Fundamentale Nachricht
13:47 Uhr, 13.07.2021

„FAIT accompli“: Ist die hawkishe Wende der Fed eine ausgemachte Sache?

Die Tatsache, dass die Fed die „Phase überdurchschnittlicher Inflation“ nicht klar definiert hat, sorgt laut Talib Sheikh, Head of Strategy, Multi-Asset, und Mark Richards, Stratege und Matthew Morgan, Investment Director im Multi-Asset-Team bei Jupiter Asset Management, für erhebliche Ungewissheit in der Zukunft.

Die US-Notenbank Fed hat die Marktteilnehmer durch ihr jüngstes aggressives Zinssignal verunsichert, und einige Anleger fragen sich, wie ernst es die Zentralbank mit ihrem Versprechen gemeint hat, eine höhere Durchschnittsinflation zu tolerieren. Doch die Fed verschafft sich effektiv Handlungsspielraum für das Szenario einer hartnäckigeren Inflation.

Bei ihrer Sitzung im Juni hielt die Fed eine geldpolitische Überraschung für Anleger bereit. Die Erkenntnis, dass die Notenbank die Zinsen früher als erwartet anheben könnte, versetzte die Märkte in Aufruhr. Im Vorfeld der Sitzung hatten Vertreter der Fed stets auf ihrer Einschätzung beharrt, dass die aktuellen Inflationsindikatoren „vorübergehender Natur“ seien. Befeuert wurden die Turbulenzen zudem dadurch, dass die im vergangenen Jahr eingeführte flexible Ausrichtung auf ein durchschnittliches Inflationsziel (Flexible Average Inflation Targeting, „FAIT“) für eine Beruhigung an den Märkten gesorgt hatte.

Wir haben jedoch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese Strategieanpassung Vorbote eines grundlegenden geldpolitischen Kurswechsels der Fed war. Nachdem die Fed der Inflation 40 Jahre den Kampf angesagt hatte, kommt die Umstellung auf FAIT einem toleranteren Kurs gleich, bei dem die Wirtschaft sich künftig stärker aufheizen könnte. Die Fed würde erst bei einer gestiegenen Inflation und gefestigten Inflationserwartungen im Sinne ihres Mandats eingreifen. Diese Einschätzung schien sich im Verlauf dieses Jahres zu bestätigen, und Aussagen der Fed beschwichtigten die Märkte zusätzlich.

Nicht die Strategie hat sich geändert, sondern die Einschätzung der Inflationsrisiken

Der jüngste Dot-Plot (Punktediagramm) zeigt jedoch, dass die meisten Fed-Vertreter bis Ende 2023 mit zwei Zinserhöhungen rechnen – eine klare Wende gegenüber der Sitzung vom März. Bislang hatte die Fed zugesagt, ihre Maßnahmen an der Entwicklung der Inflation auszurichten und dabei ein großzügiges Maß anzuwenden, bevor sie tätig würde. Dabei würde sie über einen gewissen Zeitraum eine Inflation über der Zielmarke tolerieren, um mittelfristig ein durchschnittliches Inflationsziel zu erreichen. Auf den ersten Blick scheint es, dass die Fed ihren geplanten Zinskurs als Reaktion auf die von ihr wahrgenommenen Aufwärtsrisiken für ihre Inflationsprognosen geändert hat, ohne die Wachstumserwartungen entsprechend anzuheben. Entspricht dies einem Strategiewechsel?

Unsere Ansicht nach nicht. Nicht die Strategie hat sich geändert, sondern die Einschätzung der Inflationsrisiken durch die Fed. Der Ausschuss war sich einig, dass die Unsicherheit im Zusammenhang mit der Inflation hoch ist, und dem schließen wir uns an. Lieferengpässe erschweren die Interpretation der Daten. Die Mehrheit der Ausschussmitglieder ist der Ansicht, dass insgesamt gesehen ein Anstieg der Inflation droht. Normalerweise ignorieren wir das Punktediagramm und Kommentare von Akteuren außerhalb des „Kerns“. Allerdings scheint FAIT-„Architekt“ und Fed-Vizevorsitzender Richard Clarida dem Kreis der Mitglieder anzugehören, die sich für zwei Zinserhöhungen im Jahr 2023 aussprechen.

Der andere Grund, warum wir hier keinen Strategiewechsel sehen, liegt darin, dass keine großen Änderungen vorgenommen wurden: Die Fed hat ihre Inflationserwartungen moderat angehoben und dabei auf ein sehr hohes Maß an Unsicherheit hingewiesen, und sie hat das geplante Tempo der Zinserhöhungen ebenfalls moderat beschleunigt. Dieses ist weiterhin sehr gering und abhängig davon, dass die Prognosen eintreten. Sollte sich die Inflation, wie von vielen erwartet, als vorübergehend erweisen, hat die Fed im weiteren Jahresverlauf viel Spielraum, um zu einer expansiven Haltung überzugehen. Indem sie die Unsicherheit jetzt erhöht, verschafft sie sich eine zweiseitige Optionalität – sie kann also beides haben.

