Fundamentale Nachricht
12:36 Uhr, 31.05.2018

EZB- und Fed-Fehlentscheidungen als größte Risiken

Die Märkte sollten geldpolitische Fehlentscheidungen Invesco-Chefökonom John Greenwood zufolge mehr fürchten als einen möglichen Handelskrieg.

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Atlanta (GodmodeTrader.de) - Nach den starken Wachstumsraten der letzten Jahre scheint die Wirtschaft in den USA, Europa und China an Fahrt zu verlieren. Wie Invesco-Chefökonom John Greenwood in seinem vierteljährlichen Markt- und Wirtschaftsausblick für das zweite Quartal 2018 argumentiert, könnte es bei einer typischen Zwischenkorrektur im konjunkturellen Aufschwung bleiben. Ein Abwärtsrisiko sieht er vor allem durch zwei potenzielle Faktoren – eine Verschärfung des Handelskonfliktes mit China, die zu einer vorübergehenden Destabilisierung der Wirtschaft führen könnte, und eine unbeabsichtigte Straffung der Finanzierungsbedingungen, die einen nachhaltigeren Abschwung auslösen könnte.

Da die US-amerikanische Notenbank (Fed) gleichzeitig die Zinsen erhöht und ihre aufgeblähte Bilanz reduziert, wird das Wohl und Wehe der US-amerikanischen Wirtschaft Greenwood zufolge künftig sehr stark von der Kreditschöpfung im Banken- und Finanzsystem abhängen. Diese könnte durch das restriktivere Basel III-Regelwerk jedoch stärker eingeschränkt sein. Der Chefökonom von Invesco fürchtet, dass die Bilanzschrumpfung der Fed das Geld- und Kreditwachstum in den USA weiter verlangsamen und dadurch das Wirtschaftswachstum insgesamt bremsen könnte. Gleichzeitig könnte eine zu frühe Beendigung der Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) das Wachstum in der Eurozone lähmen, wo das Geld- und Kreditwachstum nach wie vor sehr schwach sei.

Während der US-chinesische Handelsstreit die Wirtschaftsaktivität vorübergehend destabilisieren könnte, hält Greenwood einen „Handelskrieg“ mit einem dadurch bedingten globalen Abschwung für unwahrscheinlich. So würde ein Zoll- oder Handelskrieg das Handelswachstum zwar dämpfen, vermutlich aber nur sehr begrenzte Auswirkungen auf das BIP-Wachstum insgesamt haben, solange die Inlandsnachfrage in den großen Volkswirtschaften robust bleibe, heißt es weiter.

„Dass Zölle eine schlechte Nachricht für Konsumenten und Unternehmen sind, steht fest. Da aber die Warenimporte nur rund zwölf Prozent zum US-amerikanischen BIP und 15 Prozent zum chinesischen BIP beitragen, würden selbst schärfere Zölle das reale BIP-Wachstum nur um rund 0,1-0,2 % reduzieren“, so Greenwood. „Die beiden größten Risiken, die einer Fortsetzung des globalen Aufschwungs im Weg stehen könnten, sind mögliche geldpolitische Fehlentscheidungen in den USA oder der Eurozone, nicht das protektionistische Säbelrasseln der Trump-Regierung.“

Die US-amerikanische Binnenwirtschaft sei zuletzt weiter moderat gewachsen, wobei die Inflation den – Greenwood zufolge verfehlten – Erwartungen getrotzt habe, dass die Teuerung deutlich anziehen würde. Tatsächlich dürften die Hinweise auf eine Abkühlung der Wirtschaft im ersten Quartal diejenigen beruhigen, die eine Überhitzung der US-amerikanischen Wirtschaft gefürchtet haben. Greenwood zufolge ist der eigentliche Sorgenfaktor die Verlangsamung des Geld- und Kreditwachstums auf eine Jahresrate von nur noch vier Prozent gegenüber sieben Prozent bis acht Prozent Ende 2016. Sollte diese Abschwächung anhalten und nicht durch eine Zunahme der Aktivitäten im Schattenbankenwesen aufgewogen werden, würde nicht nur die Inflationsrate hinter den derzeitigen Erwartungen der Wall-Street-Ökonomen zurückbleiben - durch die Drosselung der Liquidität könne auch die Wirtschaft insgesamt abrupt nachlassen, heißt es weiter. Greenwood prognostiziert für die USA im Jahr 2018 ein reales BIP-Wachstum von 2,5 Prozent und eine durchschnittliche Verbraucherpreisinflation von 2,3 Prozent.

