und werden hauptsächlich von Retail-Investoren genutzt, die sich eines grundlegenden Widerspruches oft nur wenig bewusst sind:

In einem strukturell wenig liquiden Markt, der gekennzeichnet ist von der zunehmenden Abwesenheit von Banken, Brokern und Dealern, ist das Versprechen von Liquidität wenig nachhaltig, und Privatanleger könnten weitaus höhere Liquiditätsrisiken in ihren Büchern haben als vermutet.

Ein Fallbeispiel: Die Fed steigert trotz durchwachsenen Makrodaten im Juni den Leitzins um 25 Basispunkte und erwischt damit viele Anleger auf dem falschen Fuß. Innerhalb weniger Stunden haben High Yield-ETFs massive Abflüsse zu verkraften, und drücken deren Kurse unter den Wert der den zugrunde liegenden Bonds.

Im Normalfall würde jetzt die Banken ETF-Anteile, sogenannte „Creation Units“ kaufen und gleichzeitig die entsprechenden Bonds shorten, um das Gap per Arbitrage wieder zu schließen. Die entscheidende Frage ist nur – wird dieser Käufer im Ernstfall wirklich auf den Plan treten, und wird es dann überhaupt Käufer für Bonds geben, welche zum Leerverkauf stehen, oder wird eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale in Gang gesetzt?

Das bissige Resümee: Eine amerikanische Bankenkrise wird es möglicherweise nicht mehr sein, welche dir Märkte beim nächsten Black Swan-Alarm schocken wird, hier haben die Regulierer vorgesorgt.

Vielmehr könnten Privatanleger sich dann schmerzhaft gewahr werden, dass sie möglicherweise an der falschen Stelle Beifall geklatscht haben, als Paul Volcker seine Vorstellung eines sicheren Bankensystems präsentierte.

Der brilliante Andrew Haldane von der Bank of England hält es jedenfalls nicht für ausgeschlossen, dass das nächste Sigma-X-Event der Fall eines großen Asset Managers sein könnte:

Future illiquidity pressures in financial markets, generated by asset management distress or wholesale portfolio reallocation, may be larger and more potent. In other words,Black Swan risk in asset management may be real and rising.

Die Rechnung geht dann praktischerweise direkt an den Privatanleger.

13 Kommentare

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  • Bradley
    Bradley

    Sehe ich auch so, aber ist das wünschenswert?

    21:26 Uhr, 09.04. 2015
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn

    Alles kein Problem.

    Mario Draghi wird Market Marker und sorgt für unendlich Liquidität. In allen Wertpapierklassen :)

    20:28 Uhr, 09.04. 2015
  • Bradley
    Bradley

    Die folgende Nachricht sagt doch eigentlich alles über unser derzeitiges Finanzsystem aus.

    Die eben abgeschlossene Bond-Auktion war von einer nur schwachen Nachfrage begleitet. Der Anteil der direkten Bieter lag mit nur 7,0% signifikant unter dem 12-Auktionsdurchschnitt von 17,2%. Indirekte Bieter, zu denen auch ausländische Zentralbanken gehören, sprangen teilweise in die Lücke und kauften 51,2% (Durchschnitt 47,5%) der Anleihen auf.

    20:03 Uhr, 09.04. 2015
  • Bradley
    Bradley

    Jetzt mal Spaß beiseite, finde Sie Herr Hauser/Schmale was momentan bezüglich der "Geldschwemme" und der damit einhergehenden "Null-Zinsen" unsere Finanzwelt noch in Ordnung, oder läuft hier was vollkommen aus dem Ruder?

    19:43 Uhr, 09.04. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Simon Hauser
    Simon Hauser Redakteur

    Ich schwöre ich habe mich weder mit Clemens Schmale noch mit Jamie Dimon abgesprochen, aber das sagt der Chef von JPM zum kommenden Liquiditäts-Crash:

    "There already is far less liquidity in the general marketplace: why this is important to issuers and investors

    Liquidity in the marketplace is of value to both issuers of securities and investors in securities. For issuers, it reduces their cost of issuance, and for investors, it reduces their cost when they buy or sell. Liquidity can be even more important in a stressed time because investors need to sell quickly, and without liquidity, prices can gap, fear can grow and illiquidity can quickly spread – even in supposedly the most liquid markets.

    Some investors take comfort in the fact that spreads (i.e., the price between bid and ask) have remained rather low and healthy. But market depth is far lower than it was, and we believe that is a precursor of liquidity. For example, the market depth of 10-year Treasuries (defined as the average size of the best three bids and offers) today is $125 million, down from $500 million at its peak in 2007. The likely explanation for the lower depth in almost all bond markets is that inventories of market-makers' positions are dramatically lower than in the past. For instance, the total inventory of Treasuries readily available to market-makers today is $1.7 trillion, down from $2.7 trillion at its peak in 2007. Meanwhile, the Treasury market is $12.5 trillion; it was $4.4 trillion in 2007. The trend in dealer positions of corporate bonds is similar. Dealer positions in corporate securities are down by about 75% from their 2007 peak, while the amount of corporate bonds outstanding has grown by 50% since then"

    18:41 Uhr, 09.04. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Investor
    Investor

    Super.

    Die Risiken werden von den Banken an die Privaten weitergereicht. Und das alles nur, weil man keine Banken mehr retten will?

    Was fehlende Liquidität bedeuten kann, haben wir ja schon bei der Auslösung des Eur/CHF peg gesehen. Extrem hohe Volas und überschiessende Kurse wenn alle durch die gleiche Tür wollen und sich die Käufer zurückhalten. Wegen dieses Effektes sind ja viele EM ETFs synthetisch und das Vola Risiko liegt über die swaps wieder bei den Banken.

    11:53 Uhr, 09.04. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • iapetos
    iapetos

    Danke für den Artikel. Ich habe eben noch mal den Artikel von Clemens Schmale gelesen (http://www.godmode-trader.de/artikel/nie-wieder-bankenkrise,4163333) und muss zugeben, dass ich diesen beim erstem Mal nicht richtig verstanden habe.

    09:27 Uhr, 09.04. 2015

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Über den Experten

Simon Hauser
Simon Hauser
Redakteur

Simon Hauser hält für Guidants News die Stellung in North Carolina und sendet aus sicherer Entfernung zur Wall Street Echtzeitnachrichten in die Welt. Leider spielen die Kennzahlen der Wirtschaftsteilnehmer oft nur eine untergeordnete Rolle und werden dominiert von einem hysterischen Medienzirkus, punktundkommalosem Zentralbank-Blubber, und mysteriösen Algo-Kreaturen. Simon Hauser hat über die Jahre als aktiver Börsenteilnehmer ein krudes Interesse für diese Dinge, welche in einer perfekten Welt eigentlich keine Rolle spielen sollten entwickelt, und versucht (mit wechselndem Erfolg) zu ergründen was die Kurse wirklich treibt.

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