Kommentar
07:41 Uhr, 02.06.2015

FlashCrash ist der neue Bankrun

Bis 2008 hielt man Bank Runs in der neueren Geschichte für nicht mehr möglich. Wir wurden eines besseren belehrt. Jetzt glaubt man daran, dass die Volatilität an den Märkten abgeschafft wurde. Das gibt eine böse Überraschung.

Erwähnte Instrumente

Seit Jahren sinkt die Volatilität an den meisten Märkten. Die Volatilität von US Aktien ist derzeit systematisch niedrig wie selten zuvor. Gleichzeitig sind auch US Anleihen überraschend stabil. Nicht ganz so ruhig ist es in Europa. Hier hat der kürzlich stattgefundene Sell-Off von deutschen Anleihen für Aufmerksamkeit gesorgt. Damit ist das Thema aber noch lange nicht durch. Es ist nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet.

Mein Kollege Jochen Stanzl hat gestern über die Tiefe des Orderbuches berichtet. In eine ähnliche Richtung habe ich auch schon einmal argumentiert. In der Quintessenz kann man sagen, dass die Politik der Notenbanken und die Verschärfung der Regulierung zu einem Desaster führen wird, weil die Märkte so illiquide sind wie selten zuvor.

Illiquidität ist der Hauptgrund für Volatilität. Das sieht man in allen Anlageklassen. Gibt es zu viele Anleger, die auf einmal verkaufen wollen, dann muss der Preis drastisch sinken, damit sich genügend Käufer finden. Gleiches gilt auch, wenn zu viele Anleger gleichzeitig kaufen wollen. Das sieht man immer wieder bei Short Squeezes.

Notenbanken und Regulierung haben die Liquiditätsproblem auf ein ganz neues Niveau gebracht. Es war bisher vor allem aus Einzelwerten bekannt. Jetzt betrifft es den ganzen Markt bzw. alle Märkte, egal, ob Währungen, Rohstoffe oder Aktien.

Notenbanken haben durch ihre Politik Anleger aus vielen Märkten verdrängt. Anleihen, die Notenbanken kaufen, werden nicht mehr gehandelt. Sie verschwinden vom Markt. Das per se schränkt nicht nur die Liquidität ein, sondern sorgt auch für sehr einseitige Trades. Notenbanken kaufen Anleihen. Sie verkaufen sie nicht. Das soll die Renditen senken. Es führt aber auch zu einem ziemlich einseitigen Trend. Anleger werden in bestimmte Trades "gedrängt." Im Englischen heißt es sehr passend: crowded Trades, also Positionen die von allen eingegangen werden.

Die Regulierung hat dazu geführt, dass Banken nicht mehr als Market Maker agieren. Wenn verkauft werden soll, dann stehen keine Käufer auf Bankenseite mehr parat. Es müssen private Käufer gefunden werden, entweder Kleinanleger oder institutionelle Investoren wie Fonds. Wenn es hart auf hart kommt, vielleicht auch noch am frühen Nachmittag, dann möchte ich erst einmal erleben, wie man bei diesen Anlegergruppen schnell einmal hunderte Millionen Aktien eines bestimmten Unternehmens unterbringt. Das gibt der Markt einfach nicht her.

Bisher kennen wir das Phänomen so gut wie gar nicht. In den USA gibt es einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2010, den sogenannten Flash Crash. Der Chart zeigt diesen Flash Crash, bei dem der S&P 500 ohne Grund über 8% verlor. Der Index wurde innerhalb kurzer Zeit auch wieder gekauft, weil schnell deutlich wurde, dass es keinen Grund für den Abverkauf gab. Doch mit oder ohne Grund, das Ereignis ist schockierend.

flaschcrah
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    TTMzero Indikation

Jahrzehntelang gab es keine 8% Bewegung im S&P 500 bis zum Jahr 2008. Im Jahr 2010 dann kommt aus heiterem Himmel ein Crash von 8%, den man wirklich nur alle heiligen Zeiten erwartet. Damals waren die Märkte insgesamt noch nervöser als heute, aber auch darin liegt ein Problem. Es gibt keine Risikoprämien.

Anleger sollten für ihr Risiko eigentlich durch höhere Renditen entschädigt werden. Das enorme Liquiditätsrisiko wird mit keinem Prozent oder Promille abgegolten. Es wird von jedem einzelnen Anleger getragen, ohne dass es dafür einen Ausgleich gäbe.

An plötzliche, große Bewegungen werden wir uns gewöhnen müssen, vor allem in den USA. Dort findet neben den schwierigen Bedingungen (kaum noch Market Making der Banken) ein Großteil des Handels in der ersten und der letzten halben Stunde des Handelstages statt. Das Volumen kommt aus dem HFT (High Frequency Trading), welches von Algorithmen gesteuert ist. Jenseits dieser beiden halben Stunden jeden Tag ist das Volumen eher dünn. Wer also am frühen Nachmittag größere Mengen Aktien loswerden will, der wird Probleme bekommen.

