Kommentar
12:59 Uhr, 30.11.2016

Ist Charttechnik nur Kaffeesatzleserei?

Verschiedene Studien werfen kein gutes Licht auf das Lesen und Interpretieren von Charts. Ob Trendlinien, Candlesticks oder technische Indikatoren, so richtig wollen Charts nicht die Kurse von morgen hervorsagen. Warum eine Chartanalyse dennoch sinnvoll sein kann, darum geht es in diesem Artikel.

Fragt man Finanzwissenschaftler und Statistiker nach ihrer Meinung zur Charttechnik, dann bekommt man selten Begeisterung zu spüren. „Kaffeesatz-Lesen“ oder „keine positiv erwarteten Renditen“ sind die häufigsten Urteile von Professoren, wenn es um Charts geht. (1)

Warum schauen dann doch alle auf die blinkenden Kurse?

Ich denke bei der Frage, ob Charttechnik sinnvoll ist oder nicht, muss man zwischen zwei Anlegergruppen unterscheiden.

1. Mittel- bis langfristige Anleger (Institutionelle und Private)
2. Kurzfristige Trader (Eigenhandel und Private)

Ich bin der Überzeugung, dass Charts für mittel- bis langfristige Anleger keinen Mehrwert bieten. Die Vorstellung, dass ein Privatanleger oder Fondsmanager mit seinem Portfolio anhand von Trendlinien oder Handelssignalen bessere Ergebnisse erzielt als der Marktdurchschnitt, halte ich für eine Illusion. Es gibt Ausnahmen, aber diese befinden sich im Bereich einer so kleinen Gruppe, dass wir sie als Zufallserfolge verbuchen können.

Der Durchschnitt der Anleger wird nicht den Durchschnitt des Marktes (z.B. DAX-Rendite) mit der Charttechnik bezwingen.

Ich möchte erklären warum.

Was kann Charttechnik leisten?

Man kann die Charttechnik unterschiedlich einsetzen. Man kann versuchen, auf Basis ihrer Kursverläufe und Indikatoren bestimmte, wiederkehrende Handelssignale erzeugen zu lassen. Das wäre eine einfache und eindimensionale Anwendung der Charttechnik. Ein Anleger könnte zum Beispiel einen gleitenden Durchschnitt mit seinem Chartprogramm erzeugen (bspw. die berühmte 200-Tagelinie) und damit Handelssignale generieren. Schließt das zu handelnde Wertpapier über der 200-Tagelinie, gibt es ein Kaufsignal. Schließt es darunter, ein Verkaufssignal.

Was auf den ersten Blick vielversprechend aussieht, erweist sich langfristig als eine recht frustrierende Handelsanweisung. Mal funktioniert es blendend, mal liefert das Signal viele Fehlsignale in Folge. Was die meisten nun machen würden, wäre durch weitere Handelssignale, Filter und Optimierungen ein Handelssystem zu finden, das in der Vergangenheit perfekt funktioniert hätte. In der Zukunft wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit versagen. Ich habe selbst viele Jahre mechanische Handelsysteme entwickelt und meine Erfahrungen in diesem Artikel veröffentlicht (Wie ich fast die Tradingformel löste und scheiterte).

Charts sind wie falsche Landkarten

Doch Charts sind nicht völlig unbrauchbar. Ich denke, man muss Charts in einem anderen Licht sehen. Stellen wir uns Charts als eine Art Landkarte vor. Nehmen wir an, man würde uns mit verbundenen Augen in einer (für uns unbekannten) Stadt aussetzen, sagen wir im schönen München, und wir sollten wieder nach Hause finden. Die einzige Hilfe die man uns gäbe, wäre ein Stadtplan von Frankfurt.

Was wäre nun besser? Sich in München mit dem Stadtplan von Frankfurt zurechtzufinden oder gar keine Karte zu nutzen?

Das ist schwierig. Auf der Karte stehen fremde Straßen, Gebäude, Haltestellen und was man halt noch so auf Karten findet. Wenn wir uns exakt an die Karte von Frankfurt hielten um uns in München zurecht zu finden, würden wir uns wahrscheinlich bestenfalls im Kreis drehen.
So ungefähr ist das, wenn man versucht, aus Charts Handelssignale abzuleiten. Der Tag gestern an der Börse ist nicht der heutige Tag. Frankfurt ist nicht München.

Die Geschichte der Kurse ist demnach unbrauchbar, aber auch nicht völlig nutzlos.

Eine falsche Karte (wie die von Frankfurt) würde uns vielleicht verraten, dass eine Eisenbahnschiene grundsätzlich zu einem Bahnhof führt, der meist im Zentrum gelegen ist. Oder dass an einer großen Straße oft Geschäfte zu finden sind. Oder dass es am Wasser oft Cafés gibt, aber leider eben nicht immer. Es wäre kein konkreter Plan, aber eine Orientierung.

Kommen wir damit zur zweiten Gruppe, den Tradern.

