Kommentar
11:52 Uhr, 28.09.2016

Wie ich fast die Tradingformel löste und scheiterte

Als ich anfing als Daytrader mein Geld an den Märkten zu verdienen, war ich regelrecht besessen von Handelssystemen und ihren gewinnversprechenden Signalen. In den Jahren während und nach der Universität verbrachte ich ganze Nächte und Wochenenden in meinem Kämmerchen, immer auf der Suche nach einem noch besseren Handelssignal.

Meine ersten Handelsideen basierten auf Elliott-Wellen. Da mir dieser Ansatz aber zu semantisch war, vergrub ich mich daraufhin unter Bergen von Programmiercodes aller möglichen Indikatoren in den verschiedensten Zeitfenstern. Nach vielen Monaten unermüdlicher Suche und tagelangen "Backtests", das sind historische Rückrechnungen von Chartsignalen, schien ich die Gewinnformel aufgestellt zu haben.

Eine Kombination mehrerer Zeitebenen, ganz nach der Lehre von Dr. Alexander Elder, und einer Komposition optimierter Parameter der berühmten Bollinger-Bänder und eines Momentum-Indikators, kurz CMO, benannt nach seinen Erfinder Trushar Chande, lieferte in der Rückrechnung erstaunliche Ergebnisse.

Zu dieser Zeit befand ich mich schon im regen Austausch mit institutionellen Tradern und Fondsmanagern in Frankfurt, sodass ich wusste, dass ein Handelssystem ohne einem "Out-of-Sample-Test" keinen Pfifferling wert war. Bei dieser Überprüfung des Handelssystems verwendet man einen noch größeren Datensatz, als man ihn zur Entwicklung zur Verfügung hatte. Damit soll ausgeschlossen werden, dass das Trading-Modell ein Zufallsergebnis der getesteten Zeitreihe ist. Da ich so überzeugt war, investierte ich mein Geld in historische Tick-Daten und konnte meine Tests auf mehrere Jahre zurückverfolgen.

Die Ergebnisse blieben immer noch phänomenal und ich begann mein Geld nach dieser Strategie zu investieren. Gleichzeitig schickte ich meinen Freunden und Kollegen die Signale, sobald sie auftraten.

Die Resultate im „Live-Trading“ bestätigten meine Backtests und ich erzielte mit einer konservativen Moneymanagement-Strategie einen Gewinn von 15 % in nur 3 Monaten. Das war Anfang 2011, als der DAX das erste Mal seit der Finanzkrise wieder ins Schlingern geriet. Auf die guten Ergebnisse folgten Einladungen nach Frankfurt, Zürich und sogar Mallorca, wo interessierte Geldmanager meinen Ansatz kennenlernen wollten.

Angespornt von den zufriedenstellenden Ergebnissen und der Unterstützung meiner Kollegen intensivierte ich mit einem befreundeten Programmierer die Recherchen. Wie zwei Alchemisten glaubten wir, kurz vor der Lösung der Trading-Formel zu stehen, die schon so viele Händler vor uns in die Verzweifelung getrieben hatte. Wir erweiterten den Trading-Algorithmus um verschiedene Risiko- und Moneymanagement-Szenarien, optimierten die Handelszeiten an denen der „Bot“ aktiv wurde und führten Stresstests durch, um zu gewährleisten, dass keine technische Panne den automatisierten Handel in Gefahr bringen würde.

Zu dieser Zeit war mir noch nicht klar, dass das alles nichts nützen würde.

Ich befand mich auf einer Präsentation des Handelssystem in Frankfurt, als der „Black Swan“ für mein Trading-Modell erschien. Wie das Schicksal so wollte, fuhr ich morgens mit dem ersten Sprinter von Berlin nach Frankfurt und mein Kollege konnte ebenfalls nicht auf das System zugreifen – ich weiß nicht mehr warum. Zur Sicherheit hatten wir eingestellt, dass der Trading-Algorithmus jeden Morgen manuell aktiviert werden musste. Als ich gegen 10 Uhr in Frankfurt eintraf und wir telefonierten, hatte das System bereits zwei Gewinntrades verpasst. Wir beschlossen das System für diesen Tag daher deaktiviert zu lassen, da zwei verpasste Gewinnersignale für eine Tagesbilanz sehr entscheidend sein können.