In der Eurozone rechnet Greenwood im ersten Halbjahr 2018 mit einer Fortsetzung des seit 2017 andauernden Aufschwungs, sieht inzwischen es aber auch deutliche Hinweise darauf, dass das Wachstum seinen Höhepunkt erreicht haben könnte, vor allem in Deutschland. Unterdessen stelle das Bankensystem der Eurozone eine potenziell problematische Schwachstelle dar. In mehreren Ländern seien die Kreditausfallquoten hoch und in der gesamten Eurozone wachse die Kreditvergabe weiterhin nur sehr schleppend. Sollte die EZB ihre Anleihenkäufe komplett einstellen, würden das Einlagenwachstum und damit das M3-Geldmengenwachstum in der Region wahrscheinlich wieder sinken, was das BIP-Wachstum bremsen und dazu führen könnte, dass die Inflation wieder Richtung null tendiere, heißt es weiter. Für 2018 prognostiziert der Invesco-Chefökonom ein reales BIP-Wachstum von 2,3 Prozent für die Eurozone insgesamt und eine weiterhin unter dem Zielwert von zwei Prozent liegende Verbraucherpreisinflation von 1,5 Prozent, vor allem aufgrund des unzureichenden M3-Wachstums.

In Großbritannien wächst die Wirtschaft Greenwood zufolge zwar nicht mehr mit „amerikanischen“ Wachstumsraten von 2,0 bis 2,5 Prozent, sondern eher entsprechend der „europäischen Norm“ von 1,5 bis 2,0 Prozent, habe aber deutlich weniger stark an Fahrt verloren als die Konsensökonomen zum Zeitpunkt des Brexit-Referendums im Jahr 2016 vorausgesagt hatten. Greenwood führt das vor allem auf Großbritanniens sehr wettbewerbsfähige, marktorientierte Wirtschaft mit einem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr flexiblen Arbeitsmarkt zurück. Als zweiten Erfolgsfaktor nennt er die unabhängige Geldpolitik Großbritanniens, die in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Erholung der Wirtschaft geleistet habe. Schließlich habe das schwächere Pfund den britischen Industrieproduzenten hohe Auslandsaufträge beschert. Für das Gesamtjahr 2018 prognostiziert der Invesco-Chefökonom in Großbritannien ein reales BIP-Wachstum von 1,8 Prozent und eine Verbraucherpreisinflation von 2,4 Prozent.

Was die Entwicklung der japanischen Wirtschaft angeht, hebt Greenwood vor allem die seit zwei Jahren größere Stabilität der Wachstumszahlen hervor. Japans Wirtschaft wachse inzwischen seit acht aufeinanderfolgenden Quartalen. Das sei der längste ununterbrochene Aufschwung seit fast drei Jahrzehnten. Doch trotz des inzwischen engen Arbeitsmarktes sei das Lohnwachstum weiterhin schwach und dämpfe den Konsum. Das breite Geldmengenwachstum in Japan sei noch nicht stark genug, um für nachhaltigen Preisauftrieb zu sorgen. Die schwache Verbrauchernachfrage dämpfe das Wachstum und die positiven Impulse der höheren Investitionsausgaben dürften nachlassen, da die Industrieproduktion im Januar und Februar 2018 schwächer ausgefallen sei. Greenwood rechnet 2018 in Japan mit einem realen BIP-Wachstum von 1,4 Prozent und einer durchschnittlichen Verbraucherpreisinflation von einem Prozent.

In China rechnet der Chefökonom von Invesco in diesem Jahr mit einem Wachstum von 6,7 Prozent. Dafür, dass die chinesische Wirtschaft in den letzten Jahren längst nicht mehr so kräftig gewachsen sei wie von 2000 bis 2009, mache er drei Faktoren verantwortlich. Erstens habe die deutlich höhere Verschuldung der Wirtschaft dazu geführt, dass sich die Aufmerksamkeit der Regierung jetzt auf den Schuldenabbau bei den stärker verschuldeten Unternehmen und kommunalen Regierungen konzentriere. Keine Wirtschaft könne gleichzeitig Schulden abbauen und ihr Wachstumspotenzial voll ausschöpfen. Zweitens habe sich der Immobilienmarkt nach dem starken Anstieg der Hauspreise in den Jahren 2015 und 2016 abgekühlt. Drittens habe die Industrie weiter mit Überkapazitäten zu kämpfen – zu einem Großteil auch eine direkte Folge früherer Entscheidungen gegen eine Reform der staatseigenen Unternehmen (SOEs). Greenwood zufolge wird China auch künftig mit den Problemen seiner staatseigenen Unternehmen und Überkapazitäten in verschiedenen Industrien zu kämpfen haben, solange die politische Führung des Landes grundlegende Reformen weiter aufschiebt und an einer teilweise im Staatsbesitz befindlichen und teilweise staatlich kontrollierten Wirtschaft festhält.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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