Analyse
14:00 Uhr, 02.06.2015

DAX: Blitzartig 1000 Punkte tiefer und niemand kann reagieren?

Wer sich wundert, dass der DAX-Handel oft so ruckartig verläuft, erhält eine Erklärung von JP Morgan. Sie sehen nichts geringeres als eine strukturelle Schwächung der Ordertiefe als Ursache für diese Veränderungen.

Erwähnte Instrumente

  • DAX
    ISIN: DE0008469008Kopiert
    Kursstand: 11.445,97 Punkte (XETRA) - Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung
  • DAX - WKN: 846900 - ISIN: DE0008469008 - Kurs: 11.445,97 Punkte (XETRA)

Das Orderbuch ist von Natur aus der Ursprung des Charts. Wer sagt, der Chart enthalte alle relevanten Informationen, der muss auch sagen, das Orderbuch enthält alle Informationen.

Niemals mehr wollen Politiker zulassen, dass die Realwirtschaft Geisel der Finanzmärkte werde, so lautete lange Zeit das Mantra nach dem Zusammenbruch der amerikanischen Banken. Die Politik reagierte mit einer Verschärfung der Regulierung für die Banken und andere Finanzakteure, was die Kosten nach oben getrieben hat.

Das war gut gemeint, führte aber zum Gegenteil, wie JP Morgan jetzt erklärt. Die US-Investmentbank legt eine Studie vor, in der sie allen weltweiten Märkten, von Unternehmensanleihen, bis hin zum Devisenmarkt und Aktien das gleiche Schicksal bescheinigt: Eine strukturelle Verschlechterung der Ordertiefe. Das hatte zuvor auch Bill Gross und andere kritisch angemerkt und ich habe hierzu ein Video gemacht.

Welche Folgen eine Verschlechterung der Ordertiefe haben kann haben wir alle mitbekommen, als ohne weiteren erkennbaren Grund deutsche Bundesanleihen eingebrochen sind. Auch die Flashcrashs der vergangenen Jahre werden nachträglich darauf zurückgeführt, das an bestimmten Punkten im Markt einfach keine Orders stehen.

Wenn man die Märkte derzeit handelt, würde man nicht auf die Idee kommen, dass man irgendwann Probleme haben könnte, seine Aktien, Fonds oder Derivate verkaufen zu können. Für jede Order gibt es auch entsprechende Gegenorders auf der jeweiligen anderen Seite des Orderbuchs.

Ein einfaches Beispiel: Will ich 100 Aktien zu 100 EUR verkaufen, dann erhalte ich auch 100 EUR dafür, und zwar für alle 100 Anteile. Wenn die Ordertiefe aber nicht stimmt, dann erhalte ich vielleicht eine Teilausführung für 20 Stück bei 100 EUR, 20 Stück bei 98 EUR und 60 Stück bei 94 EUR, wenn ich unlimitiert verkaufe. Setze ich eine Verkaufsorder mit Limit bei 100 EUR rein, will ich also mindestens 100 EUR für meine Anteile, dann muss ich mitunter vielleicht tagelang warten, bevor meine Order ausgeführt wird.

Wenn man dieses einfache Beispiel jetzt überträgt auf den Gesamtmarkt dann kommt man zu den Ergebnissen der Studie von JP Morgan. JP hat herausgefunden, dass sich Makler immer risikoscheuer verhalten, die durchschnittliche Ordergröße sei in den vergangenen Jahren bei Aktien, Devisen und Anleihen immer weiter gesunken, auch die Häufigkeit der Kursfeststellungen ging zurück.

Bis zur Jahresmitte 2014 sei der Devisenmarkt, der größte der Welt, von dieser Entwicklung verschont geblieben. Seither sei das aber auch bei den großen Märkten Eurodollar, Pfunddollar und der schwedischen Krone zu beobachten, der Abstand zwischen Brief- und Geldkurs bei diesen eigentlich seit jeher immens liquiden Märkte gehe seither langsam immer weiter auseinander.

Natürlich wird sich Eurodollar nicht zu einem engen Smallcap-Markt verwandeln. Es ist aber klar, dass hier Risiken erwachsen können, die bislang nicht vorhanden waren. Mohamed El-Erian, ehemals Vorstandsvorsitzender von Pimco, dem größten Anleihenfonds der Welt, und heutiger Chefberater der Allianz AG, meint etwa, man müsse bei Engagements an den Märkten jetzt das Risiko mit einberechnen, im Zweifelsfall nicht mehr zu guten Kursen aus dem Markt rauszukommen. Würde man dieses Risiko mit einberechnen, könnte man bestimmte Märkte gar nicht mehr kaufen, weil die zu erwartende Rendite viel zu klein relativ zum Risiko ist.

Um das, was JP da sagt, verständlich auf einen Punkt zu bringen: Wenn die Märkte ihre Richtung ändern sollten, dann wird wahrscheinlich weniger Liquidität vorhanden sein, um den plötzlichen Ansturm der Verkaufsorders aufzunehmen.

Das könnte zu einem blitzschnellen Zusammenbruch der Märkte führen, warnt El-Erian. Um meinen Kommentar dramatisch zu schließen: Wenn es blöd läuft notiert der DAX plötzlich 1000 Punkte tiefer und niemand konnte reagieren.

3 Kommentare

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  • Investor
    Investor

    Herr Stanzl,

    wie schätzen Sie dieses Risiko in Verbindung mit dem Derivate Markt ein. Dieser Markt ist ca 700 b USD groß und wenn die underlayings zu stark schwanken, erwarte ich unübersehbare Folgen, da die großen Derivateanbieter in die Krise geraden.

    18:53 Uhr, 01.06. 2015
  • schimpanse69
    schimpanse69

    Diese Entwicklung ist seit ca. 1,5 Jahren bekannt und wird in meinem Trading berücksichtigt beim SL. Die "Algorithmus-Trader" sind an der ganzen Sache nicht ganz unschuldig. Die Volatilität macht mir persönlich an immer mehr Tagen große Sorgen, aber man verdient halt gut damit...

    14:01 Uhr, 01.06. 2015
  • Heiko Behrendt
    Heiko Behrendt Trader

    Hallo Jochen, vielen Dank für den Artikel.

    Ich habe dazu ein passendes Video. In diesem sieht man den FDAX und das Orderbuch mit der geringen Markttiefe im DAX Future. Wenn es mal schnell geht, dann sind wirklich massive Abschläge möglich. Letztens konnte man in 5 Minuten eine 120 Punkte Candle im DAX erleben. Genaus auch heute am 01.06.2015 sieht man wie der DAX 30 Punkte hoch und runter schnippt und dass alles innerhalb von 5 Minuten.

    Zum Video: FDAX - fast moving markets

    viele Grüße

    Heiko Behrendt

    13:49 Uhr, 01.06. 2015

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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