Als ich abends im Hotel die weiteren verpassten Signale des Tages durchsah, wollte ich meinen Augen nicht glauben. Ich dachte zuerst an einen Fehler in der Chartsoftware, aber die Bewegungen an diesem Tag im DAX Future waren so erratisch, dass mein geliebtes Tradingmodell zehn Verlusttrades in Folge produziert hatte.

Die Ergebnisse rissen ein so großes Loch in die Statistik, dass die komplette Modellhistorie obsolet wurde. Für ein Handelsmodell sind nicht nur die Renditeergebnisse entscheidend, sondern auch der Weg hin zu dieser Performance. Der maximale Verlust, die größte Verlustserie und die Zeit, bis sich das Modell von einem Verlust erholt, sind wichtige Kriterien für ein gutes System. All diese Faktoren, die in den Jahren zuvor so gut zu funktionieren schienen, wurden an einem einzigen Tag in Luft aufgelöst.

Ich packte noch am selben Abend meinen Koffer, sagte die Termine für den nächsten Tag per E-Mail ab, und fuhr zurück nach Hause.

Mir wurde schlagartig klar, dass Weiterprogrammieren und Backtesten nicht die Lösung der „Tradingformel“ sein würde.

Ich erkannte zudem, dass ich nicht nur zu eindimensional gedachte hatte (die Märkte sind zu komplex und launisch für ein Handelssystem), sondern dass die Vergangenheit möglicherweise kein verlässlicher Signalgeber für die Zukunft sein könnte.

Ich begann von da an in völlig neue Richtungen zu denken, las Bücher von anders denkenden Finanzexperten wie Nicholas Taleb, Burton Malkiel oder Eugene Fama. Die Thesen der Herren erschütterten meine bisherige Sicht auf die Märkte, doch ich erkannte, dass ich alle klassischen Finanzfehler machte, die zu durchschnittlichen bis unterdurchschnittlichen Renditen geführt hatten.

Warren Buffett hat mal gesagt:

“If past history was all there was to the game, the richest people would be librarians.”

- Wenn man nur die Vergangenheit bräuchte, um das (Börsen-) Spiel zu gewinnen, dann wären die reichsten Menschen Bibliothekare.

Und wahrscheinlich hat der Altmeister auch in diesem Punkt wieder Recht.

Alle vergangenen Bewegungen an den Märkten basierten fast immer auf Entwicklungen, die es vorher noch nicht gegeben hatte. Die Kurse reagierten auf plötzliche, unvorhergesehene Ereignisse. Die großen Einbrüche der letzten Jahre folgten auf Geschehnisse, für die es keine Referenz, keinen Ankerpunkt in der Vergangenheit für die Marktteilnehmer gab.

2008 - nie zuvor war eine internationale Bankenkrise in diesem Ausmaß aufgetreten
2010 - Computerpanne löst Flash-Crash aus
2011 - Atomkraftwerksunglück bedroht Millionenmetropole Tokio
2011 – drohende Staatspleite und Austritt eines EU-Mitgliedsstaats
2011 - Zahlungsunfähigkeit der USA
2014 - Annexion der Krim durch Russland
2015 - Globale Abhängigkeit von China

Das gleiche gilt für Aufschwünge. Jedesmal geschieht etwas Neues, Unerwartetes, eine unbekannte Innovation (Facebook=Soziales Netzwerk, Apple=Smartphone, Tesla=Elektroantrieb...) was die Kurse steigen lässt. Wäre es nicht neu, wäre es schon längst eingepreist.

2009 - Nullzinsen und Anleihenkaufprogramm der FED
2012 - Draghi "Whatever it Takes" Ankündigung
2015 - Anleihenkäufe der EZB ohne Mandat, Negativzinsen

Aber auch in kleinen Zeiteinheiten, auf Tages- oder sogar Intraday-Basis lässt sich dieser Effekt feststellen, insbesondere immer dann wenn Konjunktur- oder Unternehmensdaten veröffentlicht werden, die außerhalb der vorher durch Analysten geschätzten Erwartungsspanne liegt.