Alle erfolgreichen Börsenhändler, die ich getroffen habe, sind ausgemachte Risikomanager. Sie lieben es, täglich mit der Unsicherheit zu jonglieren. Der Größte unter ihnen ist wohl George Soros, den ich in bereits in einem Artikel vorgestellt habe (5 Empfehlungen für Privatanleger von Starinvestoren (Teil 5: George Soros). Wenn wir uns die Essays und Aussagen von George Soros anschauen (Pflichtlektüre für alle angehenden Trader), dann finden wir dieses Spiel der Wahrscheinlichkeiten wieder. (Soros: „I'm only rich because I know when I'm wrong.“)

Charts können eine Hilfe sein, Risiken zu managen

Die Chartanalyse kann dabei unterstützen, einen Plan, eine Strategie unter Unsicherheit zu entwickeln.

Staut sich bspw. der Chart in einem Dreieck, dann folgt irgendwann ein dynamischer Ausbruch der Kurse. Ein erfahrener Chartist (oder Kartenleser) hat so ein Dreieck schon x-mal in seiner Tradinglaufbahn gesehen und kann daraus einen Tradingplan entwickeln. Das Dreieck muss sich dabei nicht exakt so entwickeln wie am Tag zuvor, es reicht die Vorlage.

In diesem Fall sind Charts und ein Blick in die Vergangenheit der Kurse eine nützliche Unterstützung, Tradingpläne zu entwerfen. Ein brauchbares Werkzeug für alle Trader.

Für einen Anleger (egal ob Privatanleger oder Fondsmanager) wäre das hingegen eine unpraktische Methode zu investieren. Er müsste sein Portfolio ständig in Bewegung halten. Allein die Diversifikation würde es erfordern, in verschiedenen Basiswerten permanent nach Mustern und Signalen Ausschau zu halten. Ein Trader hingegen handelt meist nur in einem oder zwei Lieblingswerten. Dazu kämen die Transaktionskosten, die für einen Anleger höher ins Gewicht fallen als für einen Trader. Das ist bspw. die Ursache, warum sich die grundsätzlich erfolgreiche Momentum-Strategie (Starke Aktien kaufen, schwache Aktien verkaufen) nicht profitabel in einem Fonds abbilden lässt.

Fazit

Stellen Charts nun einen Mehrwert für Anleger dar oder nicht? Das kommt darauf an, ist meine Antwort.

Für einen Investor, der eine Anlageentscheidung treffen will (kaufe oder verkaufe ich diese Aktie) stellen Charts keinen Mehrwert dar, das haben Studien und Auswertungen von mechanischen Handelssignalen gezeigt. (2)

Für kurzfristige Trader oder Anleger die in Szenarien denken, können Charts hingegen eine brauchbare Unterstützung sein um Entscheidungen unter Untersicherheit zu treffen. Die Historie der Kurse verrät dabei nicht, wohin sich die Kurse der Zukunft entwickeln werden, sie gibt aber einen Anhaltspunkt welche Strategien (Tradingpläne) zum Einsatz kommen sollten.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

--
(1) Martin Weber Interview: Aktien sind eine riskante ... Was man über Aktien wissen muss - und was man besser vergessen sollte. inforadio.de (21.02.07)
(2) Fortgeschrittene technische Indikatoren am Aktienmarkt. Dr. Christian Hornbach u.a. Technische Universität Kaiserslautern, 2011.

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11 Kommentare

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  • Joey-the-bee
    Joey-the-bee

    Sehr schöner polarisierender Beitrag Herr Penndorf. Es läuft darauf hinaus, dass man so oder so Geld machen kann. Die Frage jedoch ist wer macht nachhaltig gesehen mehr Gewinn. Alleine schon die Transaktionskosten sind wahrscheinlich ein erheblicher Nachteil für den erfolgreichen Trader. Mein Ansatz ist es die Charttechnik als auch die Fundamentalanalyse zu kombinieren.

    09:55 Uhr, 01.12. 2016
  • Chronos
    Chronos

    C´Mon

    Ist ja nett, das comments ("moderiert") gelöscht werden und das "sicher total zufällig" Artikel mit exakt dem Inhalt und den Ansätzen enstehen. T. Krieg und C.Schmale sind auch so Herzchen. T. Krieg mit JnJ ./. Henkel oder USD POV

    Erspart einen zumindenst das Lesen. Alles, schein mental nicht angekommen zu sein.

    Moderation hat technisch hier auch noch nie geklappt. Einzig von Lassie (Tyler) klappt es, was ist das Island of lonesome dicks (mea c ducks)

    15:48 Uhr, 30.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Chronos
    Chronos

    +++

    15:43 Uhr, 30.11. 2016
  • Rolandus11
    Rolandus11

    Also dass Handelssysteme mit langfristigen gleitenden Durchschnoitten langfristig nicht funktionieren ist wohl falsch.

    Unten stehend ist ein System Long only mit langfristigen GDs abgebildet, dass

    kaufen und halten klar geschlagen hat. Unten ist die Performance (Equity-Kurve) abgebildet..

    Das System ist nicht mit dem Computer oprtimiert! Und es ist auch kein Zufallstreffer, da auch andere Basiswerte damit gehandelt werden können.

    http://fs5.directupload.net/images/160608/3f7cyzmj.jpg

    15:28 Uhr, 30.11. 2016
    1 Antwort anzeigen
  • Schtonk
    Schtonk

    Ich empfehle Ihnen, sich bei Rocco Gräfe anzumelden. Der wird Sie nachhaltig eines Besseren belehren ;).

    13:23 Uhr, 30.11. 2016

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Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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