Flash Crash sind das eine, echte Panik das andere. Wenn es einen guten Verkaufsgrund für Aktien, Währungen oder Rohstoffe gibt, dann wird es sehr, sehr kritisch. Die meisten Anleger bzw. die größten Volumina werden heutzutage über aktive oder passive Fonds und ETFs angelegt. Diese Fonds versprechen grundsätzlich ihren Anlegern jederzeit verkaufen zu können. Was aber, wenn plötzlich gleichzeitig viele Anleger verkaufen wollen?

Fonds haben oft nur einen geringen Cashbestand. Es müssen viele Aktien verkauft werden. Weil fast den ganzen Tag über die Liquidität fehlt und es auch kaum mehr Market Maker gibt, muss der Preis von Aktien sehr stark sinken, um ausreichend Käufer zu finden. In einer solchen Situation kommt es zu massiven Übertreibungen. Wo früher Aktien vielleicht nur 20% verloren haben wären es nun 60%.

Kommt es zu einem solchen "Fonds und ETF Run", dann werden viele Fonds und ETF Anbieter ihre Anleger nicht auszahlen können. Anleger werden ihre Assets erst zu absurd niedrigen Preisen los und die Abwicklung der Verkaufsorders kann ungewöhnlich lange in Anspruch nehmen. Eine Gutschrift kann möglicherweise erst Stunden später stattfinden.

Wem das unrealistisch erscheint, der denke an die Aufgabe des EUR/CHF Mindestkurses. Die Liquidität war für 30 Minuten fast null, obwohl der Franken eines der meistgehandelten Währungspaare ist. Banken stellten so gut wie keine Liquidität zur Verfügung. Wenn sie es taten, dann waren die Spreads absolut jenseitig. Broker wiederum haben oft Stunden gebraucht, um Kunden überhaupt mitteilen zu können zu welchen Kursen ihre Oders ausgeführt wurden.

Ein solches Szenario wird durch die sich zuspitzende Liquiditätskrise früher oder später den ganzen Markt erfassen. Ganz ohne Grund kommt es nicht zu einem solchen Ereignis. Notenbanken haben für Preisblasen gesorgt. Sie haben zwar Zinsen gedrückt und die Märkte stabilisiert, aber auch Blasen genährt. Letztlich haben sie kurzfristige Ruhe gegen langfristige Volatilität eingetauscht. Inzwischen ist jedem klar, dass es zu einem Platzen der Blasen (Aktien, Anleihen) kommen wird. Wann es soweit ist, weiß keiner, aber wenn es dann kommt, dann sieht 2008 wie ein Kindergeburtstag aus.

In einer solchen Situation kommt es zu einem Fonds und ETF Run. Spätestens dann dürften Regulatoren merken, dass die Überregulierung der Banken das Problem nur verschoben hat.

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8 Kommentare

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  • 1 Antwort anzeigen
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    Daumen hoch für diesen Beitrag!

    12:08 Uhr, 02.06. 2015
  • Cogito
    Cogito

    Schmale hat die Problematik mal wieder treffend „auf den Punkt“ gebracht. Hervorragend, seine Beiträge! Schlage vor, dass jeder Leser, entsprechende kurze Kommentare mit Link auf Schmales Beitrag in den Politikern zugänglichen Medien macht. Ich denke GMT ist damit einverstanden?

    08:55 Uhr, 02.06. 2015
  • schimpanse69
    schimpanse69

    Die Fragen sind doch grundsätzlich:

    Erfüllen die Finanzmärkte überhaupt noch ihre Aufgabe?

    Wem dienen die Finanzmärkte noch und ist es sinnvoll?

    Welches System versuchen wir zu retten und für wen wollen wir es retten?

    So schön und einfach es auch ist mit dem tagtäglichen Hin- und Herschieben von Wertpapieren ordentliches Geld zu verdienen..."wir" schaffen hier überhaupt keinen Mehrwert. Das Handelsvolumen ist in der Regel nicht das Resultat der "Pflichterfüllung der Märkte".

    Wir bescheissen uns als Gesellschaft mit diesen Finanzmärkten. Ich kann es nur ertragen, weil ich Nutznießer bin...

    08:45 Uhr, 02.06. 2015
  • moneymaker22
    moneymaker22

    und als nächstes kommen dann Leerverkaufs-Verbote und damit nehmen sie dann die nächsten die beim Absturz die Hände aufhalten aus dem Markt

    08:03 Uhr, 02.06. 2015
  • moneymaker22
    moneymaker22

    Na ist doch wie immer, alles nur Verschlimmbessert !!!

    07:50 Uhr, 02.06. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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