Gefährliche Denkfehler bei ETF-Fintechs
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Die Theorie des passiven Investierens hingegen verweist auf die hervorragenden historischen Renditen der Finanzmärkte, wenn man als Anleger einfach kaufen und liegen gelassen hätte.
Eine gefährliche Schlussfolgerung.
ETFs, „FinTechs“ und „Robo-Advisors“ sind in aller Munde. Es gibt kaum einen Tag, an dem nicht für das Investieren mit Baukasten-Portfolios geworben wird. Das Prinzip ist einfach. Ein Anleger beantwortet online einige Fragen zu seiner persönlichen Situation, seinem Risikoprofil und seinen Anlagezielen und erhält am Ende ein „maßgeschneidertes Portfolio“. Wer schon mal ein Beratungsgespräch bei seiner Bank oder mit einem Finanzvermittler hatte, kennt den Prozess.
Mit meiner Erfahrung als Finanzberater kann ich sagen, dass sich die meisten Menschen in drei Anlageprofile einteilen lassen.
Angsthasen, Mitläufer und Sonntagsfahrer.
(Interessanterweise sind Männer im Beisein ihrer Ehefrauen meist offensiver gestimmt als in Einzelgesprächen, wohingegen Frauen tendenziell ein besseres Risikogefühl besitzen)
Angsthasen haben im Durchschnitt 10 – 20 % Aktien (und viel Gold).
Mitläufer sind die klassischen Mischfonds-Fans, halten dafür Krisen und Crashs durch (50 % Aktien, viele Renten, ein bisschen Gold).
Sonntagsfahrer finden Dividendenpapiere toll, solange die Börse steigt (70 – 100 % Aktien, im Crash meist Änderung der Strategie auf „Sicherheit“).
Daraus ein Portfolio mit Indexfonds zu bauen ist für ETF-Fintechs eine Fünf-Finger-Übung.
Nach Erstellung des Investmentplans kaufen die Algorithmen einen Bausatz passiver Indexfonds. Ist der Anleger tendenziell bereit „höhere Risiken“ einzugehen und gibt als Anlagewunsch beispielsweise eine Zielrendite von 5 % pro Jahr an, dann werden sich in seinem Portfolio zwischen 50 – 70 % Aktienfonds befinden. Beantwortet er die Fragen eher defensiv und möchte nicht mehr als 10 % verlieren, wird sich der Aktienfondsanteil im Bereich zwischen 5 – 20 % befinden. Prinzip verstanden.
Das ganze ist so simpel, dass sich einige Robo-Advisors mit speziellen „Risikomanagementsystemen“ brüsten, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Erklärt werden diese Strategien jedoch fast nie. (1) Meiner Erfahrung nach handelt es sich dabei um typische Equity-Modelle, die Wahrscheinlichkeiten in die Zukunft berechnen. Das sieht dann in der Praxis so aus: „Based on our GS-EQMOVE model which uses fundamental and macro variables, we see an 18 % probability of a 5 % SPX drawdown in the next month vs. a 15 % probability priced by SPX puts.“ (2)
Langfristiger Mehrwert fraglich.
Zurück zum Ausgangspunkt. Wenn wir unsere Rendite- und Risikoerwartungen anhand von historischen Kursverläufen (oder noch schlimmer anhand von wissenschaftlichen Modellen) berechnen, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem es zur bösen Überraschung kommt. Auch "Schwarzer-Schwan"-Moment genannt.
Das hat die Finanzkrise 2008 gezeigt, als die Märkte ungeahnte Volatilitäten und Korrelationen produzierten. Die älteren Anleger erinnern sich an vergleichbare Überraschungen im Oktober 1987 oder 1994 im Bondsmarkt. Wie ich in anderen Artikeln gezeigt habe, ist es fatal seine Entscheidungen auf Basis der Vergangenheit zu treffen. (Retrospektives Verhalten führt zu hohen Verlusten) Gravierender wird es, wenn Zielrenditen und Finanzpläne mit vergangenheitsbezogenen Simulationen berechnet werden. (Was in der Praxis immer noch „Daily Business“ ist)
Dann ist die Enttäuschung vorprogrammiert.
Die Crux an der Geschichte der Börse ist, dass sie uns eine Vorstellung geben kann was ein Anleger erwarten darf (z.B. haben Aktien tendenziell höhere Renditen als Anleihen), aber nicht als Basis für konkrete mathematischen Berechnungen taugt.
Die Philosophie hinter dem passiven Investieren mit Indexfonds sollte also nicht darauf bauen eine historisch ermittelte Zielrendite bei maximalen Draw-Down (Verlustrisiko) von x % zu erwirtschaften. Das wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zu irgendeinem Zeitpunkt schief gehen.
Ein weiser Umgang mit Indexfonds wäre zu sagen: "Ich weiß, dass Aktienindizes in der Vergangenheit bis zu 50 %,60 % manche sogar 70 % eingebrochen sind. Ich bin bereit dieses Risiko zu tragen um höhere Renditen als mit Anleihen oder anderem Nominalvermögen zu erzielen. Wie hoch diese Renditen sein werden, kann ich nicht berechnen, aber sie werden im Durchschnitt einen Inflationsausgleich plus Risikoprämie (für das eingegangene Schwankungs- und Verlustrisiko) erzielen."
Warum ich dennoch Indexfonds für die beste Anlagestrategie halte?
Es ist ganz einfach der Mangel an besseren Alternativen.
Wenn Prognosen an der Börse nicht funktionieren, „Stock-Picking“ sich als Spiel mit dem Feuer erweist und aktive Fondsmanager es nicht schaffen ihren Benchmark-Index zu überbieten (Neue Studie setzt Fondsindustrie unter Druck), was bleibt dann noch?
