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12:23 Uhr, 19.09.2022

Gasmangellage? Der bange Blick auf das Thermometer

Die Dürre ist vorbei, der heiße Sommer ist Geschichte. Nun steht die Heizperiode an und mit dem Beginn der kühlen Tage kommt die Frage auf: Wie kommen wir über den Winter?

Rund 50 Prozent der Wohnungen in Deutschland wird mit Gas beheizt, ebenso viele Büros. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf Angaben des Branchenverbands Zukunft Gas berichtet, liegt der Verbrauch hierzulande im Sommer im Schnitt bei 1 bis 1,5 Terawattstunden am Tag, im Winter geht es demnach auf 3 bis 4, bei großer Kälte auch auf täglich 6 Terawattstunden nach oben. So viel Gas kommt nach dem Ausfall der russischen Lieferungen nicht mehr an. „An kalten Wintertagen könnten uns zwanzig Prozent der Menge fehlen“, sagt Verbandschef Timm Kehler der Zeitung.

Die Gasspeicher in Deutschland waren Stand Samstag zu 89,7 Prozent gefüllt. Damit liegt die Befüllung zwar vor dem Zeitplan. Gleichwohl reichen die Speicher in Deutschland im Falle eines härteren Winters nur zwei bis drei Monate. Auch sind die Gasabflüsse in den vergangenen kühleren Tagen stärker gestiegen als erwartet, wie die Bundesnetzagentur melde. Der Blick richtet sich zudem auf den Winter nach dem Winter. Denn russische Gaslieferungen wird die Speicherung der Reserven noch einmal eine ganz andere Herausforderung als dieses Jahr. Immerhin hat Russland-Gas bis zum Sommer signifikant zum jetzigen Speichervolumen beigetragen.

Helfen könnten dann die sich im Aufbau befindenden LNG-Flüssiggasterminals. Deren Errichtung an den norddeutschen Küsten kommt laut der Bundesregierung voran. „Im Januar des kommenden Jahres werden die ersten dieser neuen Terminals ihre Tätigkeit aufnehmen, werden Pipelineverbindungen ausgebaut und aufgebaut sein, und am Ende des nächsten Jahres haben wir wohl Importmöglichkeiten in Wilhelmshaven, in Stade, in Brunsbüttel, in Lubmin und sind dann in der Lage, all das Gas, was wir brauchen, zu importieren - unabhängig von Russland,“ sagte Bundeskanzler Olaf Scholz vergangene Woche.

In der akuten Energiekrise will die Bundesregierung zudem die Stromerzeugung aus Biogas und Solaranlagen kurzfristig ankurbeln, um so eine etwaige Gasmangellage etwas zu entspannen. So will das Bundeswirtschaftsministerium die Möglichkeiten zur Stromerzeugung aus Solaranlagen und Biogas ausweiten und außerdem steuerliche Hürden für den Betrieb von Photovoltaikanlagen abbauen.

Für den Fall, dass das Gas knapp wird und Berlin den Notstand ausruft, wird die Bundesnetzagentur die Belieferung größerer Unternehmen rationieren. Dazu dient die digitale „Si­cherheitsplattform Gas“. Anfang Oktober soll sie in Betrieb gehen. Rund 2.500 Unternehmen mit einem stündlichen Gasverbrauch von mehr als 10 Megawattstunden sind darauf regis­triert. Diese Firmen stehen zusammen laut FAZ für fast zwei Drittel des gesamten industriellen Gasverbrauchs. Die Daten der angeschlossenen Netzbetreiber, aus denen sich herauslesen lässt, wo Engpässe drohen, werden der Behörde stündlich zugespielt.

Am europäischen Erdgas-Markt gehen die Preise derweil zurück. Der Future TTF fiel zu Wochenbeginn um gut sieben Prozent auf 174 Euro je Megawattstunde. Anhaltende Spekulationen auf eine sinkende Nachfrage durch die drohende Rezession stützen laut Beobachtern die Marktentspannung. Außerdem haben deutsche Abnehmer erstmals seit der Abschaltung von Nord Stream 1 wieder Lieferungen über diese Pipeline gebucht, wie Reuters berichtet. Ob das Gas auch tatsächlich geliefert werde, sei allerdings offen.

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Über den Experten

Bernd Lammert
Bernd Lammert
Finanzredakteur

Bernd Lammert arbeitet als Redakteur seit 2010 bei der BörseGo AG. Er ist studierter Wirtschafts- und Medienjurist sowie ausgebildeter Journalist. Das Volontariat absolvierte er noch beim Radio, beruflich fand er dann aber schnell den Weg in andere Medien und arbeitete u. a. beim Börsen-TV in Kulmbach und Frankfurt sowie als Printredakteur bei der Financial Times Deutschland in Berlin. In seinen täglichen Online-Berichten bietet er Nachrichten und Informationen rund um die Finanzmärkte. Darüber hinaus analysiert er wirtschaftsrelevante Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte für eine Finanzagentur. Grundsätzlich ist Bernd Lammert der Ansicht, dass aktuelle Kenntnisse über die Märkte sowie deren immanente Risiken einem keine Erfolge schlechthin garantieren, aber die Erfolgschancen deutlich erhöhen können.

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