Geteilte Welt
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„Liquidität + Psychologie = Tendenz“, so beschrieb Börsenaltmeister André Kostolany das Prinzip der Börse. Liquidität sei das Lebenselixier der Börse, so wie das Benzin für einen Motor. Ohne könne er nicht laufen. Doch die Anleger müssten auch bereit sein, Aktien zu kaufen, die Psychologie also müsse ebenfalls positiv sein, damit die Börse steigen könne.
Nur so ist zu erklären, warum die Wall Street gemessen am Stand des S6P 500 Index seit Jahresbeginn fast nichts verloren hat, während die Börsen der Schwellenländer alle deutlich im Minus liegen. Denn wäre die Börse wirklich ein Spiegel der jeweiligen fundamentalen Wirtschaftssituation, müsste es eigentlich umgekehrt sein. Während die USA ein Miniwachstum aufweisen und die Arbeitslosenrate bei knapp unter zehn Prozent verharrt, boomen die Schwellenländer mit Wachstumsraten von teilweise über zehn Prozent wie in China.
Es zeigt einmal mehr, dass der Faktor Liquidität für die kurz- bis mittelfristige Sicht viel entscheidender ist. Denn der Grund für die Widerstandskraft der Wall Street dürfte vor allem im ungehemmten Gelddrucken liegen – Stichwort Quantitative Easing.
In den Schwellenländern hingegen ist die Situation umgekehrt. Hier wuchsen Wirtschaft und Inflation zuletzt so stark, dass deren Notenbanken sich zu Zinserhöhungen gezwungen sahen.
Zwar liegt die Inflation in den alten Industrieländern auch zwischen drei und fünf Prozent, die Notenbanken, können dagegen aber nichts unternehmen, weil die Staaten, Konsumenten, Banken und auch manche Unternehmen so hoch verschuldet sind, dass Zinserhöhungen sofort eine Pleitewelle auslösen und die Volkswirtschaften in eine Rezession stürzen würde.
Unsere Welt ist damit vollkommen zweigeteilt. Auf der einen Seite die Schwellenländer mit moderater Verschuldung, bei denen normale Zinspolitik noch funktioniert und auf der anderen Seite die alten Industrieländer, die an der Billiggeld-Pulle hängen wie ein Alkoholiker. Doch die langfristige Börsentendenz wird immer noch von den Fundamentaldaten bestimmt und deshalb werden die Kurse diesen auch irgendwann Rechnung tragen. Alle Nachrichten, die auf eine Verlangsamung der Konjunktur in den Schwellenländern hindeuten, sind insofern gute Nachrichten, denn dann werden die dortigen Notenbanken die Zügel wieder lockern können und damit den Faktor Liquidität wieder auf positiv drehen.
Die Stimmung, die sich mit der mäßigen Börsentendenz erwartungsgemäß abgekühlt hat, dürfte dann ebenfalls drehen und liefert aus antizyklischer Sicht durchaus Anlass für Käufe auf dem heutigen Niveau. Vor allem Hongkong mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis von acht, erscheint mir nach wie vor interessant.
Mehr von und über Stefan Riße erfahren Sie unter www.rissesblog.de
Stefan Riße, ist Portfolio Manager bei der Hanseatischen Portfolio Management in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.
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