Ach ja, das Tagesgeld.
Viele Grüße
Jakob Penndorf
--
(1) Robo-Adviser: Scalable Capital im Interview. ETF-Blog.com
(2) Goldman Sachs: High demand for Calls on US Equities & Puts on Treasuries. Twitter.com
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Die Hauptaussage des Beitrags von Herrn Penndorf scheint zu lauten: Verlasse dich als Anleger nicht auf die Wissenschaft bzw. auf wissenschaftliche Modelle. Lese ich seinen Artikel „Wie ich fast die Tradingformel löste und scheiterte“ (http://www.godmode-trader.de/artikel/wie-ich-fast-die-tradingformel-loeste-und-scheiterte,4897101) befürchte ich allerdings, dass er hier etwas durcheinander bringt. Seine intensive, aber vergebliche Suche nach Handelssignalen mittels Technische Analyse („… verbrachte ich ganze Nächte und Wochenenden in meinem Kämmerchen, immer auf der Suche nach einem noch besseren Handelssignal“) betrachtet er als Wissenschaft.
So eine Verwechslung kann schon mal passieren. Auch der Unterschied zwischen Astrologie und Astrophysik ist nicht allen klar.
Lieber Herr Penndorf,
Ihren Beitrag habe ich mit Interesse gelesen. Als Mitgründer von Scalable Capital, einem digitalen Vermögensverwalter, den Sie in einer Ihrer Fußnoten explizit ansprechen, würde ich gerne kurz einige Kommentare und Gedanken hinzufügen.
Zunächst einmal begrüße ich Ihre Forderung nach Transparenz. Wir sehen dies als eines unserer Prinzipien und sind daher nicht nur hinsichtlich unserer Kosten, der Logik für die ETF-Auswahl und der aktuellen Portfolioallokation komplett transparent, sondern auch in Bezug auf unser Anlagemodell. Daher bieten wir als einer von nur wenigen Anbietern ein Whitepaper zum Download an (im Footer unserer Website, Direktlink: https://de.scalable.capital/wp-content/static/Scalable_Capital_Whitepaper_WP04_DE.pdf), das von unserem Mitgründer Professor Dr. Stefan Mittnik, Lehrstuhlinhaber für Finanzökonometrie an der LMU in München, verfasst wurde. Zusätzlich erklären wir sowohl die Funktionsweise unseres dynamischen Risikomanagements (https://de.scalable.capital/dynamisches-risikomanagement/) als auch die wissenschaftlichen Grundlagen hinter unserem Vorgehen (https://de.scalable.capital/empirisch-fundiertes-konzept/).
Außerdem ist es wichtig zu betonen, dass wir mit empirischen Verteilungsmodellen arbeiten und gerade nicht mit erwiesenermaßen un-realistischen Laborannahmen wie z.B. einer Normalverteilung von Renditen, konstanten Pearson-Korrelationen, Verwendung der Volatilität als Risikomaß. Insofern wird auch die Existenz der von Ihnen angesprochenen "Schwarzen Schwäne" in der Parametrisierung unserer Modelle adäquat berücksichtigt. Ich verweise hierzu auch auf den Blog-Artikel von Professor Mittnik zum Thema Schwarze Schwäne: https://de.scalable.capital/finanzmarktforschung/schwarze-schwaene-ueberall-oder-nur-die-falsche-brille/
Ich stimme Ihnen weiterhin zu, dass sich Renditen nicht sinnvoll vorhersagen lassen und sich solche Prognoseversuche vor allem nicht für Market-Timing-Versuche oder Stock-Picking eignen. Allerdings lassen sich Risiken im Gegensatz zu Renditen durchaus zweckgemäß vorhersagen, da Risiken im Zeitablauf korreliert sind - ein "Volatility Clustering" genanntes Phänomen. Für die Forschung zur Nutzung von Volatility Clustering für das Thema Risikomanagement gab es im Jahr 2003 auch einen Nobelgedächtnispreis für Robert Engle. Wir nutzen dieses Phänomen in unseren Risikosimulationen, anhand derer wir bestimmen, ob wir die Portfolios unserer Klienten anpassen müssen. Das Ganze ist nicht simpel, aber ein risiko-fokusierter, quantitativer Ansatz schafft einen echten Mehrwert.
Mit besten Grüßen
Ihr Erik Podzuweit
Hallo Herr Penndorf,
Ihren Punkt verstehe ich nicht. Wieso stellen Sie einen Zusammenhang zwischen vermeintlich "gefährlichen" statistischen Betrachtungen und ETFs her? Statistische Risiko- & Renditemaße sollten für jede Assetklasse Anwendung finden. Oder stellen sie direkt die gesamte Porfoliotheorie infrage?
Es wird auch seinen Grund haben, dass Erwartungswerte als Renditemaß, Standardabweichungen und andere Kennzahlen als Risikomaß genutzt werden. Ihre Alternative impliziert ja, mögliche Risiken garnicht erst zu quantifizieren, sondern sich zu sagen "ach, das Risiko trage ich einfach mal". Und dass Ereignisse wie 2008 nicht von den gängigen Risikomodellen vorhergesehen wurden, zeigt doch nicht, dass eine quantitative Risikobetrachtung nicht möglich ist, sondern dass die Modelle nicht perfekt sind. Und mit Ihrem Hintergrund werden Sie wissen, dass Tail Risks für alle Risikomodelle problematisch sind.
Was ist also die Bottom Line dieses Artikels?