Ich fragte mich also, wenn Kursbewegungen zum überwiegenden Teil auf Basis von nicht vorhersehbaren, menschlichen oder natürlichen Ereignissen ausgelöst würden, dann wäre meine Herangehensweise auf Basis vergangener Kursmuster ziemlich unlogisch, gelinde gesagt.

Charts und ihre Handelssignale wären mit dieser "neuen Wahrheit" völlig unbrauchbar und ihr Ergebnis zwangsläufig nur durchschnittlich, wenn überhaupt.

Meine Neugierde war geweckt und ich bewegte mich auf völlig neuem Terrain. Im Laufe des gleichen Jahres (2011) ergab sich dann, wie das Schicksal so wollte, am Ende einer jahrelangen Recherche historischer Kursmuster, die Möglichkeit für mich eine Stelle als Junior Analyst bei einem Broker in Frankfurt anzunehmen, wo ich lernen sollte, wie man Informationen und Nachrichten gewinnbringend ausnutzt.

Rückblickend war die Beschäftigung mit technischen Handelsmodellen eine wichtige Erfahrung für mich. Große Teile des Marktes werden heute auf Basis von Algorithmen und durch technische Modelle bewegt. Diese Effekte werden durch die quantitativen Modelle verstärkt und so zu „selbsterfüllenden Prophezeiungen“. Dies können Sie an den Renditeergebnissen von saisonalen Verläufen („Sell in May and go away“) bis hin zu einzelnen Wochentagen sehen.

Und trotz aller Automatisierung der Märkte sind es doch die menschlichen und natürlichen Faktoren, die die Kursbewegungen ausmachen. Da menschliches Versagen und Naturkatastrophen nur bedingt prognostizierbar sind, werden Handelsmodelle auch in Zukunft nur durchschnittliche Ergebnisse liefern können.

Viele Grüße
Jakob Penndorf

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17 Kommentare

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  • Chamäleon
    Chamäleon

    Wie Sie schon richtig beschrieben haben ist es nicht möglich ein System zu finden

    bei ihrer Herangehensweise. Die Märkte sind Richtigerweise viel zu komplex, besser

    chaotisch, um sie zu "beherrschen". Vorallem, wenn man mit der gleichen komplexität an das

    Thema heran geht. Die Allermeisten glauben, wenn etwas komplex ist muß man

    mindestens ein ebenso komplexes Werkzeug haben um der Sache gerecht zu werden.

    Falsch...... Genau das Gegenteil ist der Fall. Der Hund liegt genau hier begraben, weil

    95% eben nicht in der Lage sind "einfach" zu denken.

    Eine Maschine muß immer komplizierter werden, weil sein Erschaffer das glaubt.

    Aber es geht auch mit einfachen Mitteln... vielleicht nicht so schnell und mit mehr

    Hand - und Kopfarbeit, aber es geht. Und beim Trading verhält es sich genauso,

    auch wenn ....- oder gerade weil - man es sich nicht vorstellen kann.

    - Wenn etwas - gut durchdacht -im Kopf funktioniert, dann funktioniert es auch real.

    Hatte mal ein Kluger Mensch gesagt.

    ( weiß nicht mehr wer es war, aber HS war es nicht. )

    13:39 Uhr, 05.10.2016
  • anweb
    anweb

    Hallo Herr Penndorf,

    vielen Dank für den interessanten Beitrag.

    Als großer Verfechter von automatisierten Handelssystemen, finde ich es schade, dass Sie ihr System wegen eines Black Swan-Ereignisses komplett verworfen haben.
    Hätte man für derartig seltene Fälle nicht einfach das "Panic-Ereignis" verfeinern müssen, im Sinne wie: nach 3 aufeinanderfolgenden Verlusttrades bzw. ab x% Minus soll sich das Programm selber ausschalten...

    Ein performantes System sollte in der Lage sein, solche Ereignisse in guten Zeiten mit zu verdienen. Regelmäßige Entnahmen wären auch ein Ansatz, um größere Verluste abzufedern.