Drei treibende Kräfte für Veränderung

Wir haben die jüngsten Äußerungen von Fed-Chef Powell sowie die Kommentare, die er und einige seiner Kollegen seit der Sitzung abgegeben haben, analysiert und fassen die Überlegungen der Fed wie folgt zusammen:

  1. Inflation versus Beschäftigung

Wir denken, dass die Fed gehofft hatte, das Hochfahren der Wirtschaft würde die Vollbeschäftigung in den USA rasch wiederherstellen und die Inflation würde im Zuge dessen leicht anziehen. Das Gegenteil war der Fall: Die Inflation ist kontinuierlich gestiegen, das Stellenwachstum hingegen hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Powell nannte auf der letzten Sitzung Lieferengpässe als Auslöser für einen Inflationsanstieg. Die Fed betrachtet die Inflation nach wie vor als vorübergehend, sieht jedoch eine gewisse Gefahr, dass sie etwas länger als erwartet anhält – ein Risiko, dass sie steuern will.

  1. Risikomanagement

Der Umgang mit dem „Risiko“ eines überraschenden Inflationsanstiegs ist dabei von zentraler Bedeutung: Die Fed hat ihre Inflationsprognosen für 2023 nicht geändert, geht jedoch nun insgesamt eher von einem Aufwärtsrisiko aus. Dies scheint die Motivation hinter der erwarteten künftigen Zinspolitik zu sein. Damit kommt allerdings der Aspekt „Risikomanagement“ wieder ins Spiel: Es geht darum, die Sorge zu beschwichtigen, die Fed könnte durch eine zu expansive Haltung eine Überhitzung der Wirtschaft zulassen, sodass im weiteren Verlauf aggressive Zinserhöhungen nötig wären. Die Fed hat ihrer Ansicht nach ein mäßiges Risiko eines Inflationsanstiegs gesehen und ihre Forward Guidance moderat angepasst, um dieses Risiko zu steuern.

  1. Fiskalpolitik

Einige Mitglieder des Ausschusses merkten an, dass auch die Fiskalpolitik in diesem Jahr bisher positiv überrascht habe. Die Freistellungszahlungen werden den gesamten Sommer über fortgesetzt, und ab diesem Monat erhalten Familien bis zu 500 US-Dollar Kindergeld monatlich. Die Regierung bemüht sich weiter um die Vereinbarung eines Infrastrukturplans, der in den nächsten 18 Monaten vermutlich zu weiteren Ausgaben führen wird. Das gehört zweifelsohne zum Ansatz der Fed: Die Fiskalpolitik übernimmt den Großteil der Last, und daran wird sich auch künftig nichts ändern.

„F“ in „FAIT“ als Risikofaktor

In Anbetracht all dieser Faktoren kommen wir zu folgender Einschätzung: Vermutlich hat der Markt auf eine moderate Neubewertung des Inflationsrisikos und eine Anpassung der Forward Guidance durch die Zentralbank überreagiert. Die Geldpolitik ist nach wie vor expansiv und bietet ein günstiges Umfeld für Risikoanlagen. Welche Punkte bereiten uns Sorgen? Die Möglichkeit, dass die Fed annimmt, dass sie erfolgreich vorzeitig einen moderaten Inflationsanstieg herbeigeführt hat – dass diese kurze Phase einer überdurchschnittlichen Inflation ausreicht, um die Ziele der neuen FAIT-Strategie zu erreichen. Unseres Erachtens wird die Inflation insgesamt ein vorübergehendes Phänomen bleiben, und bisher sehen wir noch keine dauerhafte Veränderung der Inflationserwartungen oder des Lohnwachstums.

Für die Marktteilnehmer liegt die Problematik hier im „F“ in „FAIT“ – „Flexible Average Inflation Targeting“. Die Fed hat stets darauf verzichtet, die „Phase überdurchschnittlicher Inflation“ sowie den Zeitraum zu definieren, über den dieser Durchschnitt berechnet werden würde. Die Tatsache, dass sie uns die Antwort auf diese Frage schuldig bleibt, sorgt für erhebliche Ungewissheit in der Zukunft. Wir sind uns des Risikos bewusst, dass ein Anstieg des nominalen Wachstums oder der Inflation entweder eine Straffung der Geldpolitik auslösen oder das Tempo der Zinserhöhungen beschleunigen könnte.

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