    Viele Grüße.

    12:00 Uhr, 05.10.2016
  • kopfsache
    kopfsache

    das problem beim traden ist der kopf

    darum ist traden kopfsache

    11:08 Uhr, 29.09.2016
  • josua1123
    josua1123

    Wer hatte das Problem - am Beginn seiner Traderkarriere - mit Handelssystemen nicht.

    Auch die diversen Börsengurus mit ihren Büchern helfen kaum

    Am Ende kommt - Der Stein der Weisen - das eigene allumfassende System

    Fazit, Lehrgeld bezahlt und alles gemüllt

    Was meiner Meinung nach am besten funktioniert ist :

    Trade was du siehst,

    der Chart ist die einzige Wahrheit, da liegen die Karten auf den Tisch

    Weiters den ärgsten Feind des Traders - die Gier - ausschalten

    Um 1000€ pM zu verdienen reichen bei 20 Handelstagen staubige 50€ pT.

    23:02 Uhr, 28.09.2016
    1 Antwort anzeigen
  • BOI.
    BOI.

    gratulation ! Toller Artikel. Ich investiere ja immernoch in Schweinebaeuche Kostolani sei Dank :-

    20:04 Uhr, 28.09.2016
  • Charlie
    Charlie

    Ja die Verlusttrades :-) Besonders die gehäuften :-( Kenne ich das Problem. Hatte ich auch schon. Die Warscheinlichkeit sinkt zwar für Verlusttrades in Folge, aber das Geld auf dem Konto wird trotzdem weniger :-) Dafür muss eine Lösung gefunden werden. Eines ist sicher, diese müssen mit eingeplant werden. Bin auch noch am tüfteln, wenn so ein Fall eintritt (Häufung auftreten könnten, in dem jeweiligen Moment), dass entsprechend reagiert werden kann, in welcher Form auch immer :-) :-D

    19:18 Uhr, 28.09.2016
  • Joey-the-bee
    Joey-the-bee

    Perfekter Artike l! Würde es die goldene Formel geben wären wir alle schon längst aus dem Spiel zugunsten der Großen. Risikok streuen und nicht für Gewinne bis weit in die Zukunft Geld hinlegen ist der beste Weg um sein Kapital zu vermehren.

    Viel Erfolg

    16:51 Uhr, 28.09.2016
  • Schnutzelpuh
    Schnutzelpuh

    Zum Schlusresüme.Das ist auch gut so, denn wären die Märkte nicht chaotisch und demnach durch 100%-ig stimmende Handelsprogramme berechenbar, gebe es keine Aktienmärkte mehr.

    16:07 Uhr, 28.09.2016
  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    In einem Markt voller Psychopathen, Selbstdarstellern, Möchtern-Typen und Bitcoin-Propheten wird kein Handelssystem funktionieren. Allerdings finde ich es löblich endlich mal keinen Jetzt-kommt-der-crash Artikel zu lesen.

    15:36 Uhr, 28.09.2016

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Über den Experten

Jakob Penndorf
Jakob Penndorf

Jakob Penndorf teilt seit 2015 seine Expertise als Finanz- und Tradingexperte auf GodmodeTrader und Guidants, den Finanzportalen der BörseGo AG. Er startete seine Karriere als Börsenhändler und Analyst bei einer Wertpapierhandelsbank, war Berater und Fondsmanager für Asset Manager in Frankfurt am Main und Gründer eines Finanztechnologie-Unternehmens in Berlin. Jakob Penndorf hat zahlreiche Lehrgänge absolviert, u.a. ist er akkreditierter Berater der namhaften Investmentgesellschaft Dimensional Funds Advisors (DFA) aus den USA, deren Vorstand und Verwaltungsrat führende Finanzforscher wie Kenneth French, Roger Ibbotson oder Eugene Fama angehören. Jakob Penndorf veröffentlichte zahlreiche Fachartikel über Börsenstrategien, Anlegerverhalten und technische Handelssysteme. Er trainiert Unternehmer, Börsenhändler und Investoren im Umgang mit Risiken an den Finanzmärkten.

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